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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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des Staates zwischen den großen Machten zu behaupten, denn wir in Preußen
würden bei einer so gefahrvollen Verfassung wie die englische sicher zu Grunde
gehen."

Leider giebt Pertz nicht die Originalaufzeichnungen Gneisenaus; man ist
deshalb nicht im Stande positiv zu beurtheilen, ob dies ganz das Bild der
von Gneisenau erwünschten Verfassung ist oder nur ein Vorschlag an den König,
um diesem die Sache annehmbar zu machen. Für das Letztere spricht, daß der
vorstehende Gedankengang aus einer von Gneisenau für den König entworfenen
Denkschrift entnommen ist, gegen das Erstere eine Menge von Gneisenau vor¬
handener Aussprüche und Briefe, welche für die Betheiligung des Volks an
der Verfassung eine viel breitere Basis voraussetzen, als oben gegeben. Wenn
Pertz gleich hinzufügt: "Nach Gneisenaus Ueberzeugung sollte und mußte die
der Bevölkerung aufgelegte große Last der allgemeinen Wehrpflicht durch das
Recht der Mitwirkung zu den Beschlüssen über Krieg und Frieden aufgewogen
werden." so geht schon hieraus hervor, daß Gneisenau ganz andere Rechte der
Landesvertretung voraussetzt, als in jenem Entwurf eingeräumt werden. Bei
der jetzigen preußischen Verfassung wird dem Landtag ja sogar das Recht, in
der äußern Politik den Ausschlag zu geben, von den Ministern abgesprochen. --
Auch in den spätern Lebensperioden Gneisenaus werden wir sehen, daß alle seine
staatlichen Anschauungen immer auf das Volt, als das allein Macht gebende
zurückgehen. -- Ja selbst in seinen rein militärischen Bestrebungen, in dem
Kampf für seine Ideen der Armeereorganisation gegen die zähe widerstrebenden
Anhänger des Alten sucht er die Unterstützung nicht von Oben her, sondern
benutzt die Tagespresse, um seinen Ideen den Sieg zu verschaffen. Es ist das
ein Verfahren, welches man wenigstens heute an betreffender Stelle als demo¬
kratisch bezeichnet. Nach den Urtheilen, welche zu Lebzeiten Gneisenaus aus
ihm näher stehenden Kreisen über seine Verfassungsideen ausgesprochen wurden,
soll die englische Verfassung sein Ideal gewesen sein und konnte er als ein
liberaler Aristokrat bezeichnet werden.

Seine militärische Thätigkeit in dieser Zeit schildert Gneisenau in einem
Briefe, welchen er als Entschuldigung dafür schreibt, daß er in seinen Arbeiten
als Mitglied der Untersuchungscommission über im Kriege vorgekommene Ca-
Pitulationen nicht vorwärts kommt, folgendermaßen:

"Alle Tage ist Sitzung der Organisationscommission. Zweimal Nach¬
mittags in der Woche Sitzung des Artillerie- und Jngenieurdepartemcnts. und
zweimal bei General Uvrk über die Exercierinstruclion, wo mir die Redaction
obliegt. Oefters werde ich noch des Abends zu General Scharnhorst beschicken,
um Vortrag zu machen. Die Formation der pommerschen Regimenter (aus
den Truppen, welche die Besatzung von Kolberg gebildet hatten), die Inspektion
der Festungen veranlaßt mich ebenfalls, Kenntniß von mehren dahin ein-


des Staates zwischen den großen Machten zu behaupten, denn wir in Preußen
würden bei einer so gefahrvollen Verfassung wie die englische sicher zu Grunde
gehen."

Leider giebt Pertz nicht die Originalaufzeichnungen Gneisenaus; man ist
deshalb nicht im Stande positiv zu beurtheilen, ob dies ganz das Bild der
von Gneisenau erwünschten Verfassung ist oder nur ein Vorschlag an den König,
um diesem die Sache annehmbar zu machen. Für das Letztere spricht, daß der
vorstehende Gedankengang aus einer von Gneisenau für den König entworfenen
Denkschrift entnommen ist, gegen das Erstere eine Menge von Gneisenau vor¬
handener Aussprüche und Briefe, welche für die Betheiligung des Volks an
der Verfassung eine viel breitere Basis voraussetzen, als oben gegeben. Wenn
Pertz gleich hinzufügt: „Nach Gneisenaus Ueberzeugung sollte und mußte die
der Bevölkerung aufgelegte große Last der allgemeinen Wehrpflicht durch das
Recht der Mitwirkung zu den Beschlüssen über Krieg und Frieden aufgewogen
werden." so geht schon hieraus hervor, daß Gneisenau ganz andere Rechte der
Landesvertretung voraussetzt, als in jenem Entwurf eingeräumt werden. Bei
der jetzigen preußischen Verfassung wird dem Landtag ja sogar das Recht, in
der äußern Politik den Ausschlag zu geben, von den Ministern abgesprochen. —
Auch in den spätern Lebensperioden Gneisenaus werden wir sehen, daß alle seine
staatlichen Anschauungen immer auf das Volt, als das allein Macht gebende
zurückgehen. — Ja selbst in seinen rein militärischen Bestrebungen, in dem
Kampf für seine Ideen der Armeereorganisation gegen die zähe widerstrebenden
Anhänger des Alten sucht er die Unterstützung nicht von Oben her, sondern
benutzt die Tagespresse, um seinen Ideen den Sieg zu verschaffen. Es ist das
ein Verfahren, welches man wenigstens heute an betreffender Stelle als demo¬
kratisch bezeichnet. Nach den Urtheilen, welche zu Lebzeiten Gneisenaus aus
ihm näher stehenden Kreisen über seine Verfassungsideen ausgesprochen wurden,
soll die englische Verfassung sein Ideal gewesen sein und konnte er als ein
liberaler Aristokrat bezeichnet werden.

Seine militärische Thätigkeit in dieser Zeit schildert Gneisenau in einem
Briefe, welchen er als Entschuldigung dafür schreibt, daß er in seinen Arbeiten
als Mitglied der Untersuchungscommission über im Kriege vorgekommene Ca-
Pitulationen nicht vorwärts kommt, folgendermaßen:

„Alle Tage ist Sitzung der Organisationscommission. Zweimal Nach¬
mittags in der Woche Sitzung des Artillerie- und Jngenieurdepartemcnts. und
zweimal bei General Uvrk über die Exercierinstruclion, wo mir die Redaction
obliegt. Oefters werde ich noch des Abends zu General Scharnhorst beschicken,
um Vortrag zu machen. Die Formation der pommerschen Regimenter (aus
den Truppen, welche die Besatzung von Kolberg gebildet hatten), die Inspektion
der Festungen veranlaßt mich ebenfalls, Kenntniß von mehren dahin ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/207>, abgerufen am 28.07.2024.