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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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sind, ist die "Vermuthung" Wolzvgens, daß Rafciel im Jahre 1495 zu Perugino
in die Lehre gekommen sei (S. 23), kaum verzeihlich. Nicht minder bedenklich
fällt der Versuch aus, die künstlerische Erziehung Peruginos mit der Bemerkung
zu charakterisiren, "er sei von Niccolo Alunno aus Foligno und Andrea Ver-
rocchio gebildet." (S. 23). Für die Richtigkeit des letzten Namens spricht zwar
sowohl Vasari als auch verschiedene kritische Analysen; für den ersteren fehlt es
indessen an jeglichem Beweis. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Alunno, dessen
Stil sich zuerst nach dem Studium der Werke Benozzo Gozzolis umbildete, in
gewissem Grade aus die Wandelung der alten Peruginischen Schule von Einfluß
war, und daß er lange genug lebte, um sich Manches von Signorelli und
Crivelli aneignen zu können, welche beide von dem von Perugino eingeschlagenen
Weg bedeutend abwichen; aber wenn wir in Ermangelung authentischer Urkunden
nach dem Stil urtheilen wollen, so gelangen wir viel eher zu dem Schlüsse, daß
Bonsigli, Piero della Francesca und Verrocchio die Lehrer Vanuccis gewesen
sind und der Ausspruch Wolzogens sonach jeder Berechtigung entbehrt. -- Ueber¬
flüssig wäre es Zeit zu verschwenden auf die Frage, ob Andrea ti Luigi von
AM, genannt l'Jngegno, ein Freund Rafaels in Perugia gewesen sei, da es
sich erst noch ausweisen muß, ob überhaupt ein Maler jenes Namens existirt
hat, wie mit Recht von vielen Seiten stark bezweifelt wird.

Nicht unberührt dürfen aber die Behauptungen bleiben, die unser Verfasser
bei der Schilderung der Jugendwerke Rafaels ausspricht. So sagt er unter
Anderem (S. 24). "Zu den frühesten Arbeiten, die Rafael in Perugia vollendete,
gehört das einer größeren, von Perugino für die Kirche Se. Maria de Tosfi
daselbst gemalten Altartafel auf Goldgrund in Tempera nachgeahmte Bildchen
des Christkindes mit dem kleinen Johannes, welches als interessante Reliquie
in der Sakristei der, Kirche Se. Pietro Maggiore zu Perugia aufbewahrt wird."
Die Wahrheit ist: Perugino malte gegen Ende seines Lebens ein großes Altar¬
blatt in Oel, die "Marien der heiligen Schrift" darstellend. Nach vielen Wechsel¬
fällen kam dieses Bild endlich in das Museum von Marseille. Das kleine in
Perugia hängende Bildchen, von dem Wolzogen spricht, ist eine Copie von
einem Maler aus dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts und stellt die Heiligen
Simon und Se. Thaddeus auf den Stufen der marseiller Altartafel dar. --
Weiterhin heißt es: (S. 24) "Bald schon brauchte ihn Perugino zur Mithilfe bei
seinen bedeutenden Arbeiten". Unter den Beweisstücken, welche "die Hand Rafaels
entschieden verrathen" sollen, wird die Geburt Christi (im Vatikan) genannt.
Nun ist aber das Bild gar nicht von Perugino, sondern es ist eine der ge-
lungensten Schöpfungen Spagnas. Ferner hat auch Rafael an der Modonna
für die Ccrtosa von Pavia (jetzt in der Nationalgallerie zu London) keinen Antheil;
denn sie ist erst nach seines großen Schülers Weggange von Perugia gemalt.

Die "Bestimmtheit", mit welcher Wolzogen die Zeichnung für den Tobias


sind, ist die „Vermuthung" Wolzvgens, daß Rafciel im Jahre 1495 zu Perugino
in die Lehre gekommen sei (S. 23), kaum verzeihlich. Nicht minder bedenklich
fällt der Versuch aus, die künstlerische Erziehung Peruginos mit der Bemerkung
zu charakterisiren, „er sei von Niccolo Alunno aus Foligno und Andrea Ver-
rocchio gebildet." (S. 23). Für die Richtigkeit des letzten Namens spricht zwar
sowohl Vasari als auch verschiedene kritische Analysen; für den ersteren fehlt es
indessen an jeglichem Beweis. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Alunno, dessen
Stil sich zuerst nach dem Studium der Werke Benozzo Gozzolis umbildete, in
gewissem Grade aus die Wandelung der alten Peruginischen Schule von Einfluß
war, und daß er lange genug lebte, um sich Manches von Signorelli und
Crivelli aneignen zu können, welche beide von dem von Perugino eingeschlagenen
Weg bedeutend abwichen; aber wenn wir in Ermangelung authentischer Urkunden
nach dem Stil urtheilen wollen, so gelangen wir viel eher zu dem Schlüsse, daß
Bonsigli, Piero della Francesca und Verrocchio die Lehrer Vanuccis gewesen
sind und der Ausspruch Wolzogens sonach jeder Berechtigung entbehrt. — Ueber¬
flüssig wäre es Zeit zu verschwenden auf die Frage, ob Andrea ti Luigi von
AM, genannt l'Jngegno, ein Freund Rafaels in Perugia gewesen sei, da es
sich erst noch ausweisen muß, ob überhaupt ein Maler jenes Namens existirt
hat, wie mit Recht von vielen Seiten stark bezweifelt wird.

Nicht unberührt dürfen aber die Behauptungen bleiben, die unser Verfasser
bei der Schilderung der Jugendwerke Rafaels ausspricht. So sagt er unter
Anderem (S. 24). „Zu den frühesten Arbeiten, die Rafael in Perugia vollendete,
gehört das einer größeren, von Perugino für die Kirche Se. Maria de Tosfi
daselbst gemalten Altartafel auf Goldgrund in Tempera nachgeahmte Bildchen
des Christkindes mit dem kleinen Johannes, welches als interessante Reliquie
in der Sakristei der, Kirche Se. Pietro Maggiore zu Perugia aufbewahrt wird."
Die Wahrheit ist: Perugino malte gegen Ende seines Lebens ein großes Altar¬
blatt in Oel, die „Marien der heiligen Schrift" darstellend. Nach vielen Wechsel¬
fällen kam dieses Bild endlich in das Museum von Marseille. Das kleine in
Perugia hängende Bildchen, von dem Wolzogen spricht, ist eine Copie von
einem Maler aus dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts und stellt die Heiligen
Simon und Se. Thaddeus auf den Stufen der marseiller Altartafel dar. —
Weiterhin heißt es: (S. 24) „Bald schon brauchte ihn Perugino zur Mithilfe bei
seinen bedeutenden Arbeiten". Unter den Beweisstücken, welche „die Hand Rafaels
entschieden verrathen" sollen, wird die Geburt Christi (im Vatikan) genannt.
Nun ist aber das Bild gar nicht von Perugino, sondern es ist eine der ge-
lungensten Schöpfungen Spagnas. Ferner hat auch Rafael an der Modonna
für die Ccrtosa von Pavia (jetzt in der Nationalgallerie zu London) keinen Antheil;
denn sie ist erst nach seines großen Schülers Weggange von Perugia gemalt.

Die „Bestimmtheit", mit welcher Wolzogen die Zeichnung für den Tobias


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/358>, abgerufen am 28.07.2024.