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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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der Gasse, einer wird im Gefecht mit den Stadtknechten mit einem Schwein-
spicß erstochen u. s. w. 1879 erschlägt ein Student aus Sachsen einen Bürgers¬
sohn aus Tübingen bei einer Hochzeit. Bei der im Jahr 1681 abgehaltnen
Visitation erklärt der Senat offen, die neuen Statuten können nicht gehalten
werden, da "die aus fremder Nation Herkommenden -- es studirten in dieser
Periode häufig Sachsen, Preußen, Pommern und Holsteiner sowie Polen hier
-- sich ihnen nicht unterwerfen, wegziehen und Gefahr vorhanden, daß die
Schule gär leer stehen müßte." In demselben Jahre großer Sludcntentumult.
Ein Doctor Ochsenbach bekommt mit seinen Kostgängern Streit und ruft die
Bürger zu Hilfe, die Studenten dagegen erhalten Succurs von den Commilitonen.
Nur mit Mühe wird von Rector und Obervogt Blutvergießen verhütet, aber
nicht ohne daß drei Studirende den letzteren schwer beleidigen. Tags darauf
zu Carcer verurteilt, wollen sie sich nicht fügen, wieder läuft die Studenten¬
schaft zornschnaubend zusammen, sammelt sich vor dem Scnatshausc und droht
die Stadtkncchte todtzuschlagen, falls jene in Haft behalten würden. Vergeblich
sucht der Rector sie zu beruhigen, und die Strafe muß vorläufig aufgeschoben
werden. Als zwei Tage darauf, am 2. März, Obervogt und Magistrat auf
Vollziehung derselben dringen, verschanzen sich die Studenten in den Häusern
mit Büchsen, andrerseits tritt die Bürgerschaft auf dem Markt mit Wehr und
Waffen zusammen. Erst als am 6. März eine herzogliche Commission anlangt,
unterwerfen sich die Studirenden, und acht von ihnen werden relegirt.

Schon vier Wochen darauf aber, am 3. April, giebts wieder in der Nacht
"greuliche Unfuhr mit beständigem Schießen während der Abeudl'irche", und am
5. liefern sich vier Adelige auf dem offnen Wörth ein mörderisches Gefecht.
1884 spielt ein Haufe Studenten Nachts zwei Uhr auf dem Markt mit Lauten,
Zither" und Geigen. Der Studiosus v. Unruhe, der hier wo^but, jauchzt dazu
aus dem Fenster. Der v. Nantzau fordert ihn herab, wenn er ein ehrlicher
Gesell sei, und als jener erscheint, fallen sieben mit bloßen Wehren über ihn
her. Rcmtzau haut kurz nachher einem Georg Waibel die Hand ab, kommt ins
Carcer, wird aber auf Fürbitte des Hofrichters und der Assessoren entlassen.
In demselben Jahre muß der Senat den Visitatoren des Herzogs abermals be¬
kennen, "daß den Statuten nicht nachgelebt werde", die Jugend sei sehr ver¬
derbt, der Jörg von Ehninger sei "postis swciiosoi-um", die Wirthe halten
b"' fürstlichen Befehl nicht, die Studenten nicht zu setzen.

Und in diesem Stil ging es durch die ganze zweite Hälfte des Jahrhunderts
Weiter, wobei fast immer der Adel den Neigen führte. 1889 -- ein Jahr,
welches in dieser besonders liederlichen und händelsüchtigen zweiten Hälfte des
^'zehnten Sciculumö wieder besonders licderlicl, und händelsüchtig gewesen sein
'"uß, da in ihm die Nürnberger schreiben, sie könnten ihre Kinder "proMr
"iwitun ctissolutionem, welche in Tübingen", nicht dorthin auf die Schule


Grenzboten II. Ins". > 39

der Gasse, einer wird im Gefecht mit den Stadtknechten mit einem Schwein-
spicß erstochen u. s. w. 1879 erschlägt ein Student aus Sachsen einen Bürgers¬
sohn aus Tübingen bei einer Hochzeit. Bei der im Jahr 1681 abgehaltnen
Visitation erklärt der Senat offen, die neuen Statuten können nicht gehalten
werden, da „die aus fremder Nation Herkommenden — es studirten in dieser
Periode häufig Sachsen, Preußen, Pommern und Holsteiner sowie Polen hier
— sich ihnen nicht unterwerfen, wegziehen und Gefahr vorhanden, daß die
Schule gär leer stehen müßte." In demselben Jahre großer Sludcntentumult.
Ein Doctor Ochsenbach bekommt mit seinen Kostgängern Streit und ruft die
Bürger zu Hilfe, die Studenten dagegen erhalten Succurs von den Commilitonen.
Nur mit Mühe wird von Rector und Obervogt Blutvergießen verhütet, aber
nicht ohne daß drei Studirende den letzteren schwer beleidigen. Tags darauf
zu Carcer verurteilt, wollen sie sich nicht fügen, wieder läuft die Studenten¬
schaft zornschnaubend zusammen, sammelt sich vor dem Scnatshausc und droht
die Stadtkncchte todtzuschlagen, falls jene in Haft behalten würden. Vergeblich
sucht der Rector sie zu beruhigen, und die Strafe muß vorläufig aufgeschoben
werden. Als zwei Tage darauf, am 2. März, Obervogt und Magistrat auf
Vollziehung derselben dringen, verschanzen sich die Studenten in den Häusern
mit Büchsen, andrerseits tritt die Bürgerschaft auf dem Markt mit Wehr und
Waffen zusammen. Erst als am 6. März eine herzogliche Commission anlangt,
unterwerfen sich die Studirenden, und acht von ihnen werden relegirt.

Schon vier Wochen darauf aber, am 3. April, giebts wieder in der Nacht
»greuliche Unfuhr mit beständigem Schießen während der Abeudl'irche", und am
5. liefern sich vier Adelige auf dem offnen Wörth ein mörderisches Gefecht.
1884 spielt ein Haufe Studenten Nachts zwei Uhr auf dem Markt mit Lauten,
Zither» und Geigen. Der Studiosus v. Unruhe, der hier wo^but, jauchzt dazu
aus dem Fenster. Der v. Nantzau fordert ihn herab, wenn er ein ehrlicher
Gesell sei, und als jener erscheint, fallen sieben mit bloßen Wehren über ihn
her. Rcmtzau haut kurz nachher einem Georg Waibel die Hand ab, kommt ins
Carcer, wird aber auf Fürbitte des Hofrichters und der Assessoren entlassen.
In demselben Jahre muß der Senat den Visitatoren des Herzogs abermals be¬
kennen, „daß den Statuten nicht nachgelebt werde", die Jugend sei sehr ver¬
derbt, der Jörg von Ehninger sei „postis swciiosoi-um", die Wirthe halten
b"' fürstlichen Befehl nicht, die Studenten nicht zu setzen.

Und in diesem Stil ging es durch die ganze zweite Hälfte des Jahrhunderts
Weiter, wobei fast immer der Adel den Neigen führte. 1889 — ein Jahr,
welches in dieser besonders liederlichen und händelsüchtigen zweiten Hälfte des
^'zehnten Sciculumö wieder besonders licderlicl, und händelsüchtig gewesen sein
'"uß, da in ihm die Nürnberger schreiben, sie könnten ihre Kinder „proMr
"iwitun ctissolutionem, welche in Tübingen", nicht dorthin auf die Schule


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[0329] der Gasse, einer wird im Gefecht mit den Stadtknechten mit einem Schwein- spicß erstochen u. s. w. 1879 erschlägt ein Student aus Sachsen einen Bürgers¬ sohn aus Tübingen bei einer Hochzeit. Bei der im Jahr 1681 abgehaltnen Visitation erklärt der Senat offen, die neuen Statuten können nicht gehalten werden, da „die aus fremder Nation Herkommenden — es studirten in dieser Periode häufig Sachsen, Preußen, Pommern und Holsteiner sowie Polen hier — sich ihnen nicht unterwerfen, wegziehen und Gefahr vorhanden, daß die Schule gär leer stehen müßte." In demselben Jahre großer Sludcntentumult. Ein Doctor Ochsenbach bekommt mit seinen Kostgängern Streit und ruft die Bürger zu Hilfe, die Studenten dagegen erhalten Succurs von den Commilitonen. Nur mit Mühe wird von Rector und Obervogt Blutvergießen verhütet, aber nicht ohne daß drei Studirende den letzteren schwer beleidigen. Tags darauf zu Carcer verurteilt, wollen sie sich nicht fügen, wieder läuft die Studenten¬ schaft zornschnaubend zusammen, sammelt sich vor dem Scnatshausc und droht die Stadtkncchte todtzuschlagen, falls jene in Haft behalten würden. Vergeblich sucht der Rector sie zu beruhigen, und die Strafe muß vorläufig aufgeschoben werden. Als zwei Tage darauf, am 2. März, Obervogt und Magistrat auf Vollziehung derselben dringen, verschanzen sich die Studenten in den Häusern mit Büchsen, andrerseits tritt die Bürgerschaft auf dem Markt mit Wehr und Waffen zusammen. Erst als am 6. März eine herzogliche Commission anlangt, unterwerfen sich die Studirenden, und acht von ihnen werden relegirt. Schon vier Wochen darauf aber, am 3. April, giebts wieder in der Nacht »greuliche Unfuhr mit beständigem Schießen während der Abeudl'irche", und am 5. liefern sich vier Adelige auf dem offnen Wörth ein mörderisches Gefecht. 1884 spielt ein Haufe Studenten Nachts zwei Uhr auf dem Markt mit Lauten, Zither» und Geigen. Der Studiosus v. Unruhe, der hier wo^but, jauchzt dazu aus dem Fenster. Der v. Nantzau fordert ihn herab, wenn er ein ehrlicher Gesell sei, und als jener erscheint, fallen sieben mit bloßen Wehren über ihn her. Rcmtzau haut kurz nachher einem Georg Waibel die Hand ab, kommt ins Carcer, wird aber auf Fürbitte des Hofrichters und der Assessoren entlassen. In demselben Jahre muß der Senat den Visitatoren des Herzogs abermals be¬ kennen, „daß den Statuten nicht nachgelebt werde", die Jugend sei sehr ver¬ derbt, der Jörg von Ehninger sei „postis swciiosoi-um", die Wirthe halten b"' fürstlichen Befehl nicht, die Studenten nicht zu setzen. Und in diesem Stil ging es durch die ganze zweite Hälfte des Jahrhunderts Weiter, wobei fast immer der Adel den Neigen führte. 1889 — ein Jahr, welches in dieser besonders liederlichen und händelsüchtigen zweiten Hälfte des ^'zehnten Sciculumö wieder besonders licderlicl, und händelsüchtig gewesen sein '"uß, da in ihm die Nürnberger schreiben, sie könnten ihre Kinder „proMr "iwitun ctissolutionem, welche in Tübingen", nicht dorthin auf die Schule Grenzboten II. Ins». > 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/329>, abgerufen am 28.07.2024.