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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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scheinlichkeit. Sie verspricht uns die Handzeichnung des Künstlers, ohne sie
erst durch die Berührung und Verarbeitung von einer zweiten Hand hindurch¬
gehn zu lassen, als reines Facsimile unmittelbar und in jeder beliebigen Zahl
drucksähig zu machen, also die Aufgabe des Holzschnitts zu erfüllen und den
Holzzeichner dabei doch des furchtbaren Schicksals zu entheben, mit welchem
ihn immer die Arbeit des Xylographen bedroht: sein Werk von fremdem Un¬
verstand und Ungeschick zerstückt und verhunzt, seiner besten Eigenthümlichkeit,
seines feinern geistigen Reizes, kurz alles dessen beraubt zu sehn, was es erst
zu einem künstlerischen machte. Wieviel Treffliches wir auch den bessern unsrer
Holzschneider verdanken -- dem deutschen Zeichner zumal wird keiner, der diese
vaterländischen Leiden aus eigner Anschauung und Erfahrung kennt, es verargen,
wenn er heiße Wünsche für die rasche Weiterentwicklung der Photolithographie
und die vollständige Beseitigung des Holzschnitts durch sie zum Himmel schickt!

Dem Laien nicht ganz so merklich und dem Künstler doch so klar bewußt wie
diese hier entwickelten directen theils feindlichen, theils günstigen Beziehungen
und Einwirkungen der Photographie auf verschiedene Zweige der Kunstübung,
sind die höchst wichtigen mittelbaren, welche, von ihr ausgegangen, sich in der
Kunst unsrer Zeit geltend machen. Der moderne malerische Realismus, in
deren ganzer Eigenthümlichkeit zwar begründet, ist doch zu seiner vollen Aus¬
bildung wesentlich erst durch sie gereift, die uns zuerst die Natur, wie sie wirk¬
lich ist, wie ihre Körperlichkeit auf die Fläche übertragen sich wirklich im Bilde
darzustellen hat, gewiesen und dieses Bild derselben dem Künstler zum Studium,
zur Lehre, zur Anlehnung, zur Berichtigung des eignen Schaffens, zu dauerndem
Besitz in die Hand gegeben hat. Die Geheimnisse der malerischen Wirkung,
der wahrhaft körperlichen Rundung und Modellirung hat sie uns erschlossen,
den Sinn für das Detail und für das Massenhalten zugleich in ungeahnter
Weise verschärft und verfeinert; durch das Augenblicksbild unsre Vorstellungen
von der Erscheinung flüchtigster Bewegungen corrigirt. erweitert und bereichert;
gewisse zur andern Natur gewordne Kunstsünden, geheiligte malerische Lügen¬
haftigkeiten einer ihr kurz vorangegangenen Epoche der Malerei, so sollte man
meinen, für alle Zukunft ferner unmöglich gemacht. Und indem sie den Sinn
der Künstler selbst verschärfte, bildete sie bis zu einem gewissen Grade den des
Publikums in ähnlicher Richtung, gewöhnte sie es an die Forderung der natür¬
lichen Wahrheit in jedem Bilde und mußte sie durch die enorme und allseitige
Verbreitung der Anschauung best Besten, was die Kunst aller Zeiten geschaffen,
den allgemeinen Geschmack gleichzeitig so cultiviren, daß er das Schlechte, Elende
und Nichtige mit Widerwillen von sich wiese ... -- so wäre es wenigstens
logisch und folgerecht gewesen. Aber in menschlichen Entwickelungen geht es
nicht immer nach der vernünftigen Theorie und Logik zu, und so ist denn auch
diese scheinbar so nothwendig richtige Folge bis heut noch keineswegs voll-


scheinlichkeit. Sie verspricht uns die Handzeichnung des Künstlers, ohne sie
erst durch die Berührung und Verarbeitung von einer zweiten Hand hindurch¬
gehn zu lassen, als reines Facsimile unmittelbar und in jeder beliebigen Zahl
drucksähig zu machen, also die Aufgabe des Holzschnitts zu erfüllen und den
Holzzeichner dabei doch des furchtbaren Schicksals zu entheben, mit welchem
ihn immer die Arbeit des Xylographen bedroht: sein Werk von fremdem Un¬
verstand und Ungeschick zerstückt und verhunzt, seiner besten Eigenthümlichkeit,
seines feinern geistigen Reizes, kurz alles dessen beraubt zu sehn, was es erst
zu einem künstlerischen machte. Wieviel Treffliches wir auch den bessern unsrer
Holzschneider verdanken — dem deutschen Zeichner zumal wird keiner, der diese
vaterländischen Leiden aus eigner Anschauung und Erfahrung kennt, es verargen,
wenn er heiße Wünsche für die rasche Weiterentwicklung der Photolithographie
und die vollständige Beseitigung des Holzschnitts durch sie zum Himmel schickt!

Dem Laien nicht ganz so merklich und dem Künstler doch so klar bewußt wie
diese hier entwickelten directen theils feindlichen, theils günstigen Beziehungen
und Einwirkungen der Photographie auf verschiedene Zweige der Kunstübung,
sind die höchst wichtigen mittelbaren, welche, von ihr ausgegangen, sich in der
Kunst unsrer Zeit geltend machen. Der moderne malerische Realismus, in
deren ganzer Eigenthümlichkeit zwar begründet, ist doch zu seiner vollen Aus¬
bildung wesentlich erst durch sie gereift, die uns zuerst die Natur, wie sie wirk¬
lich ist, wie ihre Körperlichkeit auf die Fläche übertragen sich wirklich im Bilde
darzustellen hat, gewiesen und dieses Bild derselben dem Künstler zum Studium,
zur Lehre, zur Anlehnung, zur Berichtigung des eignen Schaffens, zu dauerndem
Besitz in die Hand gegeben hat. Die Geheimnisse der malerischen Wirkung,
der wahrhaft körperlichen Rundung und Modellirung hat sie uns erschlossen,
den Sinn für das Detail und für das Massenhalten zugleich in ungeahnter
Weise verschärft und verfeinert; durch das Augenblicksbild unsre Vorstellungen
von der Erscheinung flüchtigster Bewegungen corrigirt. erweitert und bereichert;
gewisse zur andern Natur gewordne Kunstsünden, geheiligte malerische Lügen¬
haftigkeiten einer ihr kurz vorangegangenen Epoche der Malerei, so sollte man
meinen, für alle Zukunft ferner unmöglich gemacht. Und indem sie den Sinn
der Künstler selbst verschärfte, bildete sie bis zu einem gewissen Grade den des
Publikums in ähnlicher Richtung, gewöhnte sie es an die Forderung der natür¬
lichen Wahrheit in jedem Bilde und mußte sie durch die enorme und allseitige
Verbreitung der Anschauung best Besten, was die Kunst aller Zeiten geschaffen,
den allgemeinen Geschmack gleichzeitig so cultiviren, daß er das Schlechte, Elende
und Nichtige mit Widerwillen von sich wiese ... — so wäre es wenigstens
logisch und folgerecht gewesen. Aber in menschlichen Entwickelungen geht es
nicht immer nach der vernünftigen Theorie und Logik zu, und so ist denn auch
diese scheinbar so nothwendig richtige Folge bis heut noch keineswegs voll-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/191>, abgerufen am 28.07.2024.