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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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wagte er sich einmal an die Rohheit eines adeligen Gutsbesitzers und die un¬
würdige Stellung des Hauslehrers und Pfarrers zu dem gnädigen Herrn. Er
war ein artiger Sachse, Steuerrevisor, -Secretär und zuletzt -Rath im Kurfürsten-
thum, geschätzter Mitarbeiter an den "Belustigungen des Verstandes und Witzes"
und später an den "Bremer Beiträgen", seine Laune war wie ein kurzes iro¬
nisches Lächeln auf einem sehr gutmüthigen und treuen Männergesicht; seine
satirische Malerei war keineswegs sein, es war im Grunde die alte Weise der
belehrenden Poesie, wie sie seit dem Is. Jahrhundert in unserer Literatur breiten
Raum eingenommen hat, sie führte die Thorheiten der Stände und Beruss-
classen in Uebertreibung und Parodie zur Warnung vor, wie die alten Prediger
oder Sebastian Brand. Auch das charakteristrende Detail, welches er zu ver¬
wenden hat, ist nicht reichlich, und es ist kein großer Kreis von Verbildungen,
welche er angreift, viel wortreicher und nicht so reich pointirt, als jetzt etwa
die Briefe deS Herrn v. Prudelwitz und Karlchen Mießnick. Das Alles ist
leicht zu übersehen. Aber das stille Lächeln, womit der sächsische Steuer-
secretär die Unarten seiner Umgebung und die eigene Todesgefahr durch
Kanonenkugeln begutachtete, wurde unmittelbar darauf zu der heiteren Ruhe,
womit Goethe alle irdischen Verhältnisse überschaute, und wieder kurz darauf
zu der begeisterten Tapferkeit, womit die Freiwilligen des Jahres 1813 den
Kanonen der Feinde entgegenstürmten. Auch der wackere Alte ist ein Verkünder
der befreienden und erhebenden Bildung, welche den Menschen in schwerer Stunde
größer macht, als die drohende Gefahr des Lebens und Sterbens ist.

Keiner der Zeitgenossen hat besser den Werth dieses Charakters gewürdigt,
als Goethe. In "Dichtung und Wahrheit" (Buch 6) stehen folgende schöne
Worte: "Nabeners Persönlichkeit wird nicht leicht wieder erscheinen. Als tüchtiger,
genauer Geschäftsmann thut er seine Pflicht, und erwirbt sich dadurch die gute
Meinung seiner Mitbürger und das Vertrauen seiner Oberen; nebenher über¬
läßt er sich zur Erholung einer heiteren Nichtachtung alles dessen, was ihn zu¬
nächst umgiebt. Pedantische Gelehrte, eitle Jünglinge, jede Art von Beschränkt¬
heit und Dünkel bescherzt er mehr, als daß er sie bespottete, und selbst sein
Spott drückt keine Verachtung aus. Ebenso spaße er über seinen eignen Zu¬
stand, über sein Unglück, sein Leben und seinen Tod.

Die Art, wie dieser Schriftsteller seine Gegenstände behandelt, hat wenig
Aesthetisches. In den äußeren Formen ist er zwar mannigfaltig genug, aber
durchaus bedient er sich der directen Ironie zu viel, daß er nämlich das Tadelns-
würdige lobt und das Lobenswürdige tadelt, welches rednerische Mittel nur
höchst selten angewendet werden sollte: denn auf die Dauer fällt es einsichtigen
Menschen verdrießlich, die schwachen macht es irre, und behagt freilich der
großen Mittelclasse, welche, ohne besondern Geistesauswand, sich klüger dünken
kann, als andere. Was er aber und wie er eS auch vorbringt, zeugt von seiner


wagte er sich einmal an die Rohheit eines adeligen Gutsbesitzers und die un¬
würdige Stellung des Hauslehrers und Pfarrers zu dem gnädigen Herrn. Er
war ein artiger Sachse, Steuerrevisor, -Secretär und zuletzt -Rath im Kurfürsten-
thum, geschätzter Mitarbeiter an den „Belustigungen des Verstandes und Witzes"
und später an den „Bremer Beiträgen", seine Laune war wie ein kurzes iro¬
nisches Lächeln auf einem sehr gutmüthigen und treuen Männergesicht; seine
satirische Malerei war keineswegs sein, es war im Grunde die alte Weise der
belehrenden Poesie, wie sie seit dem Is. Jahrhundert in unserer Literatur breiten
Raum eingenommen hat, sie führte die Thorheiten der Stände und Beruss-
classen in Uebertreibung und Parodie zur Warnung vor, wie die alten Prediger
oder Sebastian Brand. Auch das charakteristrende Detail, welches er zu ver¬
wenden hat, ist nicht reichlich, und es ist kein großer Kreis von Verbildungen,
welche er angreift, viel wortreicher und nicht so reich pointirt, als jetzt etwa
die Briefe deS Herrn v. Prudelwitz und Karlchen Mießnick. Das Alles ist
leicht zu übersehen. Aber das stille Lächeln, womit der sächsische Steuer-
secretär die Unarten seiner Umgebung und die eigene Todesgefahr durch
Kanonenkugeln begutachtete, wurde unmittelbar darauf zu der heiteren Ruhe,
womit Goethe alle irdischen Verhältnisse überschaute, und wieder kurz darauf
zu der begeisterten Tapferkeit, womit die Freiwilligen des Jahres 1813 den
Kanonen der Feinde entgegenstürmten. Auch der wackere Alte ist ein Verkünder
der befreienden und erhebenden Bildung, welche den Menschen in schwerer Stunde
größer macht, als die drohende Gefahr des Lebens und Sterbens ist.

Keiner der Zeitgenossen hat besser den Werth dieses Charakters gewürdigt,
als Goethe. In „Dichtung und Wahrheit" (Buch 6) stehen folgende schöne
Worte: „Nabeners Persönlichkeit wird nicht leicht wieder erscheinen. Als tüchtiger,
genauer Geschäftsmann thut er seine Pflicht, und erwirbt sich dadurch die gute
Meinung seiner Mitbürger und das Vertrauen seiner Oberen; nebenher über¬
läßt er sich zur Erholung einer heiteren Nichtachtung alles dessen, was ihn zu¬
nächst umgiebt. Pedantische Gelehrte, eitle Jünglinge, jede Art von Beschränkt¬
heit und Dünkel bescherzt er mehr, als daß er sie bespottete, und selbst sein
Spott drückt keine Verachtung aus. Ebenso spaße er über seinen eignen Zu¬
stand, über sein Unglück, sein Leben und seinen Tod.

Die Art, wie dieser Schriftsteller seine Gegenstände behandelt, hat wenig
Aesthetisches. In den äußeren Formen ist er zwar mannigfaltig genug, aber
durchaus bedient er sich der directen Ironie zu viel, daß er nämlich das Tadelns-
würdige lobt und das Lobenswürdige tadelt, welches rednerische Mittel nur
höchst selten angewendet werden sollte: denn auf die Dauer fällt es einsichtigen
Menschen verdrießlich, die schwachen macht es irre, und behagt freilich der
großen Mittelclasse, welche, ohne besondern Geistesauswand, sich klüger dünken
kann, als andere. Was er aber und wie er eS auch vorbringt, zeugt von seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/410>, abgerufen am 27.07.2024.