Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.glück beziehen; und mithin hat die alte Ueberlieferung doch nicht so sehr fehl¬ Man hätte erwarten sollen, daß eine so reflectirte Künstelei, wie die Das dritte Lied, welches eine weit künstlichere Form hat, da in ihm je Wenn und von wem diese fünf Lieder zusammengestellt sind, wissen wir glück beziehen; und mithin hat die alte Ueberlieferung doch nicht so sehr fehl¬ Man hätte erwarten sollen, daß eine so reflectirte Künstelei, wie die Das dritte Lied, welches eine weit künstlichere Form hat, da in ihm je Wenn und von wem diese fünf Lieder zusammengestellt sind, wissen wir <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285447"/> <p xml:id="ID_1268" prev="#ID_1267"> glück beziehen; und mithin hat die alte Ueberlieferung doch nicht so sehr fehl¬<lb/> gegriffen. Die nähere Bestimmung der Situation ist aber schwierig zu geben.<lb/> Das 4. Lied, welches sehr lebendig die letzten Schicksale Jerusalems darstellt,<lb/> scheint sogleich nach der Zerstörung gemacht zu sein, während dagegen das fünfte<lb/> den Zustand zu schildern scheint, der nach der Zerstörung und nach dem Scheitern<lb/> der Versuche, auf den Trümmern Judas unter chaldäischer Herrschaft einen<lb/> einigermaßen geordneten Zustand herzustellen, eintrat und geraume Zeit währte.<lb/> Jedenfalls schildern alle diese Lieder die Verwüstung der Hauptstadt und den<lb/> Jammer des Landes aus eigner unmittelbarer Erfahrung. Die Versasser waren<lb/> also Zeitgenossen des Jeremia und manche Anklänge an seine Redeweise erklären<lb/> sich schon aus diesem Umstände. Der große Einfluß, den seine langjährige<lb/> Wirksamkeit auf die frommen judäischen Kreise haben mußte, macht diese An¬<lb/> klänge noch begreiflicher. Aber seine eigentlich prophetische Ausfassung finden<lb/> wir in den Klageliedern doch nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1269"> Man hätte erwarten sollen, daß eine so reflectirte Künstelei, wie die<lb/> alphabetische Ordnung dem Ausdruck der Gefühle hemmender hätte sein sollen,<lb/> als es bei 1, 2 und 4 der Fall ist. Bei der Länge der Verse in diesen Liedern<lb/> ist aber die Form doch so leicht einzuhalten, daß sie für einen begabten Dichter<lb/> keine Fessel wird. Wir haben in diesen drei, sowie in dem nicht alphabetischen<lb/> fünften wirklich schöne Elegien. Es sind freilich weniger leidenschaftliche Klagen,<lb/> als schmerzliche Betrachtungen, Rückblicke und Schilderungen. Das didaktische<lb/> Element drängt sich mehrfach hervor und die Verwandtschaft mit der Lehrdichtung<lb/> Veranlaßte auch wohl die Wahl der alphabetischen Form, welche zur äußerlichen<lb/> Aneinanderreihung von Lehrsprüchen geeignet ist. Doch versteht sich von selbst,<lb/> daß das eigentlich lyrische Element bei solchen Liedern nicht ganz zurücktreten<lb/> kann. Natürlich herrscht die religiöse Stimmung überall vor. mag sie sich als<lb/> Neue über die Schuld, welche das Unglück verursacht bat, als flehentliche Bitte<lb/> zu Gott oder als Hoffnung auf die Erneuerung seiner Gnade aussprechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1270"> Das dritte Lied, welches eine weit künstlichere Form hat, da in ihm je<lb/> drei kurze Verse mit demselben Buchstaben beginnen, braucht nicht in dieselbe<lb/> Zeit gesetzt zu werden. Es ist bei Weitem das schwächste von allen. Die<lb/> schwierigere Form wird hier zum wirklichen Hinderniß für den Ausdruck. Die<lb/> Verse sind fast gar nicht gegliedert und Ker Form nach von der Prosa oft gar<lb/> nicht zu unterscheiden. Auch der Inhalt nähert sich oft der Prosa. Das Lied<lb/> betrifft zunächst die Leiden eines Einzelnen, die aber mit den Schicksalen des<lb/> ganzen Volkes zusammenhängen, in dessen Namen er auch spricht. Es ahmt<lb/> wahrscheinlich den andern Klageliedern nach, denen es an Alter vielleicht um<lb/> eine bedeutende Zeit nachsteht, wenn auch ganz gut möglich ist, daß es noch<lb/> w die Zeit vor der Rückkehr aus der Verbannung fällt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1271" next="#ID_1272"> Wenn und von wem diese fünf Lieder zusammengestellt sind, wissen wir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0419]
glück beziehen; und mithin hat die alte Ueberlieferung doch nicht so sehr fehl¬
gegriffen. Die nähere Bestimmung der Situation ist aber schwierig zu geben.
Das 4. Lied, welches sehr lebendig die letzten Schicksale Jerusalems darstellt,
scheint sogleich nach der Zerstörung gemacht zu sein, während dagegen das fünfte
den Zustand zu schildern scheint, der nach der Zerstörung und nach dem Scheitern
der Versuche, auf den Trümmern Judas unter chaldäischer Herrschaft einen
einigermaßen geordneten Zustand herzustellen, eintrat und geraume Zeit währte.
Jedenfalls schildern alle diese Lieder die Verwüstung der Hauptstadt und den
Jammer des Landes aus eigner unmittelbarer Erfahrung. Die Versasser waren
also Zeitgenossen des Jeremia und manche Anklänge an seine Redeweise erklären
sich schon aus diesem Umstände. Der große Einfluß, den seine langjährige
Wirksamkeit auf die frommen judäischen Kreise haben mußte, macht diese An¬
klänge noch begreiflicher. Aber seine eigentlich prophetische Ausfassung finden
wir in den Klageliedern doch nicht.
Man hätte erwarten sollen, daß eine so reflectirte Künstelei, wie die
alphabetische Ordnung dem Ausdruck der Gefühle hemmender hätte sein sollen,
als es bei 1, 2 und 4 der Fall ist. Bei der Länge der Verse in diesen Liedern
ist aber die Form doch so leicht einzuhalten, daß sie für einen begabten Dichter
keine Fessel wird. Wir haben in diesen drei, sowie in dem nicht alphabetischen
fünften wirklich schöne Elegien. Es sind freilich weniger leidenschaftliche Klagen,
als schmerzliche Betrachtungen, Rückblicke und Schilderungen. Das didaktische
Element drängt sich mehrfach hervor und die Verwandtschaft mit der Lehrdichtung
Veranlaßte auch wohl die Wahl der alphabetischen Form, welche zur äußerlichen
Aneinanderreihung von Lehrsprüchen geeignet ist. Doch versteht sich von selbst,
daß das eigentlich lyrische Element bei solchen Liedern nicht ganz zurücktreten
kann. Natürlich herrscht die religiöse Stimmung überall vor. mag sie sich als
Neue über die Schuld, welche das Unglück verursacht bat, als flehentliche Bitte
zu Gott oder als Hoffnung auf die Erneuerung seiner Gnade aussprechen.
Das dritte Lied, welches eine weit künstlichere Form hat, da in ihm je
drei kurze Verse mit demselben Buchstaben beginnen, braucht nicht in dieselbe
Zeit gesetzt zu werden. Es ist bei Weitem das schwächste von allen. Die
schwierigere Form wird hier zum wirklichen Hinderniß für den Ausdruck. Die
Verse sind fast gar nicht gegliedert und Ker Form nach von der Prosa oft gar
nicht zu unterscheiden. Auch der Inhalt nähert sich oft der Prosa. Das Lied
betrifft zunächst die Leiden eines Einzelnen, die aber mit den Schicksalen des
ganzen Volkes zusammenhängen, in dessen Namen er auch spricht. Es ahmt
wahrscheinlich den andern Klageliedern nach, denen es an Alter vielleicht um
eine bedeutende Zeit nachsteht, wenn auch ganz gut möglich ist, daß es noch
w die Zeit vor der Rückkehr aus der Verbannung fällt.
Wenn und von wem diese fünf Lieder zusammengestellt sind, wissen wir
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |