Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kein Friede, sondern nicht einmal ein partieller Waffenstillstand. Allerdings hat
man, seitdem Winter an Werrens Stelle getreten, aufgehört, den ganzen öffent¬
lichen Dienst im einseitigsten Parteiinteresse zu verwerthen, und begonnen, an
Wiederherstellung einer auf Rechtsbegriffe basirten Verwaltung zu arbeiten; und
diese Arbeit ist nicht leicht bei den von Werren eingesetzten Beamten, bei deren
Auswahl mehr auf "Gesinnung", d. h. auf Parteigeist, und weniger auf Be¬
fähigung, Kenntnisse und Würdigkeit gesehen wurde. Im Uebrigen ist die
Negierung im Großen und Ganzen gegenüber den Bedürfnissen und Wünschen
des Landes auf ihrem negativen Standpunkte stehen geblieben. Es giebt
wenig Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung, worüber nicht zwischen ihr
und den Ständen auch jetzt noch die ernstlichsten Differenzen beständen, ohne
eine irgend erkennbare Absicht und Aussicht auf Verständigung und Ausgleichung.
Die Ursache hiervon wird von Einigen darin gesucht, daß Werren, den man
neuerdings wieder aus den Hofhallen sah, und der immer noch Mitglied des
Staatsraths ist, wieder großen Einfluß gewonnen habe, -- was wir bezweifeln
--, von Andern darin, daß Winter nicht den hinreichenden Einfluß habe und
von der Hofpartei heimlich bekämpft werde, -- was schon eher wahr sein kann.
Allein uns scheint der Grund wo anders zu liegen, nämlich darin, daß man an
entscheidender Stelle nicht zu einem festen Entschluß in der Hauptsache --
in der Verfassungsfrage -- zu kommen vermag, zum Theil wohl deshalb,
weil man von ihr ein Wiederaufleben der durch die Vereinbarung von 1860
glücklich beseitigten Domänenfrage fürchtet. Aber je länger man zögert, desto
schwerer wird der unabweisbar nothwendige Schritt. Je öfter man das Angebot
der stbyllinischen Bücher zurückweist, desto mehr steigt der Preis und desto mehr
vermindert sich das Object. Je mehr man Scheu zeigt, desto mehr weckt man
Mißtrauen; und je höher das Mißtrauen steigt, desto stärkere Garantien werden
verlangt werden, müssen verlangt werden.

Wir wollen hier nicht die einzelnen Differenzen discutiren. Wir meinen,
wenn man beiderseits den ehrlichen Willen zu einer Verständigung hat -- und
warum sollte man ihn nicht haben, da die Negierung den Frieden bedarf
und das Land ihn wünscht? --, dann soll man nicht zu lange bei secundären
Einzelnheiten verweilen, sondern entschlossen dem Kern der Frage zu Leibe
gehn. Hier muß man einander beiderseits Garantien des Wohlwollens und
der Aufrichtigkeit der Gesinnung für die Zukunft geben. Worin dieselben zu
bestehen haben, darüber kann nach Lage der Sache kaum ein Zweifel obwalten.
Die Stände müssen und würden -- würden wenigstens, so glauben wir, im
gegenwärtigen Augenblicke noch -- der Regierung sich dahin verpflichten, daß
an dem Abkommen wegen der Domänenfrage nicht gerüttelt, daß dasselbe viel¬
mehr, nachdem an die Stelle des jetzigen, aus octroyirter Grundlage stehenden
Landtags, die legitime Vertretung getreten ist, von der letzteren feierlich aufs


kein Friede, sondern nicht einmal ein partieller Waffenstillstand. Allerdings hat
man, seitdem Winter an Werrens Stelle getreten, aufgehört, den ganzen öffent¬
lichen Dienst im einseitigsten Parteiinteresse zu verwerthen, und begonnen, an
Wiederherstellung einer auf Rechtsbegriffe basirten Verwaltung zu arbeiten; und
diese Arbeit ist nicht leicht bei den von Werren eingesetzten Beamten, bei deren
Auswahl mehr auf „Gesinnung", d. h. auf Parteigeist, und weniger auf Be¬
fähigung, Kenntnisse und Würdigkeit gesehen wurde. Im Uebrigen ist die
Negierung im Großen und Ganzen gegenüber den Bedürfnissen und Wünschen
des Landes auf ihrem negativen Standpunkte stehen geblieben. Es giebt
wenig Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung, worüber nicht zwischen ihr
und den Ständen auch jetzt noch die ernstlichsten Differenzen beständen, ohne
eine irgend erkennbare Absicht und Aussicht auf Verständigung und Ausgleichung.
Die Ursache hiervon wird von Einigen darin gesucht, daß Werren, den man
neuerdings wieder aus den Hofhallen sah, und der immer noch Mitglied des
Staatsraths ist, wieder großen Einfluß gewonnen habe, — was wir bezweifeln
—, von Andern darin, daß Winter nicht den hinreichenden Einfluß habe und
von der Hofpartei heimlich bekämpft werde, — was schon eher wahr sein kann.
Allein uns scheint der Grund wo anders zu liegen, nämlich darin, daß man an
entscheidender Stelle nicht zu einem festen Entschluß in der Hauptsache —
in der Verfassungsfrage — zu kommen vermag, zum Theil wohl deshalb,
weil man von ihr ein Wiederaufleben der durch die Vereinbarung von 1860
glücklich beseitigten Domänenfrage fürchtet. Aber je länger man zögert, desto
schwerer wird der unabweisbar nothwendige Schritt. Je öfter man das Angebot
der stbyllinischen Bücher zurückweist, desto mehr steigt der Preis und desto mehr
vermindert sich das Object. Je mehr man Scheu zeigt, desto mehr weckt man
Mißtrauen; und je höher das Mißtrauen steigt, desto stärkere Garantien werden
verlangt werden, müssen verlangt werden.

Wir wollen hier nicht die einzelnen Differenzen discutiren. Wir meinen,
wenn man beiderseits den ehrlichen Willen zu einer Verständigung hat — und
warum sollte man ihn nicht haben, da die Negierung den Frieden bedarf
und das Land ihn wünscht? —, dann soll man nicht zu lange bei secundären
Einzelnheiten verweilen, sondern entschlossen dem Kern der Frage zu Leibe
gehn. Hier muß man einander beiderseits Garantien des Wohlwollens und
der Aufrichtigkeit der Gesinnung für die Zukunft geben. Worin dieselben zu
bestehen haben, darüber kann nach Lage der Sache kaum ein Zweifel obwalten.
Die Stände müssen und würden — würden wenigstens, so glauben wir, im
gegenwärtigen Augenblicke noch — der Regierung sich dahin verpflichten, daß
an dem Abkommen wegen der Domänenfrage nicht gerüttelt, daß dasselbe viel¬
mehr, nachdem an die Stelle des jetzigen, aus octroyirter Grundlage stehenden
Landtags, die legitime Vertretung getreten ist, von der letzteren feierlich aufs


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285434"/>
          <p xml:id="ID_1226" prev="#ID_1225"> kein Friede, sondern nicht einmal ein partieller Waffenstillstand. Allerdings hat<lb/>
man, seitdem Winter an Werrens Stelle getreten, aufgehört, den ganzen öffent¬<lb/>
lichen Dienst im einseitigsten Parteiinteresse zu verwerthen, und begonnen, an<lb/>
Wiederherstellung einer auf Rechtsbegriffe basirten Verwaltung zu arbeiten; und<lb/>
diese Arbeit ist nicht leicht bei den von Werren eingesetzten Beamten, bei deren<lb/>
Auswahl mehr auf &#x201E;Gesinnung", d. h. auf Parteigeist, und weniger auf Be¬<lb/>
fähigung, Kenntnisse und Würdigkeit gesehen wurde. Im Uebrigen ist die<lb/>
Negierung im Großen und Ganzen gegenüber den Bedürfnissen und Wünschen<lb/>
des Landes auf ihrem negativen Standpunkte stehen geblieben. Es giebt<lb/>
wenig Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung, worüber nicht zwischen ihr<lb/>
und den Ständen auch jetzt noch die ernstlichsten Differenzen beständen, ohne<lb/>
eine irgend erkennbare Absicht und Aussicht auf Verständigung und Ausgleichung.<lb/>
Die Ursache hiervon wird von Einigen darin gesucht, daß Werren, den man<lb/>
neuerdings wieder aus den Hofhallen sah, und der immer noch Mitglied des<lb/>
Staatsraths ist, wieder großen Einfluß gewonnen habe, &#x2014; was wir bezweifeln<lb/>
&#x2014;, von Andern darin, daß Winter nicht den hinreichenden Einfluß habe und<lb/>
von der Hofpartei heimlich bekämpft werde, &#x2014; was schon eher wahr sein kann.<lb/>
Allein uns scheint der Grund wo anders zu liegen, nämlich darin, daß man an<lb/>
entscheidender Stelle nicht zu einem festen Entschluß in der Hauptsache &#x2014;<lb/>
in der Verfassungsfrage &#x2014; zu kommen vermag, zum Theil wohl deshalb,<lb/>
weil man von ihr ein Wiederaufleben der durch die Vereinbarung von 1860<lb/>
glücklich beseitigten Domänenfrage fürchtet. Aber je länger man zögert, desto<lb/>
schwerer wird der unabweisbar nothwendige Schritt. Je öfter man das Angebot<lb/>
der stbyllinischen Bücher zurückweist, desto mehr steigt der Preis und desto mehr<lb/>
vermindert sich das Object. Je mehr man Scheu zeigt, desto mehr weckt man<lb/>
Mißtrauen; und je höher das Mißtrauen steigt, desto stärkere Garantien werden<lb/>
verlangt werden, müssen verlangt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1227" next="#ID_1228"> Wir wollen hier nicht die einzelnen Differenzen discutiren. Wir meinen,<lb/>
wenn man beiderseits den ehrlichen Willen zu einer Verständigung hat &#x2014; und<lb/>
warum sollte man ihn nicht haben, da die Negierung den Frieden bedarf<lb/>
und das Land ihn wünscht? &#x2014;, dann soll man nicht zu lange bei secundären<lb/>
Einzelnheiten verweilen, sondern entschlossen dem Kern der Frage zu Leibe<lb/>
gehn. Hier muß man einander beiderseits Garantien des Wohlwollens und<lb/>
der Aufrichtigkeit der Gesinnung für die Zukunft geben. Worin dieselben zu<lb/>
bestehen haben, darüber kann nach Lage der Sache kaum ein Zweifel obwalten.<lb/>
Die Stände müssen und würden &#x2014; würden wenigstens, so glauben wir, im<lb/>
gegenwärtigen Augenblicke noch &#x2014; der Regierung sich dahin verpflichten, daß<lb/>
an dem Abkommen wegen der Domänenfrage nicht gerüttelt, daß dasselbe viel¬<lb/>
mehr, nachdem an die Stelle des jetzigen, aus octroyirter Grundlage stehenden<lb/>
Landtags, die legitime Vertretung getreten ist, von der letzteren feierlich aufs</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] kein Friede, sondern nicht einmal ein partieller Waffenstillstand. Allerdings hat man, seitdem Winter an Werrens Stelle getreten, aufgehört, den ganzen öffent¬ lichen Dienst im einseitigsten Parteiinteresse zu verwerthen, und begonnen, an Wiederherstellung einer auf Rechtsbegriffe basirten Verwaltung zu arbeiten; und diese Arbeit ist nicht leicht bei den von Werren eingesetzten Beamten, bei deren Auswahl mehr auf „Gesinnung", d. h. auf Parteigeist, und weniger auf Be¬ fähigung, Kenntnisse und Würdigkeit gesehen wurde. Im Uebrigen ist die Negierung im Großen und Ganzen gegenüber den Bedürfnissen und Wünschen des Landes auf ihrem negativen Standpunkte stehen geblieben. Es giebt wenig Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung, worüber nicht zwischen ihr und den Ständen auch jetzt noch die ernstlichsten Differenzen beständen, ohne eine irgend erkennbare Absicht und Aussicht auf Verständigung und Ausgleichung. Die Ursache hiervon wird von Einigen darin gesucht, daß Werren, den man neuerdings wieder aus den Hofhallen sah, und der immer noch Mitglied des Staatsraths ist, wieder großen Einfluß gewonnen habe, — was wir bezweifeln —, von Andern darin, daß Winter nicht den hinreichenden Einfluß habe und von der Hofpartei heimlich bekämpft werde, — was schon eher wahr sein kann. Allein uns scheint der Grund wo anders zu liegen, nämlich darin, daß man an entscheidender Stelle nicht zu einem festen Entschluß in der Hauptsache — in der Verfassungsfrage — zu kommen vermag, zum Theil wohl deshalb, weil man von ihr ein Wiederaufleben der durch die Vereinbarung von 1860 glücklich beseitigten Domänenfrage fürchtet. Aber je länger man zögert, desto schwerer wird der unabweisbar nothwendige Schritt. Je öfter man das Angebot der stbyllinischen Bücher zurückweist, desto mehr steigt der Preis und desto mehr vermindert sich das Object. Je mehr man Scheu zeigt, desto mehr weckt man Mißtrauen; und je höher das Mißtrauen steigt, desto stärkere Garantien werden verlangt werden, müssen verlangt werden. Wir wollen hier nicht die einzelnen Differenzen discutiren. Wir meinen, wenn man beiderseits den ehrlichen Willen zu einer Verständigung hat — und warum sollte man ihn nicht haben, da die Negierung den Frieden bedarf und das Land ihn wünscht? —, dann soll man nicht zu lange bei secundären Einzelnheiten verweilen, sondern entschlossen dem Kern der Frage zu Leibe gehn. Hier muß man einander beiderseits Garantien des Wohlwollens und der Aufrichtigkeit der Gesinnung für die Zukunft geben. Worin dieselben zu bestehen haben, darüber kann nach Lage der Sache kaum ein Zweifel obwalten. Die Stände müssen und würden — würden wenigstens, so glauben wir, im gegenwärtigen Augenblicke noch — der Regierung sich dahin verpflichten, daß an dem Abkommen wegen der Domänenfrage nicht gerüttelt, daß dasselbe viel¬ mehr, nachdem an die Stelle des jetzigen, aus octroyirter Grundlage stehenden Landtags, die legitime Vertretung getreten ist, von der letzteren feierlich aufs

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/406>, abgerufen am 28.07.2024.