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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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der nahen Nebenbuhlerschaft, der Abkehr von der Praxis, des Cyrporations-
geistes mit seinen Licht- und Schattenseiten sich immer aufs Neue kundgeben,
wenn auch, je näher der Gegenwart, in desto gesitteteren Formen, so haben
auch bei den Lernenden immer mehr oder minder gleiche Verhältnisse mehr oder
minder gleiche Wirkungen. Eigentlich studentisches Leben giebt es nur in Klein¬
oder Mittelstädten, die hauptsächlich oder doch wesentlich von ihrer Universität
leben und sie darum gewähren lassen müssen. Die Anwesenheit von Hunderten
junger Leute in solchen Orten, das jährlich zweimal sich wiederholende Ueber-
treten bisher mehr Gebundener in eine sehr wenig beschränkte Existenz, die
Beimischung solcher, die zu ernster Arbeit weder die nöthige Vorbereitung mit¬
bringen, noch innern oder äußern Zwang dazu empfinden, das Gefühl jugend¬
licher Kraftfülle und das Ueberwiegen der Phantasie über den Verstand müssen
nothwendig in den Lebensgewohnheiten der Studirenden stets ähnliche Er¬
scheinungen hervorrufen.

Eine zweite Bemerkung, die vorauszuschicken ist, wenn unser Bild nicht
schief und zu grell gefärbt erscheinen soll, ist folgende. Die nachstehende musi-
vische Arbeit wird Lücken haben, und sie wird fast nur die Schattenseite des
Lebens der deutschen Studenten in den verschiedenen Epochen zeigen. Jene
Lücke aus Urkunden auszufüllen, ist nahezu unmöglich, weil die hierzu nöthigen
Materialien fast ganz fehlen. Allerdings liegen in den Archiven der Universitäten
nicht wenige Actenstücke, welche das Treiben der studirenden Welt in den ver¬
schiedenen Zeiten sehen lassen. Allein manche wichtige Seite desselben bleibt
von ihnen völlig unbeleuchtet, da sie als bloße Protokolle oder Verordnungen
wohl die Thatsachen feststellen, aber die geheimeren Triebfedern, die erklärenden
Persönlichkeiten und somit den eigentlichen innern Zusammenhang der Ereignisse
in der Regel nicht einmal andeuten. Sodann aber sind es grade die lobens-
werthen Eigenschaften, die stillen Tugenden des Fleißes und der Liebe zur
Wissenschaft, die eben als stillwirkende, nicht auf die Straße hinaustretende zu
keiner Aufzeichnung Anlaß gegeben haben, wogegen Fehler und Ungcbührlich-
keiten amtliche Handlungen und mit diesen Verewigung dieser Seite des akade¬
mischen Lebens hervorrufen mußten. Die Urkunden der Archive aber sind unsre
Hauptquelle. Manches ließ sich durch Rückschlüsse, vieles aus anderweiten Auf¬
zeichnungen, Memoiren. Liedern u. d. ergänzen. Daß jene verborgen gebliebenen
Tugenden dem deutschen Studenten zu keiner Zeit ganz gemangelt haben, wird
bei dem Folgenden allenthalben stillschweigende Voraussetzung sein. Der Beweis
dafür ist unnöthig, erliegt schon in der Thatsache, daß es unter den gelehrten
Ständen Deutschlands auch in den verwildertsten und verkommensten Jahren
niemals ganz an großen Männern und achtungswerthen Menschen gefehlt hat.




der nahen Nebenbuhlerschaft, der Abkehr von der Praxis, des Cyrporations-
geistes mit seinen Licht- und Schattenseiten sich immer aufs Neue kundgeben,
wenn auch, je näher der Gegenwart, in desto gesitteteren Formen, so haben
auch bei den Lernenden immer mehr oder minder gleiche Verhältnisse mehr oder
minder gleiche Wirkungen. Eigentlich studentisches Leben giebt es nur in Klein¬
oder Mittelstädten, die hauptsächlich oder doch wesentlich von ihrer Universität
leben und sie darum gewähren lassen müssen. Die Anwesenheit von Hunderten
junger Leute in solchen Orten, das jährlich zweimal sich wiederholende Ueber-
treten bisher mehr Gebundener in eine sehr wenig beschränkte Existenz, die
Beimischung solcher, die zu ernster Arbeit weder die nöthige Vorbereitung mit¬
bringen, noch innern oder äußern Zwang dazu empfinden, das Gefühl jugend¬
licher Kraftfülle und das Ueberwiegen der Phantasie über den Verstand müssen
nothwendig in den Lebensgewohnheiten der Studirenden stets ähnliche Er¬
scheinungen hervorrufen.

Eine zweite Bemerkung, die vorauszuschicken ist, wenn unser Bild nicht
schief und zu grell gefärbt erscheinen soll, ist folgende. Die nachstehende musi-
vische Arbeit wird Lücken haben, und sie wird fast nur die Schattenseite des
Lebens der deutschen Studenten in den verschiedenen Epochen zeigen. Jene
Lücke aus Urkunden auszufüllen, ist nahezu unmöglich, weil die hierzu nöthigen
Materialien fast ganz fehlen. Allerdings liegen in den Archiven der Universitäten
nicht wenige Actenstücke, welche das Treiben der studirenden Welt in den ver¬
schiedenen Zeiten sehen lassen. Allein manche wichtige Seite desselben bleibt
von ihnen völlig unbeleuchtet, da sie als bloße Protokolle oder Verordnungen
wohl die Thatsachen feststellen, aber die geheimeren Triebfedern, die erklärenden
Persönlichkeiten und somit den eigentlichen innern Zusammenhang der Ereignisse
in der Regel nicht einmal andeuten. Sodann aber sind es grade die lobens-
werthen Eigenschaften, die stillen Tugenden des Fleißes und der Liebe zur
Wissenschaft, die eben als stillwirkende, nicht auf die Straße hinaustretende zu
keiner Aufzeichnung Anlaß gegeben haben, wogegen Fehler und Ungcbührlich-
keiten amtliche Handlungen und mit diesen Verewigung dieser Seite des akade¬
mischen Lebens hervorrufen mußten. Die Urkunden der Archive aber sind unsre
Hauptquelle. Manches ließ sich durch Rückschlüsse, vieles aus anderweiten Auf¬
zeichnungen, Memoiren. Liedern u. d. ergänzen. Daß jene verborgen gebliebenen
Tugenden dem deutschen Studenten zu keiner Zeit ganz gemangelt haben, wird
bei dem Folgenden allenthalben stillschweigende Voraussetzung sein. Der Beweis
dafür ist unnöthig, erliegt schon in der Thatsache, daß es unter den gelehrten
Ständen Deutschlands auch in den verwildertsten und verkommensten Jahren
niemals ganz an großen Männern und achtungswerthen Menschen gefehlt hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/222>, abgerufen am 27.07.2024.