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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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der Kriegstaumel. Heer und ein Völkergewühl jenseit derfBerge wie etwa zur
Zeit des dreißigjährigen Krieges! Freilich ist ein großer Unterschied zwischen
damals und jetzt. Damals lebte eine nationale Opposition unter dem Adel
Wie unter der Bauernschaft Böhmens und Oestreichs, eine deutsche Kraft, welche
sich gegen die Eroberungspläne deS Kriegsherrn stellte, der die Schaaren
Wallensteins über Deutschland sandte, und sie mußte erst blutig nieder¬
geschlagen werden. Jetzt sehen wir nichts von dieser deutschen Gesinnung.
Wenn es irgendeine Zeit gab, in welcher es dem Deutschen unheimlich werden
wüßte in dem großen Völkerhause, in welchem er fast nur noch den geduldeten
Hausherrn spielt, so wäre es doch grade jetzt.

Seit dem Jahre 1848, wo das politische Leben in Oestreich erwachte,
ist das Deutschthum dort in unaufhaltsamem Rückschritt. Den Oestreichern ist
in diesem Augenblick nicht erlaubt, die Schuld von sich ab auf das System
ihrer Regierung zu wälzen, denn was ihnen zur Last fällt, sind nicht allein
Unterlassungssünden. Wie sie das deutsche Element in Ungarn gestärkt haben,
erweist die Lage der armen Sachsen in Siebenbürgen; Krakau war noch vor
zwanzig Jahren eine deutsche Stadt, es ist jetzt eine slavische; in Mähren war
die ganze Bildung deutsch, jetzt steht es dort so, daß in wenig Jahren
der czechische Slave nicht mehr inmitten Deutscher wohnen wird, son¬
dern auch geographisch mit seinen östlichen Stammgenossen verbunden. So-
Kar der stille und fleißige Slovene hat sich in den letzten zwanzig Jahren von
der deutschen Bildung abgelöst, er hat sich behaglich eine Schriftsprache erfun¬
den, eine Literatur und ein eigenes fremdes Volksthum unter den Augen der
Wiener, unter den Einflüssen ihrer Presse großgezogen. Der Czeche ist in seinem
Kampfe für eine deutschfeindliche Nationalität so sehr Sieger, daß es sich jetzt
nur noch um die letzte Burg deutscher Cultur, um die Universität Prag han¬
delt; erwirbt er diese, dann ist in der Mitte Deutschlands eine fremde Natio¬
nalität auf unabsehbare Zeiten befestigt. In Welschtyrol, in Undine und Friaul
ist das deutsche Wesen in unaufhörlichem Rückgange. Was ist von dem öst¬
reichischen Volk, was ist von der Hauptstadt Wien geschehen, um diese inner¬
liche Entfremdung alter Gebiete des deutschen Bodens zu hemmen? Nichts.
Man ist dort zufrieden, wenn die Fremden mit den Börsenmännern der
Hauptstadt ihre Geldgeschäfte machen, und ihre neu gefundene Nationaltracht
den Wienern auf der Straße zeigen, und man befriedigt sein deutsches Selbst¬
gefühl durch einen flachen Scherz im Kaffeehause. Die Deutschöstreicher haben sich
Zu schwach gezeigt, nach jeder Himmelsgegend des Kaiserstaats Vertreter der
höchsten deutschen Interessen zu sein, und doch geberden sie sich, als ob sie ein
Herrenrecht auf deutschen Boden und deutsche Bildung hätten. Zu lange sind
sie durch die Nachsicht der gutherzigen Deutschen verwöhnt worden. Jetzt, wo
sie den Kriegsruf gegen deutsche Stämme lauter erheben, als die fremden Völker


der Kriegstaumel. Heer und ein Völkergewühl jenseit derfBerge wie etwa zur
Zeit des dreißigjährigen Krieges! Freilich ist ein großer Unterschied zwischen
damals und jetzt. Damals lebte eine nationale Opposition unter dem Adel
Wie unter der Bauernschaft Böhmens und Oestreichs, eine deutsche Kraft, welche
sich gegen die Eroberungspläne deS Kriegsherrn stellte, der die Schaaren
Wallensteins über Deutschland sandte, und sie mußte erst blutig nieder¬
geschlagen werden. Jetzt sehen wir nichts von dieser deutschen Gesinnung.
Wenn es irgendeine Zeit gab, in welcher es dem Deutschen unheimlich werden
wüßte in dem großen Völkerhause, in welchem er fast nur noch den geduldeten
Hausherrn spielt, so wäre es doch grade jetzt.

Seit dem Jahre 1848, wo das politische Leben in Oestreich erwachte,
ist das Deutschthum dort in unaufhaltsamem Rückschritt. Den Oestreichern ist
in diesem Augenblick nicht erlaubt, die Schuld von sich ab auf das System
ihrer Regierung zu wälzen, denn was ihnen zur Last fällt, sind nicht allein
Unterlassungssünden. Wie sie das deutsche Element in Ungarn gestärkt haben,
erweist die Lage der armen Sachsen in Siebenbürgen; Krakau war noch vor
zwanzig Jahren eine deutsche Stadt, es ist jetzt eine slavische; in Mähren war
die ganze Bildung deutsch, jetzt steht es dort so, daß in wenig Jahren
der czechische Slave nicht mehr inmitten Deutscher wohnen wird, son¬
dern auch geographisch mit seinen östlichen Stammgenossen verbunden. So-
Kar der stille und fleißige Slovene hat sich in den letzten zwanzig Jahren von
der deutschen Bildung abgelöst, er hat sich behaglich eine Schriftsprache erfun¬
den, eine Literatur und ein eigenes fremdes Volksthum unter den Augen der
Wiener, unter den Einflüssen ihrer Presse großgezogen. Der Czeche ist in seinem
Kampfe für eine deutschfeindliche Nationalität so sehr Sieger, daß es sich jetzt
nur noch um die letzte Burg deutscher Cultur, um die Universität Prag han¬
delt; erwirbt er diese, dann ist in der Mitte Deutschlands eine fremde Natio¬
nalität auf unabsehbare Zeiten befestigt. In Welschtyrol, in Undine und Friaul
ist das deutsche Wesen in unaufhörlichem Rückgange. Was ist von dem öst¬
reichischen Volk, was ist von der Hauptstadt Wien geschehen, um diese inner¬
liche Entfremdung alter Gebiete des deutschen Bodens zu hemmen? Nichts.
Man ist dort zufrieden, wenn die Fremden mit den Börsenmännern der
Hauptstadt ihre Geldgeschäfte machen, und ihre neu gefundene Nationaltracht
den Wienern auf der Straße zeigen, und man befriedigt sein deutsches Selbst¬
gefühl durch einen flachen Scherz im Kaffeehause. Die Deutschöstreicher haben sich
Zu schwach gezeigt, nach jeder Himmelsgegend des Kaiserstaats Vertreter der
höchsten deutschen Interessen zu sein, und doch geberden sie sich, als ob sie ein
Herrenrecht auf deutschen Boden und deutsche Bildung hätten. Zu lange sind
sie durch die Nachsicht der gutherzigen Deutschen verwöhnt worden. Jetzt, wo
sie den Kriegsruf gegen deutsche Stämme lauter erheben, als die fremden Völker


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[0351] der Kriegstaumel. Heer und ein Völkergewühl jenseit derfBerge wie etwa zur Zeit des dreißigjährigen Krieges! Freilich ist ein großer Unterschied zwischen damals und jetzt. Damals lebte eine nationale Opposition unter dem Adel Wie unter der Bauernschaft Böhmens und Oestreichs, eine deutsche Kraft, welche sich gegen die Eroberungspläne deS Kriegsherrn stellte, der die Schaaren Wallensteins über Deutschland sandte, und sie mußte erst blutig nieder¬ geschlagen werden. Jetzt sehen wir nichts von dieser deutschen Gesinnung. Wenn es irgendeine Zeit gab, in welcher es dem Deutschen unheimlich werden wüßte in dem großen Völkerhause, in welchem er fast nur noch den geduldeten Hausherrn spielt, so wäre es doch grade jetzt. Seit dem Jahre 1848, wo das politische Leben in Oestreich erwachte, ist das Deutschthum dort in unaufhaltsamem Rückschritt. Den Oestreichern ist in diesem Augenblick nicht erlaubt, die Schuld von sich ab auf das System ihrer Regierung zu wälzen, denn was ihnen zur Last fällt, sind nicht allein Unterlassungssünden. Wie sie das deutsche Element in Ungarn gestärkt haben, erweist die Lage der armen Sachsen in Siebenbürgen; Krakau war noch vor zwanzig Jahren eine deutsche Stadt, es ist jetzt eine slavische; in Mähren war die ganze Bildung deutsch, jetzt steht es dort so, daß in wenig Jahren der czechische Slave nicht mehr inmitten Deutscher wohnen wird, son¬ dern auch geographisch mit seinen östlichen Stammgenossen verbunden. So- Kar der stille und fleißige Slovene hat sich in den letzten zwanzig Jahren von der deutschen Bildung abgelöst, er hat sich behaglich eine Schriftsprache erfun¬ den, eine Literatur und ein eigenes fremdes Volksthum unter den Augen der Wiener, unter den Einflüssen ihrer Presse großgezogen. Der Czeche ist in seinem Kampfe für eine deutschfeindliche Nationalität so sehr Sieger, daß es sich jetzt nur noch um die letzte Burg deutscher Cultur, um die Universität Prag han¬ delt; erwirbt er diese, dann ist in der Mitte Deutschlands eine fremde Natio¬ nalität auf unabsehbare Zeiten befestigt. In Welschtyrol, in Undine und Friaul ist das deutsche Wesen in unaufhörlichem Rückgange. Was ist von dem öst¬ reichischen Volk, was ist von der Hauptstadt Wien geschehen, um diese inner¬ liche Entfremdung alter Gebiete des deutschen Bodens zu hemmen? Nichts. Man ist dort zufrieden, wenn die Fremden mit den Börsenmännern der Hauptstadt ihre Geldgeschäfte machen, und ihre neu gefundene Nationaltracht den Wienern auf der Straße zeigen, und man befriedigt sein deutsches Selbst¬ gefühl durch einen flachen Scherz im Kaffeehause. Die Deutschöstreicher haben sich Zu schwach gezeigt, nach jeder Himmelsgegend des Kaiserstaats Vertreter der höchsten deutschen Interessen zu sein, und doch geberden sie sich, als ob sie ein Herrenrecht auf deutschen Boden und deutsche Bildung hätten. Zu lange sind sie durch die Nachsicht der gutherzigen Deutschen verwöhnt worden. Jetzt, wo sie den Kriegsruf gegen deutsche Stämme lauter erheben, als die fremden Völker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/351>, abgerufen am 28.07.2024.