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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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wüthende Zechen. Es entstand sogar in Süddeutschland eine Art Mäßigkeits¬
verein, dem Kurfürsten, Markgrafen und Bischöfe veitraten, und selbst in den
Kreisen der Studirenden scheint etwas von der Reaction des Verstandes gegen
die allgemeine Tollheit Eingang gefunden zu haben. Ungewöhnlich sanft und
sittsam geberdet sich ein poetisches Product dieser Zeit, welches 1588 in Har-
nischs "Neuen auserlesenen Liedern" zuerst gedruckt erscheint und des Contrastes
wegen, in welchem es zu der sogleich ausführlicher zu schildernden wilden Regel
der damaligen Zecherbrüderschaften steht, hier Platz finden mag. Wir nennen
es mit Hoffmann, der es in seinen "Deutschen Gesellschaftsliedern" mittheilt,
"Studentenleben". Es lautet:

"Gottesfürchtig sein und streben
Den freien Künsten nach,
In Fröhlichkeiten leben,
Mit Jungfmun scherzen auch,
Ist der Studenten allen
Höchstes und bestes Gut,
Darob sie auch gefallen
Viel manchem jungen Blut.
Verwegen laß ich fahren
Viel Geld und Reichthum groß,
Gott auch allein bewahren,
Neben mich in seinen Schooß.
Frau Sophi will ich folgen
Durch mannichs schöne Land
Und geben alles Sorgen
Dem Reichen in die Hand.
In Fröhlichkeiten scherzen
Keim zu verkehren steht,
Beim Wein sich auch ergehen
In Mäßigkeiten stets.
Kann Gott nicht mißgefallen,
Welcher den Rebensaft
Zu Nutzen unser allen
Reichlich erschaffen hat."

Aber die Poesie, welche der Humanismus mit seiner Urbanität in das
Leben der höheren Classen brachte, war nur für die feiner organistrten Geister.
Die große Masse ließ nicht von ihrer Art und versank immer tiefer in Krug
und Faß. Den Moralisten gegenüber pries der Humor des Weinkellers in
Schriften wie Kochs "of arts bidonäi libri trss" das Zechen förmlich als
Kunst und die Trunkenheit als empfehlenswerten'Zustand. Im Gegensatz zu


Grenzboten II. 18KK. 44

wüthende Zechen. Es entstand sogar in Süddeutschland eine Art Mäßigkeits¬
verein, dem Kurfürsten, Markgrafen und Bischöfe veitraten, und selbst in den
Kreisen der Studirenden scheint etwas von der Reaction des Verstandes gegen
die allgemeine Tollheit Eingang gefunden zu haben. Ungewöhnlich sanft und
sittsam geberdet sich ein poetisches Product dieser Zeit, welches 1588 in Har-
nischs „Neuen auserlesenen Liedern" zuerst gedruckt erscheint und des Contrastes
wegen, in welchem es zu der sogleich ausführlicher zu schildernden wilden Regel
der damaligen Zecherbrüderschaften steht, hier Platz finden mag. Wir nennen
es mit Hoffmann, der es in seinen »Deutschen Gesellschaftsliedern" mittheilt,
»Studentenleben". Es lautet:

„Gottesfürchtig sein und streben
Den freien Künsten nach,
In Fröhlichkeiten leben,
Mit Jungfmun scherzen auch,
Ist der Studenten allen
Höchstes und bestes Gut,
Darob sie auch gefallen
Viel manchem jungen Blut.
Verwegen laß ich fahren
Viel Geld und Reichthum groß,
Gott auch allein bewahren,
Neben mich in seinen Schooß.
Frau Sophi will ich folgen
Durch mannichs schöne Land
Und geben alles Sorgen
Dem Reichen in die Hand.
In Fröhlichkeiten scherzen
Keim zu verkehren steht,
Beim Wein sich auch ergehen
In Mäßigkeiten stets.
Kann Gott nicht mißgefallen,
Welcher den Rebensaft
Zu Nutzen unser allen
Reichlich erschaffen hat."

Aber die Poesie, welche der Humanismus mit seiner Urbanität in das
Leben der höheren Classen brachte, war nur für die feiner organistrten Geister.
Die große Masse ließ nicht von ihrer Art und versank immer tiefer in Krug
und Faß. Den Moralisten gegenüber pries der Humor des Weinkellers in
Schriften wie Kochs „of arts bidonäi libri trss" das Zechen förmlich als
Kunst und die Trunkenheit als empfehlenswerten'Zustand. Im Gegensatz zu


Grenzboten II. 18KK. 44
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[0371] wüthende Zechen. Es entstand sogar in Süddeutschland eine Art Mäßigkeits¬ verein, dem Kurfürsten, Markgrafen und Bischöfe veitraten, und selbst in den Kreisen der Studirenden scheint etwas von der Reaction des Verstandes gegen die allgemeine Tollheit Eingang gefunden zu haben. Ungewöhnlich sanft und sittsam geberdet sich ein poetisches Product dieser Zeit, welches 1588 in Har- nischs „Neuen auserlesenen Liedern" zuerst gedruckt erscheint und des Contrastes wegen, in welchem es zu der sogleich ausführlicher zu schildernden wilden Regel der damaligen Zecherbrüderschaften steht, hier Platz finden mag. Wir nennen es mit Hoffmann, der es in seinen »Deutschen Gesellschaftsliedern" mittheilt, »Studentenleben". Es lautet: „Gottesfürchtig sein und streben Den freien Künsten nach, In Fröhlichkeiten leben, Mit Jungfmun scherzen auch, Ist der Studenten allen Höchstes und bestes Gut, Darob sie auch gefallen Viel manchem jungen Blut. Verwegen laß ich fahren Viel Geld und Reichthum groß, Gott auch allein bewahren, Neben mich in seinen Schooß. Frau Sophi will ich folgen Durch mannichs schöne Land Und geben alles Sorgen Dem Reichen in die Hand. In Fröhlichkeiten scherzen Keim zu verkehren steht, Beim Wein sich auch ergehen In Mäßigkeiten stets. Kann Gott nicht mißgefallen, Welcher den Rebensaft Zu Nutzen unser allen Reichlich erschaffen hat." Aber die Poesie, welche der Humanismus mit seiner Urbanität in das Leben der höheren Classen brachte, war nur für die feiner organistrten Geister. Die große Masse ließ nicht von ihrer Art und versank immer tiefer in Krug und Faß. Den Moralisten gegenüber pries der Humor des Weinkellers in Schriften wie Kochs „of arts bidonäi libri trss" das Zechen förmlich als Kunst und die Trunkenheit als empfehlenswerten'Zustand. Im Gegensatz zu Grenzboten II. 18KK. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/371>, abgerufen am 28.07.2024.