Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Engländer und Spanier es für nöthig hielten, ihre Unabhängigkeit und volle
Souveränität dem heiligen römischen Reich deutscher Nation gegenüber in eigenen
Schriften zu beweisen.

Für unsere Periode sind folgende Worte Procops (lebte unter Justinian)
charakteristisch: "Schon führen nun die fränkischen Könige zu Arles den Vorsitz
bei den circensischen Spielen und schlagen Münzen aus gallischem Golde, denen
nicht des Kaisers Bildniß, wie es zu geschehen Pflegt, sondern ihr eigenes auf¬
geprägt ist. Denn silberne Münzen nach Belieben zu schlagen ist bisher schon
der König der Perser (siel vielleicht ist Franken zu lesen) gewohnt gewesen;
aber goldene Münzen mit seinem Bilde zu prägen, ist weder ihm noch irgend¬
einem andern Könige der Barbaren erlaubt, selbst dann nicht, wenn sie Herren
von Goldbergwerken sind, indem solche Münzen selbst bei den Barbaren im
Verkehr nicht zugelassen werden."*)

Grade in Burgund, das besonders lange in jener Abhängigkeit von Rom '
blieb, gelangt diese Idee zu einem schrankenlosen Ausdruck in den oft citirten
Briefen des Bischof Avitus von Vienne, welche er im Namen des Burgunder¬
königs an den Kaiser Anastasius schrieb (um 300). und in denen der Kaiser
gradezu Herr der Burgunden genannt wird.

Außerdem unterstützte diese Oberherrschaft Roms zugleich das Fortleben
und den Einfluß der römischen Cultur, indem sie dazu beitrug, daß die Pro-
vincialen eine geachtete, wesentlich gleichberechtigte Stellung in den neuen
Staaten gewannen, sie förderte den Proceß, der aus den germanischen An¬
siedelungen romanische Völker und Staaten hervorgehen ließ.

Dieser Einfluß giebt der ganzen Frage ihr wesentliches Interesse und
drängt zu einer eingehenden Untersuchung.

Leider erfahren wir von den Rechten, welche durch die Verträge, kraft deren
die Ansiedelung erfolgte, den Provincialen gewährleistet, von dem Einfluß, der
dem Kaiser eingeräumt ward, fast gar nichts, nur durch Rückschlüsse und Com¬
binationen gewinnen wir einige Klarheit über diese Dinge. Dagegen ist es
glücklicherweise möglich, ein leidlich anschauliches Bild von der Lage zu ent¬
werfen, in welcher diese Provincialen in den durch Vertrag gegründeten ger¬
manischen Staaten nun factisch standen.

Das bedeutendste dieser Reiche in Gallien ist das wcstgothische, nach der
Hauptstadt Toulouse gewöhnlich das tolosanische genannt.

Die von Alarich aus der Balkanhalvinsel und dem römischen Dienst
herausgeführten Gothen schlössen durch ihren König Watkin 416 in Spanien
Frieden mit Rom, bekämpften für den Kaiser die Vandalen, Sueven und Alanen,



") In Betreff der Münzen ist zwar diese Aeußerung Procops nicht stichhaltig; wenigstens
sind persische Goldmünzen aus dem sechsten Jahrhundert bekannt, aber bezeichnend bleibt die
Auffassung dieses gleichzeitigen Schriftstellers trotzdem.

Engländer und Spanier es für nöthig hielten, ihre Unabhängigkeit und volle
Souveränität dem heiligen römischen Reich deutscher Nation gegenüber in eigenen
Schriften zu beweisen.

Für unsere Periode sind folgende Worte Procops (lebte unter Justinian)
charakteristisch: „Schon führen nun die fränkischen Könige zu Arles den Vorsitz
bei den circensischen Spielen und schlagen Münzen aus gallischem Golde, denen
nicht des Kaisers Bildniß, wie es zu geschehen Pflegt, sondern ihr eigenes auf¬
geprägt ist. Denn silberne Münzen nach Belieben zu schlagen ist bisher schon
der König der Perser (siel vielleicht ist Franken zu lesen) gewohnt gewesen;
aber goldene Münzen mit seinem Bilde zu prägen, ist weder ihm noch irgend¬
einem andern Könige der Barbaren erlaubt, selbst dann nicht, wenn sie Herren
von Goldbergwerken sind, indem solche Münzen selbst bei den Barbaren im
Verkehr nicht zugelassen werden."*)

Grade in Burgund, das besonders lange in jener Abhängigkeit von Rom '
blieb, gelangt diese Idee zu einem schrankenlosen Ausdruck in den oft citirten
Briefen des Bischof Avitus von Vienne, welche er im Namen des Burgunder¬
königs an den Kaiser Anastasius schrieb (um 300). und in denen der Kaiser
gradezu Herr der Burgunden genannt wird.

Außerdem unterstützte diese Oberherrschaft Roms zugleich das Fortleben
und den Einfluß der römischen Cultur, indem sie dazu beitrug, daß die Pro-
vincialen eine geachtete, wesentlich gleichberechtigte Stellung in den neuen
Staaten gewannen, sie förderte den Proceß, der aus den germanischen An¬
siedelungen romanische Völker und Staaten hervorgehen ließ.

Dieser Einfluß giebt der ganzen Frage ihr wesentliches Interesse und
drängt zu einer eingehenden Untersuchung.

Leider erfahren wir von den Rechten, welche durch die Verträge, kraft deren
die Ansiedelung erfolgte, den Provincialen gewährleistet, von dem Einfluß, der
dem Kaiser eingeräumt ward, fast gar nichts, nur durch Rückschlüsse und Com¬
binationen gewinnen wir einige Klarheit über diese Dinge. Dagegen ist es
glücklicherweise möglich, ein leidlich anschauliches Bild von der Lage zu ent¬
werfen, in welcher diese Provincialen in den durch Vertrag gegründeten ger¬
manischen Staaten nun factisch standen.

Das bedeutendste dieser Reiche in Gallien ist das wcstgothische, nach der
Hauptstadt Toulouse gewöhnlich das tolosanische genannt.

Die von Alarich aus der Balkanhalvinsel und dem römischen Dienst
herausgeführten Gothen schlössen durch ihren König Watkin 416 in Spanien
Frieden mit Rom, bekämpften für den Kaiser die Vandalen, Sueven und Alanen,



") In Betreff der Münzen ist zwar diese Aeußerung Procops nicht stichhaltig; wenigstens
sind persische Goldmünzen aus dem sechsten Jahrhundert bekannt, aber bezeichnend bleibt die
Auffassung dieses gleichzeitigen Schriftstellers trotzdem.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285224"/>
          <p xml:id="ID_470" prev="#ID_469"> Engländer und Spanier es für nöthig hielten, ihre Unabhängigkeit und volle<lb/>
Souveränität dem heiligen römischen Reich deutscher Nation gegenüber in eigenen<lb/>
Schriften zu beweisen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_471"> Für unsere Periode sind folgende Worte Procops (lebte unter Justinian)<lb/>
charakteristisch: &#x201E;Schon führen nun die fränkischen Könige zu Arles den Vorsitz<lb/>
bei den circensischen Spielen und schlagen Münzen aus gallischem Golde, denen<lb/>
nicht des Kaisers Bildniß, wie es zu geschehen Pflegt, sondern ihr eigenes auf¬<lb/>
geprägt ist. Denn silberne Münzen nach Belieben zu schlagen ist bisher schon<lb/>
der König der Perser (siel vielleicht ist Franken zu lesen) gewohnt gewesen;<lb/>
aber goldene Münzen mit seinem Bilde zu prägen, ist weder ihm noch irgend¬<lb/>
einem andern Könige der Barbaren erlaubt, selbst dann nicht, wenn sie Herren<lb/>
von Goldbergwerken sind, indem solche Münzen selbst bei den Barbaren im<lb/>
Verkehr nicht zugelassen werden."*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_472"> Grade in Burgund, das besonders lange in jener Abhängigkeit von Rom '<lb/>
blieb, gelangt diese Idee zu einem schrankenlosen Ausdruck in den oft citirten<lb/>
Briefen des Bischof Avitus von Vienne, welche er im Namen des Burgunder¬<lb/>
königs an den Kaiser Anastasius schrieb (um 300). und in denen der Kaiser<lb/>
gradezu Herr der Burgunden genannt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_473"> Außerdem unterstützte diese Oberherrschaft Roms zugleich das Fortleben<lb/>
und den Einfluß der römischen Cultur, indem sie dazu beitrug, daß die Pro-<lb/>
vincialen eine geachtete, wesentlich gleichberechtigte Stellung in den neuen<lb/>
Staaten gewannen, sie förderte den Proceß, der aus den germanischen An¬<lb/>
siedelungen romanische Völker und Staaten hervorgehen ließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_474"> Dieser Einfluß giebt der ganzen Frage ihr wesentliches Interesse und<lb/>
drängt zu einer eingehenden Untersuchung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_475"> Leider erfahren wir von den Rechten, welche durch die Verträge, kraft deren<lb/>
die Ansiedelung erfolgte, den Provincialen gewährleistet, von dem Einfluß, der<lb/>
dem Kaiser eingeräumt ward, fast gar nichts, nur durch Rückschlüsse und Com¬<lb/>
binationen gewinnen wir einige Klarheit über diese Dinge. Dagegen ist es<lb/>
glücklicherweise möglich, ein leidlich anschauliches Bild von der Lage zu ent¬<lb/>
werfen, in welcher diese Provincialen in den durch Vertrag gegründeten ger¬<lb/>
manischen Staaten nun factisch standen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_476"> Das bedeutendste dieser Reiche in Gallien ist das wcstgothische, nach der<lb/>
Hauptstadt Toulouse gewöhnlich das tolosanische genannt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_477" next="#ID_478"> Die von Alarich aus der Balkanhalvinsel und dem römischen Dienst<lb/>
herausgeführten Gothen schlössen durch ihren König Watkin 416 in Spanien<lb/>
Frieden mit Rom, bekämpften für den Kaiser die Vandalen, Sueven und Alanen,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_7" place="foot"> ") In Betreff der Münzen ist zwar diese Aeußerung Procops nicht stichhaltig; wenigstens<lb/>
sind persische Goldmünzen aus dem sechsten Jahrhundert bekannt, aber bezeichnend bleibt die<lb/>
Auffassung dieses gleichzeitigen Schriftstellers trotzdem.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0196] Engländer und Spanier es für nöthig hielten, ihre Unabhängigkeit und volle Souveränität dem heiligen römischen Reich deutscher Nation gegenüber in eigenen Schriften zu beweisen. Für unsere Periode sind folgende Worte Procops (lebte unter Justinian) charakteristisch: „Schon führen nun die fränkischen Könige zu Arles den Vorsitz bei den circensischen Spielen und schlagen Münzen aus gallischem Golde, denen nicht des Kaisers Bildniß, wie es zu geschehen Pflegt, sondern ihr eigenes auf¬ geprägt ist. Denn silberne Münzen nach Belieben zu schlagen ist bisher schon der König der Perser (siel vielleicht ist Franken zu lesen) gewohnt gewesen; aber goldene Münzen mit seinem Bilde zu prägen, ist weder ihm noch irgend¬ einem andern Könige der Barbaren erlaubt, selbst dann nicht, wenn sie Herren von Goldbergwerken sind, indem solche Münzen selbst bei den Barbaren im Verkehr nicht zugelassen werden."*) Grade in Burgund, das besonders lange in jener Abhängigkeit von Rom ' blieb, gelangt diese Idee zu einem schrankenlosen Ausdruck in den oft citirten Briefen des Bischof Avitus von Vienne, welche er im Namen des Burgunder¬ königs an den Kaiser Anastasius schrieb (um 300). und in denen der Kaiser gradezu Herr der Burgunden genannt wird. Außerdem unterstützte diese Oberherrschaft Roms zugleich das Fortleben und den Einfluß der römischen Cultur, indem sie dazu beitrug, daß die Pro- vincialen eine geachtete, wesentlich gleichberechtigte Stellung in den neuen Staaten gewannen, sie förderte den Proceß, der aus den germanischen An¬ siedelungen romanische Völker und Staaten hervorgehen ließ. Dieser Einfluß giebt der ganzen Frage ihr wesentliches Interesse und drängt zu einer eingehenden Untersuchung. Leider erfahren wir von den Rechten, welche durch die Verträge, kraft deren die Ansiedelung erfolgte, den Provincialen gewährleistet, von dem Einfluß, der dem Kaiser eingeräumt ward, fast gar nichts, nur durch Rückschlüsse und Com¬ binationen gewinnen wir einige Klarheit über diese Dinge. Dagegen ist es glücklicherweise möglich, ein leidlich anschauliches Bild von der Lage zu ent¬ werfen, in welcher diese Provincialen in den durch Vertrag gegründeten ger¬ manischen Staaten nun factisch standen. Das bedeutendste dieser Reiche in Gallien ist das wcstgothische, nach der Hauptstadt Toulouse gewöhnlich das tolosanische genannt. Die von Alarich aus der Balkanhalvinsel und dem römischen Dienst herausgeführten Gothen schlössen durch ihren König Watkin 416 in Spanien Frieden mit Rom, bekämpften für den Kaiser die Vandalen, Sueven und Alanen, ") In Betreff der Münzen ist zwar diese Aeußerung Procops nicht stichhaltig; wenigstens sind persische Goldmünzen aus dem sechsten Jahrhundert bekannt, aber bezeichnend bleibt die Auffassung dieses gleichzeitigen Schriftstellers trotzdem.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/196
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/196>, abgerufen am 28.07.2024.