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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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schrauben der finanziellen Forderungen, und die steten Reclamationen der fran¬
zösischen Besatzungen wurden schärfer angezogen. Der König bedürfte wieder
eines kräftigern Ministeriums, und Hardenberg wurde schon 1810 als Staate¬
kanzler an die Spitze der Geschäfte berufen. -- Die- nächsten Monate entwickel¬
ten immer mehr und mehr die Animosität zwischen Frankreich und Rußland,
unter welcher die Beziehungen Preußens zu Frankreich zusehends litten. Dem
Staatskanzler trat die Entscheidung der Frage nahe, welches Schicksal Preußen
erwartete, im Fall der Krieg zwischen jenen beiden Mächten zum Ausbruch
käme; und dabei mußte sich ihm die Ueberzeugung aufdrängen, daß Napoleon
nur das Interesse haben konnte. Preußen als nothwendige Basis seiner Ope¬
rationen in vollen Besitz zu nehmen und auszunutzen. Bei der bekannten Rück¬
sichtslosigkeit Napoleons durfte man erwarten, daß bei dieser Ausnutzung nur
seine Interessen, wie die des Landes Berücksichtigung finden würden. Es erschien
Pflicht, sich solchem vernichtenden Verfahren Napoleons mit allen Mitteln ent¬
gegenzustellen; lieber mit Ehren unterzugehen als sich zu unterwerfen.

Am 22. Februar 1811 schrieb Justus Grüner, im Auftrage des Staats-
kanzlers. an Gneisenau: "Die Gefahr, welche König und Vaterland bedroht,
soll uns nicht verzagt, sondern nur vorsichtig und stark machen, durch zeitige
Wahl der Mittel zu Rettung und Heil. Diese mit Ihnen zu überlegen -- von
Ihrem schöpferischen Geiste und ausdauerndem Muthe den Beistand zu erhalten,
den die gute Sache sich von Ihnen stets versprechen darf, ist der Wunsch" --
des Staatskanzlers. Weshalb Gneisenau ein Rendezvous auf einem Gute
Hardenbergs gegeben wird. Am 29. Februar antwortet Gneisenau:

"Obgleich mit Dismembration, Reduction der Bauerndienste, Verkauf des
Inventariums, Umänderung der Brau- und Brennerei u. f. w. beschäftigt, soll
mich dennoch keine derlei Betrachtung abhalten, -- in welcher Verwirrung ich
auch meine Angelegenheiten hinterlasse."

Am 17. und 18. März begegneten sich beide Männer ohne Zeugen und
traten sich auch innerlich für das Leben näher, wie die fernere Correspondenz
zeigt. -- Der Gegenstand ihrer Verhandlungen betraf sowohl die innern, wie
die äußern Verhältnisse. In ersterer Beziehung sprach Gneisenau für indirecte
Steuern, statt der neueingeführten mannigfachen directen. Ueber die auswär¬
tigen Verhältnisse glaubte Gneisenau: "daß Napoleon Preußen bei Gelegenheit
des bevorstehenden Krieges mit Rußland einverleiben und mit einem verrätheri-
schen Angriff gegen die königliche Familie beginnen werde; daß man daher keine
Zeit verlieren dürfe, sich zum äußersten Widerstand zu waffnen, alles vorzu¬
bereiten, was dazu erforderlich sei, vollständige Ausrüstung der acht Festungen,
Anlage von verschanzten Lagern, Herbeischaffung von Waffen und Salpeter,
Einberufung und Versammlung der Truppen und Verbindung mit Oestreich,
Rußland und England".


Grenzboten II. 1""6. 30

schrauben der finanziellen Forderungen, und die steten Reclamationen der fran¬
zösischen Besatzungen wurden schärfer angezogen. Der König bedürfte wieder
eines kräftigern Ministeriums, und Hardenberg wurde schon 1810 als Staate¬
kanzler an die Spitze der Geschäfte berufen. — Die- nächsten Monate entwickel¬
ten immer mehr und mehr die Animosität zwischen Frankreich und Rußland,
unter welcher die Beziehungen Preußens zu Frankreich zusehends litten. Dem
Staatskanzler trat die Entscheidung der Frage nahe, welches Schicksal Preußen
erwartete, im Fall der Krieg zwischen jenen beiden Mächten zum Ausbruch
käme; und dabei mußte sich ihm die Ueberzeugung aufdrängen, daß Napoleon
nur das Interesse haben konnte. Preußen als nothwendige Basis seiner Ope¬
rationen in vollen Besitz zu nehmen und auszunutzen. Bei der bekannten Rück¬
sichtslosigkeit Napoleons durfte man erwarten, daß bei dieser Ausnutzung nur
seine Interessen, wie die des Landes Berücksichtigung finden würden. Es erschien
Pflicht, sich solchem vernichtenden Verfahren Napoleons mit allen Mitteln ent¬
gegenzustellen; lieber mit Ehren unterzugehen als sich zu unterwerfen.

Am 22. Februar 1811 schrieb Justus Grüner, im Auftrage des Staats-
kanzlers. an Gneisenau: „Die Gefahr, welche König und Vaterland bedroht,
soll uns nicht verzagt, sondern nur vorsichtig und stark machen, durch zeitige
Wahl der Mittel zu Rettung und Heil. Diese mit Ihnen zu überlegen — von
Ihrem schöpferischen Geiste und ausdauerndem Muthe den Beistand zu erhalten,
den die gute Sache sich von Ihnen stets versprechen darf, ist der Wunsch" —
des Staatskanzlers. Weshalb Gneisenau ein Rendezvous auf einem Gute
Hardenbergs gegeben wird. Am 29. Februar antwortet Gneisenau:

„Obgleich mit Dismembration, Reduction der Bauerndienste, Verkauf des
Inventariums, Umänderung der Brau- und Brennerei u. f. w. beschäftigt, soll
mich dennoch keine derlei Betrachtung abhalten, — in welcher Verwirrung ich
auch meine Angelegenheiten hinterlasse."

Am 17. und 18. März begegneten sich beide Männer ohne Zeugen und
traten sich auch innerlich für das Leben näher, wie die fernere Correspondenz
zeigt. — Der Gegenstand ihrer Verhandlungen betraf sowohl die innern, wie
die äußern Verhältnisse. In ersterer Beziehung sprach Gneisenau für indirecte
Steuern, statt der neueingeführten mannigfachen directen. Ueber die auswär¬
tigen Verhältnisse glaubte Gneisenau: „daß Napoleon Preußen bei Gelegenheit
des bevorstehenden Krieges mit Rußland einverleiben und mit einem verrätheri-
schen Angriff gegen die königliche Familie beginnen werde; daß man daher keine
Zeit verlieren dürfe, sich zum äußersten Widerstand zu waffnen, alles vorzu¬
bereiten, was dazu erforderlich sei, vollständige Ausrüstung der acht Festungen,
Anlage von verschanzten Lagern, Herbeischaffung von Waffen und Salpeter,
Einberufung und Versammlung der Truppen und Verbindung mit Oestreich,
Rußland und England".


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[0253] schrauben der finanziellen Forderungen, und die steten Reclamationen der fran¬ zösischen Besatzungen wurden schärfer angezogen. Der König bedürfte wieder eines kräftigern Ministeriums, und Hardenberg wurde schon 1810 als Staate¬ kanzler an die Spitze der Geschäfte berufen. — Die- nächsten Monate entwickel¬ ten immer mehr und mehr die Animosität zwischen Frankreich und Rußland, unter welcher die Beziehungen Preußens zu Frankreich zusehends litten. Dem Staatskanzler trat die Entscheidung der Frage nahe, welches Schicksal Preußen erwartete, im Fall der Krieg zwischen jenen beiden Mächten zum Ausbruch käme; und dabei mußte sich ihm die Ueberzeugung aufdrängen, daß Napoleon nur das Interesse haben konnte. Preußen als nothwendige Basis seiner Ope¬ rationen in vollen Besitz zu nehmen und auszunutzen. Bei der bekannten Rück¬ sichtslosigkeit Napoleons durfte man erwarten, daß bei dieser Ausnutzung nur seine Interessen, wie die des Landes Berücksichtigung finden würden. Es erschien Pflicht, sich solchem vernichtenden Verfahren Napoleons mit allen Mitteln ent¬ gegenzustellen; lieber mit Ehren unterzugehen als sich zu unterwerfen. Am 22. Februar 1811 schrieb Justus Grüner, im Auftrage des Staats- kanzlers. an Gneisenau: „Die Gefahr, welche König und Vaterland bedroht, soll uns nicht verzagt, sondern nur vorsichtig und stark machen, durch zeitige Wahl der Mittel zu Rettung und Heil. Diese mit Ihnen zu überlegen — von Ihrem schöpferischen Geiste und ausdauerndem Muthe den Beistand zu erhalten, den die gute Sache sich von Ihnen stets versprechen darf, ist der Wunsch" — des Staatskanzlers. Weshalb Gneisenau ein Rendezvous auf einem Gute Hardenbergs gegeben wird. Am 29. Februar antwortet Gneisenau: „Obgleich mit Dismembration, Reduction der Bauerndienste, Verkauf des Inventariums, Umänderung der Brau- und Brennerei u. f. w. beschäftigt, soll mich dennoch keine derlei Betrachtung abhalten, — in welcher Verwirrung ich auch meine Angelegenheiten hinterlasse." Am 17. und 18. März begegneten sich beide Männer ohne Zeugen und traten sich auch innerlich für das Leben näher, wie die fernere Correspondenz zeigt. — Der Gegenstand ihrer Verhandlungen betraf sowohl die innern, wie die äußern Verhältnisse. In ersterer Beziehung sprach Gneisenau für indirecte Steuern, statt der neueingeführten mannigfachen directen. Ueber die auswär¬ tigen Verhältnisse glaubte Gneisenau: „daß Napoleon Preußen bei Gelegenheit des bevorstehenden Krieges mit Rußland einverleiben und mit einem verrätheri- schen Angriff gegen die königliche Familie beginnen werde; daß man daher keine Zeit verlieren dürfe, sich zum äußersten Widerstand zu waffnen, alles vorzu¬ bereiten, was dazu erforderlich sei, vollständige Ausrüstung der acht Festungen, Anlage von verschanzten Lagern, Herbeischaffung von Waffen und Salpeter, Einberufung und Versammlung der Truppen und Verbindung mit Oestreich, Rußland und England". Grenzboten II. 1»«6. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/253>, abgerufen am 27.07.2024.