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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Drohungen so frühzeitig eingestellt werden, daß sie kaum für den ausgespro¬
chenen Zweck brauchbar erachtet werden konnten. -- Die größte Unterstützung
für einen energischen Widerstand fand Preußen bei England, das durch Gneisenau
unausgesetzt seine Mittel zur Disposition stellte, Kriegsmaterialien nach Kolberg
führte und dort bis tief in den Winter hinein Schiffe kreuzen ließ, um bei
einem Mißglücken den König und seine Familie aufnehmen zu können. Der
König aber, so rege er die Verbindung mit England durch Gneisenau erhalten
ließ, schenkte hier nicht volles Vertrauen, da England sich eben mit den Volks-
elementen Preußens durch seine Agenten verbunden hatte. Ehe er sich zu einem
entscheidenden Schritte entschließen wollte, glaubte er sich erst Rußlands und
Oestreichs vergewissern zu müssen. Er vergaß dabei', daß er diesen beiden
Mächten durch den Mangel an Entschluß 1805 und 1809 die Möglichkeit ge¬
nommen hatte, ihm große Thatkraft in entscheidenden Momenten zuzutrauen.
Beide Mächte mußten naturgemäß sich ihm gegenüber aller bindenden Beschlüsse
enthalten; denn sich mit den Volksführern zu verbinden, wie England gethan, lag
außerhalb ihrer Natur. In letzterer Beziehung ist es bezeichnend, daß Kaiser
Franz den General Scharnhorst nicht als Abgesandten des Königs annehmen
wollte, weil Scharnhorst Mitglied des Tugendbundes sei. Erst als er von
diesem Verdacht gereinigt war, wurde sein Kommen nach Wien gestattet. Scharn¬
horst kam übrigens aus Petersburg mit dem Rath zurück, keinenfalls dem
Gegner Grund zum Angriff zu geben, da Nußland in diesem Fall nicht unter¬
stützen werde und überhaupt nicht gern seine Grenzen verlassen wolle. Oestreich
entzog sich jeder Zusage und rieth zum Frieden.

Unter diesen Umständen gab der König alle Widerstandsgedanken auf und
ließ die Verhandlungen mit Frankreich behufs eines Bündnisses betreiben, trotzdem
die französischen Anerbietungen voll der herausforderndsten Bedingungen waren.

Am 22. Februar 1812 unterschrieb der preußische Gesandte den Vertrag
mit der Bedingung, daß derselbe in 10 Tagen in Berlin ratificirt werde. Und
noch ehe derselbe dem König, der aus Uebersendung der Bedingungen darrte,
bekannt war. rückten die Franzosen von allen Seiten in das widerstandlose
Preußen ein. Der König, welcher Anfangs sehr betroffen war, schrieb bei der
Nachricht hiervon an den Staatskanzler: "Dieser Einbruch in preußisches Gebiet
sei ohne Zweifel sehr betrübend, aber er meine, man solle ihn nicht zu tragisch
aufnehmen; dieses Ereigniß gleiche dem von 1803 in Franken, aber die Folgen
hätten gezeigt, wie sehr Unrecht man schon damals gehabt, die Sache so ernst¬
haft zu nehmen." Aus dieser Aeußerung läßt sich keine große Empfindlichkeit
des Königs für die Ehre des Staats entnehmen. Wie er 180S, statt sofort
mit ganzer Armee für diese Ehre einzutreten, sich auf Unterhandlungen einließ
und dadurch 1806 .Frankreich allein gegenüber zu stehen kam und unterging, so
verzichtete er auch jetzt auf sofortiges Handeln und überließ das Land dem


Drohungen so frühzeitig eingestellt werden, daß sie kaum für den ausgespro¬
chenen Zweck brauchbar erachtet werden konnten. — Die größte Unterstützung
für einen energischen Widerstand fand Preußen bei England, das durch Gneisenau
unausgesetzt seine Mittel zur Disposition stellte, Kriegsmaterialien nach Kolberg
führte und dort bis tief in den Winter hinein Schiffe kreuzen ließ, um bei
einem Mißglücken den König und seine Familie aufnehmen zu können. Der
König aber, so rege er die Verbindung mit England durch Gneisenau erhalten
ließ, schenkte hier nicht volles Vertrauen, da England sich eben mit den Volks-
elementen Preußens durch seine Agenten verbunden hatte. Ehe er sich zu einem
entscheidenden Schritte entschließen wollte, glaubte er sich erst Rußlands und
Oestreichs vergewissern zu müssen. Er vergaß dabei', daß er diesen beiden
Mächten durch den Mangel an Entschluß 1805 und 1809 die Möglichkeit ge¬
nommen hatte, ihm große Thatkraft in entscheidenden Momenten zuzutrauen.
Beide Mächte mußten naturgemäß sich ihm gegenüber aller bindenden Beschlüsse
enthalten; denn sich mit den Volksführern zu verbinden, wie England gethan, lag
außerhalb ihrer Natur. In letzterer Beziehung ist es bezeichnend, daß Kaiser
Franz den General Scharnhorst nicht als Abgesandten des Königs annehmen
wollte, weil Scharnhorst Mitglied des Tugendbundes sei. Erst als er von
diesem Verdacht gereinigt war, wurde sein Kommen nach Wien gestattet. Scharn¬
horst kam übrigens aus Petersburg mit dem Rath zurück, keinenfalls dem
Gegner Grund zum Angriff zu geben, da Nußland in diesem Fall nicht unter¬
stützen werde und überhaupt nicht gern seine Grenzen verlassen wolle. Oestreich
entzog sich jeder Zusage und rieth zum Frieden.

Unter diesen Umständen gab der König alle Widerstandsgedanken auf und
ließ die Verhandlungen mit Frankreich behufs eines Bündnisses betreiben, trotzdem
die französischen Anerbietungen voll der herausforderndsten Bedingungen waren.

Am 22. Februar 1812 unterschrieb der preußische Gesandte den Vertrag
mit der Bedingung, daß derselbe in 10 Tagen in Berlin ratificirt werde. Und
noch ehe derselbe dem König, der aus Uebersendung der Bedingungen darrte,
bekannt war. rückten die Franzosen von allen Seiten in das widerstandlose
Preußen ein. Der König, welcher Anfangs sehr betroffen war, schrieb bei der
Nachricht hiervon an den Staatskanzler: „Dieser Einbruch in preußisches Gebiet
sei ohne Zweifel sehr betrübend, aber er meine, man solle ihn nicht zu tragisch
aufnehmen; dieses Ereigniß gleiche dem von 1803 in Franken, aber die Folgen
hätten gezeigt, wie sehr Unrecht man schon damals gehabt, die Sache so ernst¬
haft zu nehmen." Aus dieser Aeußerung läßt sich keine große Empfindlichkeit
des Königs für die Ehre des Staats entnehmen. Wie er 180S, statt sofort
mit ganzer Armee für diese Ehre einzutreten, sich auf Unterhandlungen einließ
und dadurch 1806 .Frankreich allein gegenüber zu stehen kam und unterging, so
verzichtete er auch jetzt auf sofortiges Handeln und überließ das Land dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/258>, abgerufen am 28.07.2024.