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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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und des Lärmens, Singens und Leutehudelns auf den Straßen, und das letzte
Mal ist in der Einleitung von "enormes exorditairttire" und "intoltZiAdiles
oxeessus" die Rede. Zweimal begegnen wir dem unsaubern Spaß, daß
Bürger, die durch das Pädagogium gehen, von den Bewohnern desselben be¬
leidigt, mit Kehricht beschüttet und mit Urin begossen werden; ebenfalls zwei¬
mal werden geheime Verbrüderungen und Zusammenkünfte, "aus welchen der
Universität Aergerniß, Schaden, Unruhe und Gefahren entstehen können", unter¬
sagt und zwar das eine Mal mit Androhung von Geldstrafe und für schlimme
Fälle "ewigem Kärzer". Endlich kehren auch Kleiderverbote immer wieder, und
namentlich scheinen die Studenten an ungegürteten oder an der Seite offnen
Wämmsern, zu weit ausgeschnittner oder vorn ganz aufstehenden Brustlätzen,
zu kurzen Röcken, Laienhüten, Schnabelschuhen und bunten Farben ein so großes
Gefallen gehabt zu haben, daß sie trotz alles Dekretirens ihrer Magister gegen
solchen weltlichen Aufzug stets aufs Neue ihr ehrbares geistliches Scholaren¬
gewand mit ihnen vertauschten.

Die Geschichtschreibung läßt mit dem Jahre 1492 die neue Zeit beginnen.
Im Studentenleben Leipzigs und andrer Hochschulen ist hier noch kein Abschnitt
zu machen. Die bisher geschilderten Zustände, in Betreff deren allerdings noch
einmal daran zu erinnern ist, daß es neben ihnen auch eine Lichtseite gegeben
haben wird, die ferner hier in der Zusammenrückung unerfreulicher Thatsachen
nothwendig noch dunkler erscheinen müssen, als sie in Wirklichkeit waren, und
bei denen endlich zu berücksichtigen ist, daß nicht blos der Student, sondern
auch der Bürger dieser Periode weit roher und polizeiwidriger lebte als heut¬
zutage, währten im Wesentlichen noch geraume Zeit fort.

Die Streitigkeiten der leipziger Universität mit der Stadt und dem Rathe
wollten nicht aufhören. Noch 1498 brechen Rathsdiener. am Sonnabend nach
Maria Geburt in die Burse an der Barfüßerkirche, die zu Se. Georgs Stift
gehörte, freventlich und mit Wehren ein , schlagen einem dort wohnenden Magister
aus Greifswald die Thür ein und tragen ihm (vielleicht als Pfand für Schulden
an Bürger) sein Geräth weg. und bis ins zweite Decennium des folgenden
Jahrhunderts kommen ähnliche Zusammenstöße der beiden Gemeinden vor. Noch
1496 wird von der Magisterschaft die quodlibetarische Disputation entweder
eingeführt oder neu begründet. In demselben Jahre wird das Wohnen der
Studenten in den Bursen der Universität noch einmal mit dem Bedeuten ein¬
geschärft, daß davon künftig die Zulassung zum Examen abhängig sein solle.
1602 erfolgt noch einmal eine Reformation der Universität, die nur Nebendinge
bessert, die Professoren, welche Pfründen haben, anweist, fleißig ihres Amts zu
warten, die Mediciner vor leichtsinniger Verleihung des Baccalaureats und vor
Zulassung von Landfahrern und Empirikern zur Praxis warnt, sonst aber das
Alte Geleis nicht verläßt.


und des Lärmens, Singens und Leutehudelns auf den Straßen, und das letzte
Mal ist in der Einleitung von „enormes exorditairttire" und „intoltZiAdiles
oxeessus" die Rede. Zweimal begegnen wir dem unsaubern Spaß, daß
Bürger, die durch das Pädagogium gehen, von den Bewohnern desselben be¬
leidigt, mit Kehricht beschüttet und mit Urin begossen werden; ebenfalls zwei¬
mal werden geheime Verbrüderungen und Zusammenkünfte, „aus welchen der
Universität Aergerniß, Schaden, Unruhe und Gefahren entstehen können", unter¬
sagt und zwar das eine Mal mit Androhung von Geldstrafe und für schlimme
Fälle „ewigem Kärzer". Endlich kehren auch Kleiderverbote immer wieder, und
namentlich scheinen die Studenten an ungegürteten oder an der Seite offnen
Wämmsern, zu weit ausgeschnittner oder vorn ganz aufstehenden Brustlätzen,
zu kurzen Röcken, Laienhüten, Schnabelschuhen und bunten Farben ein so großes
Gefallen gehabt zu haben, daß sie trotz alles Dekretirens ihrer Magister gegen
solchen weltlichen Aufzug stets aufs Neue ihr ehrbares geistliches Scholaren¬
gewand mit ihnen vertauschten.

Die Geschichtschreibung läßt mit dem Jahre 1492 die neue Zeit beginnen.
Im Studentenleben Leipzigs und andrer Hochschulen ist hier noch kein Abschnitt
zu machen. Die bisher geschilderten Zustände, in Betreff deren allerdings noch
einmal daran zu erinnern ist, daß es neben ihnen auch eine Lichtseite gegeben
haben wird, die ferner hier in der Zusammenrückung unerfreulicher Thatsachen
nothwendig noch dunkler erscheinen müssen, als sie in Wirklichkeit waren, und
bei denen endlich zu berücksichtigen ist, daß nicht blos der Student, sondern
auch der Bürger dieser Periode weit roher und polizeiwidriger lebte als heut¬
zutage, währten im Wesentlichen noch geraume Zeit fort.

Die Streitigkeiten der leipziger Universität mit der Stadt und dem Rathe
wollten nicht aufhören. Noch 1498 brechen Rathsdiener. am Sonnabend nach
Maria Geburt in die Burse an der Barfüßerkirche, die zu Se. Georgs Stift
gehörte, freventlich und mit Wehren ein , schlagen einem dort wohnenden Magister
aus Greifswald die Thür ein und tragen ihm (vielleicht als Pfand für Schulden
an Bürger) sein Geräth weg. und bis ins zweite Decennium des folgenden
Jahrhunderts kommen ähnliche Zusammenstöße der beiden Gemeinden vor. Noch
1496 wird von der Magisterschaft die quodlibetarische Disputation entweder
eingeführt oder neu begründet. In demselben Jahre wird das Wohnen der
Studenten in den Bursen der Universität noch einmal mit dem Bedeuten ein¬
geschärft, daß davon künftig die Zulassung zum Examen abhängig sein solle.
1602 erfolgt noch einmal eine Reformation der Universität, die nur Nebendinge
bessert, die Professoren, welche Pfründen haben, anweist, fleißig ihres Amts zu
warten, die Mediciner vor leichtsinniger Verleihung des Baccalaureats und vor
Zulassung von Landfahrern und Empirikern zur Praxis warnt, sonst aber das
Alte Geleis nicht verläßt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/243>, abgerufen am 28.07.2024.