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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Interpretation ihrer Stellung so stehen, daß sie erst wenn die Reformpläne zur
Thatsache werden, ein Anrecht auf Erklärungen und Abgabe von Willens¬
äußerungen erhalten. In dem gegenwärtigen Stadium würde ein Eingreifen
des Congresses nicht nur das Ehrgefühl unserer Nation tief verletzen, es würde
auch gänzlich unberechtigt und endßich völlig unnütz sein; über Pläne und Pro-
jecte für Reformen vermag eine Conferenz überhaupt nicht zu urtheilen. In
deutschen Verfassungsänderungen steht die erste Berathung und Beschlußfassung
bei einem Parlament deutscher Nation, die erste Zustimmung bei den Regierungen
des Bundes. Wenigstens die Westmächte der Conferenz haben Grund, sich zu
wahren, daß sie die liberale Grundlage ihres eignen politischen Handelns nicht
mit Füßen treten. Preußen und der Bund, soweit dieser bei der Conferenz
vertreten ist, würden die Aufgabe haben, die Einmischung des Auslandes, falls
diese überhaupt ernsthaft versucht wird, im gegenwärtigen Stadium dieser Frage
als nicht opportun zurückzuweisen, und wir theilen zur Zeit nicht die Sorge,
daß diese Angelegenheit in Paris die größten Schwierigkeiten bereiten wird.

In der Frage der Elbherzogthümer erhebt Preußen Ansprüche, welche recht¬
lich zweifelhaft, aber factisch im wirklichen Interesse Deutschlands und Preußens
sind. Die beispiellose Art, in welcher diese Angelegenheit bis jetzt durch die
Regierung behandelt wurde, hat auch seinen bestberechtigten Forderungen
eine europäische UnPopularität gegeben, die dadurch gesteigert wird, daß
in den Herzogthümern selbst der gute Wille des Anschlusses an Preußen gegen¬
wärtig nur in kleiner Minorität lebt. Bei solchem Sachverhältniß werden die
Ansprüche Preußens keinen leichten Stand haben. Aber diese Ansprüche sind
ihrer Natur nach elastisch, eine Restriktion derselben ist keineswegs einem Ver¬
lust an Landgebiet zu vergleichen, und noch immer ist eine Erledigung dieser
Frage denkbar, welche Preußens Ehre und berechtigten Ansprüchen Genüge
thut, ohne daß dem Staat dafür nach irgendeiner Seite ein Opfer zugemuthet
werden dürfte. Es scheint uns, daß dies auch von patriotischem Urtheil zu¬
weilen verkannt wird. Der preußische Staat ist gar nicht in der Lage, daß ihm
irgendein Gebietsaustausch zugemuthet werden darf, nicht das Kohlenbecken
Saarbrückens oder Oberschlesiens und nicht die Wälder der Grafschraft Glatz.
Es ist weder preußisches Bedürfniß, sich in der Weise zu vergrößern, daß es
sich einen kleinen Lappen Land abschneidet und einen größern ansetzt, noch ist
es ein wirkliches Interesse Europas, ihm solche Veränderung zuzumuthen.

Weit anders steht die Sache mit Oestreich. Von dem Kaiserstaat wird die
Abtretung Venetiens gefordert werden müssen, wie schonend auch die Form
sei. wenn nicht um Geld, dann um eine andere Gebietsentschädigung. Wir
wissen nicht, wie weit der Kaiser von Frankreich Urheber des Vorschlags ist,
welcher in der letzten Woche durch pariser Blätter gemacht wurde, daß solche
Entschädigung am besten in den Nordprovinzen der Türkei gefunden werden


SO*

Interpretation ihrer Stellung so stehen, daß sie erst wenn die Reformpläne zur
Thatsache werden, ein Anrecht auf Erklärungen und Abgabe von Willens¬
äußerungen erhalten. In dem gegenwärtigen Stadium würde ein Eingreifen
des Congresses nicht nur das Ehrgefühl unserer Nation tief verletzen, es würde
auch gänzlich unberechtigt und endßich völlig unnütz sein; über Pläne und Pro-
jecte für Reformen vermag eine Conferenz überhaupt nicht zu urtheilen. In
deutschen Verfassungsänderungen steht die erste Berathung und Beschlußfassung
bei einem Parlament deutscher Nation, die erste Zustimmung bei den Regierungen
des Bundes. Wenigstens die Westmächte der Conferenz haben Grund, sich zu
wahren, daß sie die liberale Grundlage ihres eignen politischen Handelns nicht
mit Füßen treten. Preußen und der Bund, soweit dieser bei der Conferenz
vertreten ist, würden die Aufgabe haben, die Einmischung des Auslandes, falls
diese überhaupt ernsthaft versucht wird, im gegenwärtigen Stadium dieser Frage
als nicht opportun zurückzuweisen, und wir theilen zur Zeit nicht die Sorge,
daß diese Angelegenheit in Paris die größten Schwierigkeiten bereiten wird.

In der Frage der Elbherzogthümer erhebt Preußen Ansprüche, welche recht¬
lich zweifelhaft, aber factisch im wirklichen Interesse Deutschlands und Preußens
sind. Die beispiellose Art, in welcher diese Angelegenheit bis jetzt durch die
Regierung behandelt wurde, hat auch seinen bestberechtigten Forderungen
eine europäische UnPopularität gegeben, die dadurch gesteigert wird, daß
in den Herzogthümern selbst der gute Wille des Anschlusses an Preußen gegen¬
wärtig nur in kleiner Minorität lebt. Bei solchem Sachverhältniß werden die
Ansprüche Preußens keinen leichten Stand haben. Aber diese Ansprüche sind
ihrer Natur nach elastisch, eine Restriktion derselben ist keineswegs einem Ver¬
lust an Landgebiet zu vergleichen, und noch immer ist eine Erledigung dieser
Frage denkbar, welche Preußens Ehre und berechtigten Ansprüchen Genüge
thut, ohne daß dem Staat dafür nach irgendeiner Seite ein Opfer zugemuthet
werden dürfte. Es scheint uns, daß dies auch von patriotischem Urtheil zu¬
weilen verkannt wird. Der preußische Staat ist gar nicht in der Lage, daß ihm
irgendein Gebietsaustausch zugemuthet werden darf, nicht das Kohlenbecken
Saarbrückens oder Oberschlesiens und nicht die Wälder der Grafschraft Glatz.
Es ist weder preußisches Bedürfniß, sich in der Weise zu vergrößern, daß es
sich einen kleinen Lappen Land abschneidet und einen größern ansetzt, noch ist
es ein wirkliches Interesse Europas, ihm solche Veränderung zuzumuthen.

Weit anders steht die Sache mit Oestreich. Von dem Kaiserstaat wird die
Abtretung Venetiens gefordert werden müssen, wie schonend auch die Form
sei. wenn nicht um Geld, dann um eine andere Gebietsentschädigung. Wir
wissen nicht, wie weit der Kaiser von Frankreich Urheber des Vorschlags ist,
welcher in der letzten Woche durch pariser Blätter gemacht wurde, daß solche
Entschädigung am besten in den Nordprovinzen der Türkei gefunden werden


SO*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/423>, abgerufen am 27.07.2024.