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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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sofort eine Probe giebt, die er mit etlichen mysteriösen Gesten, Bekreuzigungen
u. tgi. begleitet. Wo diese Worte gesprochen werden, da kann, so erklärt er
den Zuhörern, niemand erstochen werden, der Blitz nicht einschlagen, kein böser
Geist die Schwelle überschreiten, das Vieh nicht erkranken, überhaupt kein Un¬
glück vorfallen. Die Bauern glauben ihm gewöhnlich und bezahlen ihm die
Wohlthat des Spruches, begehren wohl auch mehr von der Weisheit des Va¬
ganten, die ihnen dann für Geld und gute Worte zu Theil wird. Der fahrende
Schüler weiß Schätze auszuwittern und zu heben, wobei er mit einem Degen
mystische Kreise zieht, Lichter anzündet, die geweiht sein sollen, und aus einem
großen Buch Geister citirt. Er erräth die Zukunft, schafft Verlornes und Ge-
siohlnes durch Bannspruch herbei, heilt Augen- und Zahnweh, Fieber und an¬
deres Siechthum durch Sympathie, verkauft Wundersegen, Sprüche und Amulete,
die hieb-, stich- und schußfest machen, und hat Macht über das wüthende Heer,
in welchem alle umgetauft verstorbnen Kinder und alle in der Schlacht, durch
Selbstmord oder sonst gewaltsam Angekommenen sich befinden. Er handelt
ferner bisweilen mit Salben, Tränkchen, Theriak, Biehpulver und andrer Volks¬
medicin. Manche endlich ziehen wohl auch mit einem Gebetlein des heiligen
Antonius oder Gregorius oder eines andern mächtigen Gottesmanns herum,
welches die Tugend besitzt, so oft es gesprochen wird, eine arme Seele aus dem
Fegefeuer zu erlösen.

Dies ist aber nur die eine Classe der fahrenden Schüler, diejenige, welche
sich giebt, als ob sie alles Wissen bereits absolvirt habe, während sie im Grunde
wenig oder nichts mit Schulen und Universitäten gemein hat und von deren
Wissenschaft im besten Falle nur einige Brocken bei sich führt. Sie begann,
wie bemerkt, schon im vierzehnten Jahrhundert das Land unsicher zu machen,
wurde in der Zeit der Reformation sehr zahlreich und läßt sich bis über den
dreißigjährigen Krieg hinaus verfolgen. Ja im Süden Deutschlands, der mit
seinem Vorwiegen des Katholicismus das Volk noch weit später in mittelalter¬
licher Dämmerung erhalten sah und in dem ein vielverwinkeltes und ver-
schlungnes Gewirr kleiner Grafschaften und Fürstenthümer ebenso viele Asyle
für Bettler und Gauner darbot, lebte sie bis tief in die Zeit hinein fort, wo
die Polizei bereits eine Macht geworden war.

Eine andere Classe fahrender Schüler entwickelte sich, wie es scheint, erst
mit dem Auftreten der Humanisten. Wie früher bemerkt, gründeten einige der
letzteren gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts Privatschulen, die rasch
großen Ruf erlangten und strebsame Gemüther auch aus dem niedern Volke
an sich zogen, in dessen Kreisen der Geist der anbrechenden neuen Zeit ganz
ebenso zu rumoren, zu drängen und in die Höhe und Ferne zu treiben begann,
wie in den obern Schichten der Gesellschaft. Auch der kleine Mann, das Kind
des Bauern und des Handwerkers gerieth in das Schwärmen der Zeit, und

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sofort eine Probe giebt, die er mit etlichen mysteriösen Gesten, Bekreuzigungen
u. tgi. begleitet. Wo diese Worte gesprochen werden, da kann, so erklärt er
den Zuhörern, niemand erstochen werden, der Blitz nicht einschlagen, kein böser
Geist die Schwelle überschreiten, das Vieh nicht erkranken, überhaupt kein Un¬
glück vorfallen. Die Bauern glauben ihm gewöhnlich und bezahlen ihm die
Wohlthat des Spruches, begehren wohl auch mehr von der Weisheit des Va¬
ganten, die ihnen dann für Geld und gute Worte zu Theil wird. Der fahrende
Schüler weiß Schätze auszuwittern und zu heben, wobei er mit einem Degen
mystische Kreise zieht, Lichter anzündet, die geweiht sein sollen, und aus einem
großen Buch Geister citirt. Er erräth die Zukunft, schafft Verlornes und Ge-
siohlnes durch Bannspruch herbei, heilt Augen- und Zahnweh, Fieber und an¬
deres Siechthum durch Sympathie, verkauft Wundersegen, Sprüche und Amulete,
die hieb-, stich- und schußfest machen, und hat Macht über das wüthende Heer,
in welchem alle umgetauft verstorbnen Kinder und alle in der Schlacht, durch
Selbstmord oder sonst gewaltsam Angekommenen sich befinden. Er handelt
ferner bisweilen mit Salben, Tränkchen, Theriak, Biehpulver und andrer Volks¬
medicin. Manche endlich ziehen wohl auch mit einem Gebetlein des heiligen
Antonius oder Gregorius oder eines andern mächtigen Gottesmanns herum,
welches die Tugend besitzt, so oft es gesprochen wird, eine arme Seele aus dem
Fegefeuer zu erlösen.

Dies ist aber nur die eine Classe der fahrenden Schüler, diejenige, welche
sich giebt, als ob sie alles Wissen bereits absolvirt habe, während sie im Grunde
wenig oder nichts mit Schulen und Universitäten gemein hat und von deren
Wissenschaft im besten Falle nur einige Brocken bei sich führt. Sie begann,
wie bemerkt, schon im vierzehnten Jahrhundert das Land unsicher zu machen,
wurde in der Zeit der Reformation sehr zahlreich und läßt sich bis über den
dreißigjährigen Krieg hinaus verfolgen. Ja im Süden Deutschlands, der mit
seinem Vorwiegen des Katholicismus das Volk noch weit später in mittelalter¬
licher Dämmerung erhalten sah und in dem ein vielverwinkeltes und ver-
schlungnes Gewirr kleiner Grafschaften und Fürstenthümer ebenso viele Asyle
für Bettler und Gauner darbot, lebte sie bis tief in die Zeit hinein fort, wo
die Polizei bereits eine Macht geworden war.

Eine andere Classe fahrender Schüler entwickelte sich, wie es scheint, erst
mit dem Auftreten der Humanisten. Wie früher bemerkt, gründeten einige der
letzteren gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts Privatschulen, die rasch
großen Ruf erlangten und strebsame Gemüther auch aus dem niedern Volke
an sich zogen, in dessen Kreisen der Geist der anbrechenden neuen Zeit ganz
ebenso zu rumoren, zu drängen und in die Höhe und Ferne zu treiben begann,
wie in den obern Schichten der Gesellschaft. Auch der kleine Mann, das Kind
des Bauern und des Handwerkers gerieth in das Schwärmen der Zeit, und

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[0364] sofort eine Probe giebt, die er mit etlichen mysteriösen Gesten, Bekreuzigungen u. tgi. begleitet. Wo diese Worte gesprochen werden, da kann, so erklärt er den Zuhörern, niemand erstochen werden, der Blitz nicht einschlagen, kein böser Geist die Schwelle überschreiten, das Vieh nicht erkranken, überhaupt kein Un¬ glück vorfallen. Die Bauern glauben ihm gewöhnlich und bezahlen ihm die Wohlthat des Spruches, begehren wohl auch mehr von der Weisheit des Va¬ ganten, die ihnen dann für Geld und gute Worte zu Theil wird. Der fahrende Schüler weiß Schätze auszuwittern und zu heben, wobei er mit einem Degen mystische Kreise zieht, Lichter anzündet, die geweiht sein sollen, und aus einem großen Buch Geister citirt. Er erräth die Zukunft, schafft Verlornes und Ge- siohlnes durch Bannspruch herbei, heilt Augen- und Zahnweh, Fieber und an¬ deres Siechthum durch Sympathie, verkauft Wundersegen, Sprüche und Amulete, die hieb-, stich- und schußfest machen, und hat Macht über das wüthende Heer, in welchem alle umgetauft verstorbnen Kinder und alle in der Schlacht, durch Selbstmord oder sonst gewaltsam Angekommenen sich befinden. Er handelt ferner bisweilen mit Salben, Tränkchen, Theriak, Biehpulver und andrer Volks¬ medicin. Manche endlich ziehen wohl auch mit einem Gebetlein des heiligen Antonius oder Gregorius oder eines andern mächtigen Gottesmanns herum, welches die Tugend besitzt, so oft es gesprochen wird, eine arme Seele aus dem Fegefeuer zu erlösen. Dies ist aber nur die eine Classe der fahrenden Schüler, diejenige, welche sich giebt, als ob sie alles Wissen bereits absolvirt habe, während sie im Grunde wenig oder nichts mit Schulen und Universitäten gemein hat und von deren Wissenschaft im besten Falle nur einige Brocken bei sich führt. Sie begann, wie bemerkt, schon im vierzehnten Jahrhundert das Land unsicher zu machen, wurde in der Zeit der Reformation sehr zahlreich und läßt sich bis über den dreißigjährigen Krieg hinaus verfolgen. Ja im Süden Deutschlands, der mit seinem Vorwiegen des Katholicismus das Volk noch weit später in mittelalter¬ licher Dämmerung erhalten sah und in dem ein vielverwinkeltes und ver- schlungnes Gewirr kleiner Grafschaften und Fürstenthümer ebenso viele Asyle für Bettler und Gauner darbot, lebte sie bis tief in die Zeit hinein fort, wo die Polizei bereits eine Macht geworden war. Eine andere Classe fahrender Schüler entwickelte sich, wie es scheint, erst mit dem Auftreten der Humanisten. Wie früher bemerkt, gründeten einige der letzteren gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts Privatschulen, die rasch großen Ruf erlangten und strebsame Gemüther auch aus dem niedern Volke an sich zogen, in dessen Kreisen der Geist der anbrechenden neuen Zeit ganz ebenso zu rumoren, zu drängen und in die Höhe und Ferne zu treiben begann, wie in den obern Schichten der Gesellschaft. Auch der kleine Mann, das Kind des Bauern und des Handwerkers gerieth in das Schwärmen der Zeit, und «

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/364>, abgerufen am 28.07.2024.