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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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freilich nicht stolpert. -- Ich fürchte sehr, daß man allmälig dahin arbeiten
wird, alles was Energie hat, zu entfernen, und daß auch eine Reise nach
Kauffungen (das Gut Gneisenaus) wird angetreten werden."

Stein hatte Recht. Als der König im Februar aus Petersburg zurückkam,
zeigte sich, daß jede Neigung zum Kriege verschwunden war. Am 13. Februar
schreibt Gneisenau an Stein: "Die Reise nach Petersburg hat, wie wir voraus¬
haben, eine schwächende Wirkung gehabt. Die Minister sämmtlich, selbst Graf
Goltz. sind in kräftigen Gesinnungen. Vielleicht behalten diese die Oberhand.
Aber ich fürchte, dieser Alexander ist zu Preußens Unglück geboren. Der König
ist seit seiner Rückkehr übler Laune. -- Es mag ihm überhaupt jetzt gegen
die dortige Pracht alles sehr kleinlich vorkommen; seine halbe Monarchie, sein
halbes Schloß; der Halbroman seiner letzte" Lebensjahre. Dies alles indessen
steht in Harmonie mit den halben Maßregeln. -- Machen sich Ew. Excellenz
immerhin darauf gefaßt, daß unter gewissen Combinationen ich bei Ihnen er¬
scheine. Was denken Sie von einer preußischen Legion, in Prag etwa er¬
richtet? Wenn man hier nichts unternehmen wollte, so möchte eine solche Le¬
gion eine Zuflucht sein, wo die letzten Reste des preußischen Geistes sich ehren¬
voll sammelten. Meine vielen Verbindungen möchten mich wohl eignen, eine
solche Legion zu errichten, und vielleicht würde sich England bereitwillig finden
lassen, die Ausrüstung und Besoldung derselben zu übernehmen."

Von dem Augenblick an, wo Gneisenau erkannte, daß es zu dem gewünsch¬
ten Kriege nicht kommen würde, dachte er an seinen Abschied und verfolgte den
oben angegebnen Plan, indem er alle bedeutenden preußischen Offiziere dazu
aufforderte und mit Oestreich deshalb in Verbindung trat. Von den erstem
bekam er fast durchgängig zusagenden, von der östreichischen Regierung aber,
als er endlich dazu schritt, seinen Abschied zu nehmen, einen abschlägigen Be"
Scheit. Diesen Schritt sofort zu thun, hielt ihn ab der näher rückende Aus¬
bruch des östreichisch-französischen Krieges 1809 und die Hoffnung, daß der
König, sobald er von der wirklichen Entschiedenheit Oestreichs überzeugt werde,
sich doch demselben anschließen und dem allgemeinen Drängen des bessern Theils
seiner Umgebungen nachgeben werde. Aber diese Hoffnung scheiterte; am
9. April ging das östreichische Heer über den Jnn, am 10. brach der Aufstand
in Tyrol los, am 16. siegte der Erzherzog Johann, vom 20.-23. wurden die
Oestreicher bei Regensburg und weiter geschlagen, aber die Preußen rührten
sich nicht. Da ging ein Theil jener Männer, welche durch Gneisenau und Ge¬
nossen angeregt und zum nahen Kampfe vorbereitet waren, auf eigne Hand
los. Am 23. Mai steckte Dörnberg in Kassel die Fahne des Aufruhrs auf;
am 28. führte Schill sein Regiment von Berlin aus. um bald darauf bei
Stralsund zu fallen. Aller Orten regte es sich. Von diesem Augenblick der
Selbsthilfe an war das schon lange durch Einflüsterung von geheimen Verbin-


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freilich nicht stolpert. — Ich fürchte sehr, daß man allmälig dahin arbeiten
wird, alles was Energie hat, zu entfernen, und daß auch eine Reise nach
Kauffungen (das Gut Gneisenaus) wird angetreten werden."

Stein hatte Recht. Als der König im Februar aus Petersburg zurückkam,
zeigte sich, daß jede Neigung zum Kriege verschwunden war. Am 13. Februar
schreibt Gneisenau an Stein: „Die Reise nach Petersburg hat, wie wir voraus¬
haben, eine schwächende Wirkung gehabt. Die Minister sämmtlich, selbst Graf
Goltz. sind in kräftigen Gesinnungen. Vielleicht behalten diese die Oberhand.
Aber ich fürchte, dieser Alexander ist zu Preußens Unglück geboren. Der König
ist seit seiner Rückkehr übler Laune. — Es mag ihm überhaupt jetzt gegen
die dortige Pracht alles sehr kleinlich vorkommen; seine halbe Monarchie, sein
halbes Schloß; der Halbroman seiner letzte» Lebensjahre. Dies alles indessen
steht in Harmonie mit den halben Maßregeln. — Machen sich Ew. Excellenz
immerhin darauf gefaßt, daß unter gewissen Combinationen ich bei Ihnen er¬
scheine. Was denken Sie von einer preußischen Legion, in Prag etwa er¬
richtet? Wenn man hier nichts unternehmen wollte, so möchte eine solche Le¬
gion eine Zuflucht sein, wo die letzten Reste des preußischen Geistes sich ehren¬
voll sammelten. Meine vielen Verbindungen möchten mich wohl eignen, eine
solche Legion zu errichten, und vielleicht würde sich England bereitwillig finden
lassen, die Ausrüstung und Besoldung derselben zu übernehmen."

Von dem Augenblick an, wo Gneisenau erkannte, daß es zu dem gewünsch¬
ten Kriege nicht kommen würde, dachte er an seinen Abschied und verfolgte den
oben angegebnen Plan, indem er alle bedeutenden preußischen Offiziere dazu
aufforderte und mit Oestreich deshalb in Verbindung trat. Von den erstem
bekam er fast durchgängig zusagenden, von der östreichischen Regierung aber,
als er endlich dazu schritt, seinen Abschied zu nehmen, einen abschlägigen Be»
Scheit. Diesen Schritt sofort zu thun, hielt ihn ab der näher rückende Aus¬
bruch des östreichisch-französischen Krieges 1809 und die Hoffnung, daß der
König, sobald er von der wirklichen Entschiedenheit Oestreichs überzeugt werde,
sich doch demselben anschließen und dem allgemeinen Drängen des bessern Theils
seiner Umgebungen nachgeben werde. Aber diese Hoffnung scheiterte; am
9. April ging das östreichische Heer über den Jnn, am 10. brach der Aufstand
in Tyrol los, am 16. siegte der Erzherzog Johann, vom 20.-23. wurden die
Oestreicher bei Regensburg und weiter geschlagen, aber die Preußen rührten
sich nicht. Da ging ein Theil jener Männer, welche durch Gneisenau und Ge¬
nossen angeregt und zum nahen Kampfe vorbereitet waren, auf eigne Hand
los. Am 23. Mai steckte Dörnberg in Kassel die Fahne des Aufruhrs auf;
am 28. führte Schill sein Regiment von Berlin aus. um bald darauf bei
Stralsund zu fallen. Aller Orten regte es sich. Von diesem Augenblick der
Selbsthilfe an war das schon lange durch Einflüsterung von geheimen Verbin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/213>, abgerufen am 28.07.2024.