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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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durchzudrängen. Bei den Volksvertretungen der einzelnen Staaten steht es jetzt,
ihren Regierungen die Annahme dieser Grundlagen zu empfehlen.

Vor allem aber die Bewahrung des Friedens. Die Rüstungen der Mittel¬
staaten sind hervorgerufen worden zunächst durch das Mißtrauen gegen die
Annexionspolitik des preußischen Ministerpräsidenten. Dieses Mißtrauen hat
nach Königswort Sachsen und Bayern zu keinem Vertrag mit Oestreich be¬
trieben. Aber unleugbar ist der stille Hintergedanke aller Mobilmachungen mehr
oder weniger undeutlich der einer künftigen Coalition mit Oestreich gegen
Preußen. Allerdings hat nicht diese Eventualität allein in die Waffen getrieben.
Denn auch Oestreichs fühlte man sich noch vor Kurzem nicht sicher, ja man
hielt die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen, daß die beiden kriegführenden
Mächte sich zuletzt auf Kosten anderer Bundesstaaten einigen könnten. Ob
diese geheime Sorge irgendwie berechtigt war, ist hier gleichgiltig, sie kann jetzt
weder Grund noch Vorwand für eine kriegerische Politik werden, da Preußen
sich bereit gezeigt hat, mit den Regierungen der Mittelstaaten in der gegenwär¬
tigen Krisis Verträge abzuschließen, welche Anerkennung der Neutralität und
Besitzstand garantiren. Da man thatsächlich Preußen als den Angreifer scheut,
so ist doch für Negierung und Land vortheilhafter, durch einsanken Vertrag ein
Unglück abzuwenden, als durch Ausgabe von Millionen, durch Störung des
Verkehrs das Schicksal, welches man zu vermeiden beabsichtigt, grade über das
Land heraufzubeschwören. Bewaffnete Neutralität ist auch für eine Großmacht
ein zweischneidiges Schwert, welches den Frieden ebenso gut verwunden als er¬
halten kann, für einen kleineren Staat zwischen großen ist es gradezu Provo¬
kation der Gefahr; und doch nicht wirksam genug, um der einbrechenden zu
steuern.

Unterdeß dauern die Kriegsrüstungen der beiden Großmächte unablässig
fort, ihre Grenzen, die Wagen ihrer Schienenwege starren von Bajonetten,
und für beide Mächte wird schnelle Entscheidung mit jedem Tage Wünschenswerther.
Die Kosten der Rüstungen in Preußen mögen sich in diesem Augenblick schon aus
35 bis 40 Millionen belaufen, die Verluste an Capital und Arbeitskraft in
diesen Wochen sind mit der dreifachen Summe zu niedrig angeschlagen, und
noch immer hat das preußische Volk Grund zu der Frage, weshalb? Dort ist
die Aufgabe des Volkes jetzt eine große; die Söhne, welche unter den Waffen
stehen, und die Väter, welche daheim für das neue Abgeordnetenhaus wählen
und ihrem Könige die Meinung der Bevölkerung über die Lage des Staates
ans Herz legen, beide werden als Männer ihre Pflicht zu thun wissen, bis
zum Aeußersten. Diese Pflicht ist, mit den innern und äußern Feinden ihres
Staates ihre Rechnung auf gut Preußisch abzumachen, ohne Gemüthlichkeit, aber
gewissenhaft, und in klingender Währung.




durchzudrängen. Bei den Volksvertretungen der einzelnen Staaten steht es jetzt,
ihren Regierungen die Annahme dieser Grundlagen zu empfehlen.

Vor allem aber die Bewahrung des Friedens. Die Rüstungen der Mittel¬
staaten sind hervorgerufen worden zunächst durch das Mißtrauen gegen die
Annexionspolitik des preußischen Ministerpräsidenten. Dieses Mißtrauen hat
nach Königswort Sachsen und Bayern zu keinem Vertrag mit Oestreich be¬
trieben. Aber unleugbar ist der stille Hintergedanke aller Mobilmachungen mehr
oder weniger undeutlich der einer künftigen Coalition mit Oestreich gegen
Preußen. Allerdings hat nicht diese Eventualität allein in die Waffen getrieben.
Denn auch Oestreichs fühlte man sich noch vor Kurzem nicht sicher, ja man
hielt die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen, daß die beiden kriegführenden
Mächte sich zuletzt auf Kosten anderer Bundesstaaten einigen könnten. Ob
diese geheime Sorge irgendwie berechtigt war, ist hier gleichgiltig, sie kann jetzt
weder Grund noch Vorwand für eine kriegerische Politik werden, da Preußen
sich bereit gezeigt hat, mit den Regierungen der Mittelstaaten in der gegenwär¬
tigen Krisis Verträge abzuschließen, welche Anerkennung der Neutralität und
Besitzstand garantiren. Da man thatsächlich Preußen als den Angreifer scheut,
so ist doch für Negierung und Land vortheilhafter, durch einsanken Vertrag ein
Unglück abzuwenden, als durch Ausgabe von Millionen, durch Störung des
Verkehrs das Schicksal, welches man zu vermeiden beabsichtigt, grade über das
Land heraufzubeschwören. Bewaffnete Neutralität ist auch für eine Großmacht
ein zweischneidiges Schwert, welches den Frieden ebenso gut verwunden als er¬
halten kann, für einen kleineren Staat zwischen großen ist es gradezu Provo¬
kation der Gefahr; und doch nicht wirksam genug, um der einbrechenden zu
steuern.

Unterdeß dauern die Kriegsrüstungen der beiden Großmächte unablässig
fort, ihre Grenzen, die Wagen ihrer Schienenwege starren von Bajonetten,
und für beide Mächte wird schnelle Entscheidung mit jedem Tage Wünschenswerther.
Die Kosten der Rüstungen in Preußen mögen sich in diesem Augenblick schon aus
35 bis 40 Millionen belaufen, die Verluste an Capital und Arbeitskraft in
diesen Wochen sind mit der dreifachen Summe zu niedrig angeschlagen, und
noch immer hat das preußische Volk Grund zu der Frage, weshalb? Dort ist
die Aufgabe des Volkes jetzt eine große; die Söhne, welche unter den Waffen
stehen, und die Väter, welche daheim für das neue Abgeordnetenhaus wählen
und ihrem Könige die Meinung der Bevölkerung über die Lage des Staates
ans Herz legen, beide werden als Männer ihre Pflicht zu thun wissen, bis
zum Aeußersten. Diese Pflicht ist, mit den innern und äußern Feinden ihres
Staates ihre Rechnung auf gut Preußisch abzumachen, ohne Gemüthlichkeit, aber
gewissenhaft, und in klingender Währung.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/425>, abgerufen am 27.07.2024.