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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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schütze und statt 1S00 Schuß pro Geschütz deren nur 200 vorhanden. Gnei-
senau setzte sich sofort mit der englischen und schwedischen Regierung direct in
Verbindung und erhielt das Gewünschte im Monat Juni, als er Beweise seiner
Leistungsfähigkeit gegeben hatte. An Geld fehlte es vollständig, er nahm nach
und nach ein Anlehen von 95.687 Thlr. auf, machte Papiergeld im Betrage
von 30,000 Thlr.. u. a. 6200 Thlr. in 8, 4 und 2 g. Groschenstücken. Da in
Kolberg keine Druckerei war, ließ er Papier auf Pappe kleben, auf die eine
Seite den Werth mit bunter Tinte schreiben und durch den Magistrat unter¬
schreiben, während auf die Rückseite das Gouvernementsstegel gedrückt wurde.
In Liverpool bestellte er 100.000 nicht vollwichtige Groschen, diese kamen aber
nicht mehr zur Ausgabe. -- Für die Geschützröhre fehlte es an Lasteten u. s. w.
Gneisenau richtete sofort Werkstätten her und verwandte hier die Schmiede
u. s. w. des Orts.

Die Vertheidigung der Festung war bisher auf die eigentlichen Festungs-
linien beschränkt; am ersten Tage seiner Anwesenheit recognoscirte er das Ter¬
rain und schritt sofort zur Anlage von Außenwerken, um die Vertheidigung
von der Stadt und an den Feind zu verlegen. Es fehlte ihm an den noth¬
wendigen Jngenieuroffizieren, er hatte nur einen alten stumpfen Hauptmann
und einen eben von der Akademie gekommenen Lieutenant. Bei den Franzosen
leitete ein Generallieutenant und eine Schaar von Offizieren die Geniearbeiten.
Gneisenau leitete sie alle selber und schuf jenen täglich neue Schwierigkeiten.
Die ganzen Ueberschwemmungsangelegenheiten für die Umgebung der Festung,
sowie das Feuerlöschwesen übergab er dem bekannten Patrioten Nettelbeck, der
in seiner Jugend die Festung gegen die Russen hatte vertheidigen helfen, jetzt
als siebzigjähriger Greis unermüdlich war, mit größter Sorgsamkeit die ihm ge¬
stellte Aufgabe erfüllte, die Truppen in das Gefecht begleitete, ihnen Proviant and
Munition zuführte, die ankommenden Schiffe empfing, die Ausladungen besorgte
u. s. w. Die Bürger verstand Gneisenau sofort mit der militärischen Macht zu
versöhnen und ihre patriotischen Gefühle für jdie Vertheidigung auszunutzen.
Bei allen größern Ausfällen besetzte das Bürgermilitär die Hauptwache und den
Hauptwall.

Die Vertheidigung der Festung legte Gneisenau ganz nach Außen, selbst
in dem Rücken des Gegners unternahm er seine Operationen, wiederholt hob er
dem Feinde zugehende Transporte auf, und kein feindlicher Offizier wagte ohne
Escorte seine Truppe zu verlassen. Während der ganzen neunwöchentlicher vom
Feinde mit der größten Energie betriebenen Belagerung hielt er den Gegner
vom Hauptwall fern, bedrohte er, der Angegriffene, fortwährend den Feind und
dessen Positionen. Er blieb in unausgesetzter Verbindung mit General Blücher
und drängte zu Landungen und größern Operationen; er verhandelte auch des¬
wegen mit Schweden und England.


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schütze und statt 1S00 Schuß pro Geschütz deren nur 200 vorhanden. Gnei-
senau setzte sich sofort mit der englischen und schwedischen Regierung direct in
Verbindung und erhielt das Gewünschte im Monat Juni, als er Beweise seiner
Leistungsfähigkeit gegeben hatte. An Geld fehlte es vollständig, er nahm nach
und nach ein Anlehen von 95.687 Thlr. auf, machte Papiergeld im Betrage
von 30,000 Thlr.. u. a. 6200 Thlr. in 8, 4 und 2 g. Groschenstücken. Da in
Kolberg keine Druckerei war, ließ er Papier auf Pappe kleben, auf die eine
Seite den Werth mit bunter Tinte schreiben und durch den Magistrat unter¬
schreiben, während auf die Rückseite das Gouvernementsstegel gedrückt wurde.
In Liverpool bestellte er 100.000 nicht vollwichtige Groschen, diese kamen aber
nicht mehr zur Ausgabe. — Für die Geschützröhre fehlte es an Lasteten u. s. w.
Gneisenau richtete sofort Werkstätten her und verwandte hier die Schmiede
u. s. w. des Orts.

Die Vertheidigung der Festung war bisher auf die eigentlichen Festungs-
linien beschränkt; am ersten Tage seiner Anwesenheit recognoscirte er das Ter¬
rain und schritt sofort zur Anlage von Außenwerken, um die Vertheidigung
von der Stadt und an den Feind zu verlegen. Es fehlte ihm an den noth¬
wendigen Jngenieuroffizieren, er hatte nur einen alten stumpfen Hauptmann
und einen eben von der Akademie gekommenen Lieutenant. Bei den Franzosen
leitete ein Generallieutenant und eine Schaar von Offizieren die Geniearbeiten.
Gneisenau leitete sie alle selber und schuf jenen täglich neue Schwierigkeiten.
Die ganzen Ueberschwemmungsangelegenheiten für die Umgebung der Festung,
sowie das Feuerlöschwesen übergab er dem bekannten Patrioten Nettelbeck, der
in seiner Jugend die Festung gegen die Russen hatte vertheidigen helfen, jetzt
als siebzigjähriger Greis unermüdlich war, mit größter Sorgsamkeit die ihm ge¬
stellte Aufgabe erfüllte, die Truppen in das Gefecht begleitete, ihnen Proviant and
Munition zuführte, die ankommenden Schiffe empfing, die Ausladungen besorgte
u. s. w. Die Bürger verstand Gneisenau sofort mit der militärischen Macht zu
versöhnen und ihre patriotischen Gefühle für jdie Vertheidigung auszunutzen.
Bei allen größern Ausfällen besetzte das Bürgermilitär die Hauptwache und den
Hauptwall.

Die Vertheidigung der Festung legte Gneisenau ganz nach Außen, selbst
in dem Rücken des Gegners unternahm er seine Operationen, wiederholt hob er
dem Feinde zugehende Transporte auf, und kein feindlicher Offizier wagte ohne
Escorte seine Truppe zu verlassen. Während der ganzen neunwöchentlicher vom
Feinde mit der größten Energie betriebenen Belagerung hielt er den Gegner
vom Hauptwall fern, bedrohte er, der Angegriffene, fortwährend den Feind und
dessen Positionen. Er blieb in unausgesetzter Verbindung mit General Blücher
und drängte zu Landungen und größern Operationen; er verhandelte auch des¬
wegen mit Schweden und England.


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[0163] schütze und statt 1S00 Schuß pro Geschütz deren nur 200 vorhanden. Gnei- senau setzte sich sofort mit der englischen und schwedischen Regierung direct in Verbindung und erhielt das Gewünschte im Monat Juni, als er Beweise seiner Leistungsfähigkeit gegeben hatte. An Geld fehlte es vollständig, er nahm nach und nach ein Anlehen von 95.687 Thlr. auf, machte Papiergeld im Betrage von 30,000 Thlr.. u. a. 6200 Thlr. in 8, 4 und 2 g. Groschenstücken. Da in Kolberg keine Druckerei war, ließ er Papier auf Pappe kleben, auf die eine Seite den Werth mit bunter Tinte schreiben und durch den Magistrat unter¬ schreiben, während auf die Rückseite das Gouvernementsstegel gedrückt wurde. In Liverpool bestellte er 100.000 nicht vollwichtige Groschen, diese kamen aber nicht mehr zur Ausgabe. — Für die Geschützröhre fehlte es an Lasteten u. s. w. Gneisenau richtete sofort Werkstätten her und verwandte hier die Schmiede u. s. w. des Orts. Die Vertheidigung der Festung war bisher auf die eigentlichen Festungs- linien beschränkt; am ersten Tage seiner Anwesenheit recognoscirte er das Ter¬ rain und schritt sofort zur Anlage von Außenwerken, um die Vertheidigung von der Stadt und an den Feind zu verlegen. Es fehlte ihm an den noth¬ wendigen Jngenieuroffizieren, er hatte nur einen alten stumpfen Hauptmann und einen eben von der Akademie gekommenen Lieutenant. Bei den Franzosen leitete ein Generallieutenant und eine Schaar von Offizieren die Geniearbeiten. Gneisenau leitete sie alle selber und schuf jenen täglich neue Schwierigkeiten. Die ganzen Ueberschwemmungsangelegenheiten für die Umgebung der Festung, sowie das Feuerlöschwesen übergab er dem bekannten Patrioten Nettelbeck, der in seiner Jugend die Festung gegen die Russen hatte vertheidigen helfen, jetzt als siebzigjähriger Greis unermüdlich war, mit größter Sorgsamkeit die ihm ge¬ stellte Aufgabe erfüllte, die Truppen in das Gefecht begleitete, ihnen Proviant and Munition zuführte, die ankommenden Schiffe empfing, die Ausladungen besorgte u. s. w. Die Bürger verstand Gneisenau sofort mit der militärischen Macht zu versöhnen und ihre patriotischen Gefühle für jdie Vertheidigung auszunutzen. Bei allen größern Ausfällen besetzte das Bürgermilitär die Hauptwache und den Hauptwall. Die Vertheidigung der Festung legte Gneisenau ganz nach Außen, selbst in dem Rücken des Gegners unternahm er seine Operationen, wiederholt hob er dem Feinde zugehende Transporte auf, und kein feindlicher Offizier wagte ohne Escorte seine Truppe zu verlassen. Während der ganzen neunwöchentlicher vom Feinde mit der größten Energie betriebenen Belagerung hielt er den Gegner vom Hauptwall fern, bedrohte er, der Angegriffene, fortwährend den Feind und dessen Positionen. Er blieb in unausgesetzter Verbindung mit General Blücher und drängte zu Landungen und größern Operationen; er verhandelte auch des¬ wegen mit Schweden und England. 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/163>, abgerufen am 28.07.2024.