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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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dingS nicht daran zweifeln, daß seine Macht zur Lösung dieser Aufgabe unzu¬
reichend ist. Auch die liberale Partei allein, zumal wenn sie das Ziel ihrer
Bestrebungen ausschließlich auf den Besitz der Gewalt richtet, vermag es nicht,
hier Besserung zu schaffen, da Frankreich zu seiner Regeneration nicht einer
unfruchtbaren Aufregung, sondern geduldiger zäher Arbeit bedarf. Wohl aber
ist sie im Stande, wenn sie ihre ganze Kraft auf Bekämpfung der administra¬
tiven Willkür richtet, das Bewußtsein über den Sitz aller Schäden des Staats¬
lebens in der Bevölkerung zu wecken und vielleicht auch die kaiserliche Regierung
selbst auf die Wege einer fruchtbaren Reform zu drängen. Denn sobald die
liberale Partei unverwandt ihre Thätigkeit auf dies Eine richtet, was Noth
thut, kann der Kaiser ohne eine Gefahr für seine Dynastie sich auf sie stützen.
Auf diesem Wege würde "die Krönung des Baues" in nicht allzuferner Zeit
sich als das nothwendige Resultat einer natürlichen Entwickelung herausstellen;
sie würde erfolgen können ohne jede Erschütterung. Daß der Kaiser kurzweg
mit seinem System bricht, ist undenkbar und unmöglich; daß er es, wenn er
der Liberalen sicher ist, aber auch nur dann, allmälig umzubilden fähig ist, wird
kaum zu bezweifeln sein.

Gegenwärtig fehlt in Frankreich auf beiden Seiten noch das Bewußtsein
über das zu erstrebende Ziel. Thiers ist nicht der Mann dazu, dasselbe in den
Liberalen zu wecken; seine parlamentarischen Erfolge schaden der Sache der
Freiheit mehr als sie ihr nützen. Auf der andern Seite werden aber solche
Erfolge der Präfectenwirthschaft, wie der neuerdings in Straßburg errungene,
nur dazu beitragen, die Unbedingten in ihrem widrigen und cynischen Ser¬
vilismus, den Kaiser in der günstigen Meinung von der Probehaltigkeit seines
Systems zu bestärken. Dies sind keine erfreulichen Aussichten für Frankreichs
Zukunft; die Gegensätze schärfen sich, die Stimmungen verbittern sich zunächst
in den gebildeten Classen. Hat die Verbitterung in diesen den Höhepunkt er¬
reicht, so bedarf es in Frankreich kaum besonderer Bemühungen, sie auf die
untern Classen zu übertragen, die, einmal in Bewegung gesetzt, durch rastloses
Handeln jede Berechnung der Führer überholen. Ein Straßenkampf aber würde
zur Anarchie oder zu maßlos gesteigertem Despotismus, gewiß nicht zur Frei¬
Z. heit führen.




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dingS nicht daran zweifeln, daß seine Macht zur Lösung dieser Aufgabe unzu¬
reichend ist. Auch die liberale Partei allein, zumal wenn sie das Ziel ihrer
Bestrebungen ausschließlich auf den Besitz der Gewalt richtet, vermag es nicht,
hier Besserung zu schaffen, da Frankreich zu seiner Regeneration nicht einer
unfruchtbaren Aufregung, sondern geduldiger zäher Arbeit bedarf. Wohl aber
ist sie im Stande, wenn sie ihre ganze Kraft auf Bekämpfung der administra¬
tiven Willkür richtet, das Bewußtsein über den Sitz aller Schäden des Staats¬
lebens in der Bevölkerung zu wecken und vielleicht auch die kaiserliche Regierung
selbst auf die Wege einer fruchtbaren Reform zu drängen. Denn sobald die
liberale Partei unverwandt ihre Thätigkeit auf dies Eine richtet, was Noth
thut, kann der Kaiser ohne eine Gefahr für seine Dynastie sich auf sie stützen.
Auf diesem Wege würde „die Krönung des Baues" in nicht allzuferner Zeit
sich als das nothwendige Resultat einer natürlichen Entwickelung herausstellen;
sie würde erfolgen können ohne jede Erschütterung. Daß der Kaiser kurzweg
mit seinem System bricht, ist undenkbar und unmöglich; daß er es, wenn er
der Liberalen sicher ist, aber auch nur dann, allmälig umzubilden fähig ist, wird
kaum zu bezweifeln sein.

Gegenwärtig fehlt in Frankreich auf beiden Seiten noch das Bewußtsein
über das zu erstrebende Ziel. Thiers ist nicht der Mann dazu, dasselbe in den
Liberalen zu wecken; seine parlamentarischen Erfolge schaden der Sache der
Freiheit mehr als sie ihr nützen. Auf der andern Seite werden aber solche
Erfolge der Präfectenwirthschaft, wie der neuerdings in Straßburg errungene,
nur dazu beitragen, die Unbedingten in ihrem widrigen und cynischen Ser¬
vilismus, den Kaiser in der günstigen Meinung von der Probehaltigkeit seines
Systems zu bestärken. Dies sind keine erfreulichen Aussichten für Frankreichs
Zukunft; die Gegensätze schärfen sich, die Stimmungen verbittern sich zunächst
in den gebildeten Classen. Hat die Verbitterung in diesen den Höhepunkt er¬
reicht, so bedarf es in Frankreich kaum besonderer Bemühungen, sie auf die
untern Classen zu übertragen, die, einmal in Bewegung gesetzt, durch rastloses
Handeln jede Berechnung der Führer überholen. Ein Straßenkampf aber würde
zur Anarchie oder zu maßlos gesteigertem Despotismus, gewiß nicht zur Frei¬
Z. heit führen.




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[0273] dingS nicht daran zweifeln, daß seine Macht zur Lösung dieser Aufgabe unzu¬ reichend ist. Auch die liberale Partei allein, zumal wenn sie das Ziel ihrer Bestrebungen ausschließlich auf den Besitz der Gewalt richtet, vermag es nicht, hier Besserung zu schaffen, da Frankreich zu seiner Regeneration nicht einer unfruchtbaren Aufregung, sondern geduldiger zäher Arbeit bedarf. Wohl aber ist sie im Stande, wenn sie ihre ganze Kraft auf Bekämpfung der administra¬ tiven Willkür richtet, das Bewußtsein über den Sitz aller Schäden des Staats¬ lebens in der Bevölkerung zu wecken und vielleicht auch die kaiserliche Regierung selbst auf die Wege einer fruchtbaren Reform zu drängen. Denn sobald die liberale Partei unverwandt ihre Thätigkeit auf dies Eine richtet, was Noth thut, kann der Kaiser ohne eine Gefahr für seine Dynastie sich auf sie stützen. Auf diesem Wege würde „die Krönung des Baues" in nicht allzuferner Zeit sich als das nothwendige Resultat einer natürlichen Entwickelung herausstellen; sie würde erfolgen können ohne jede Erschütterung. Daß der Kaiser kurzweg mit seinem System bricht, ist undenkbar und unmöglich; daß er es, wenn er der Liberalen sicher ist, aber auch nur dann, allmälig umzubilden fähig ist, wird kaum zu bezweifeln sein. Gegenwärtig fehlt in Frankreich auf beiden Seiten noch das Bewußtsein über das zu erstrebende Ziel. Thiers ist nicht der Mann dazu, dasselbe in den Liberalen zu wecken; seine parlamentarischen Erfolge schaden der Sache der Freiheit mehr als sie ihr nützen. Auf der andern Seite werden aber solche Erfolge der Präfectenwirthschaft, wie der neuerdings in Straßburg errungene, nur dazu beitragen, die Unbedingten in ihrem widrigen und cynischen Ser¬ vilismus, den Kaiser in der günstigen Meinung von der Probehaltigkeit seines Systems zu bestärken. Dies sind keine erfreulichen Aussichten für Frankreichs Zukunft; die Gegensätze schärfen sich, die Stimmungen verbittern sich zunächst in den gebildeten Classen. Hat die Verbitterung in diesen den Höhepunkt er¬ reicht, so bedarf es in Frankreich kaum besonderer Bemühungen, sie auf die untern Classen zu übertragen, die, einmal in Bewegung gesetzt, durch rastloses Handeln jede Berechnung der Führer überholen. Ein Straßenkampf aber würde zur Anarchie oder zu maßlos gesteigertem Despotismus, gewiß nicht zur Frei¬ Z. heit führen. 32"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/273>, abgerufen am 27.07.2024.