Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.Seichten und Unbeholfnen den Brodkorb leidlich gefüllt erhält, wo die Zeitun¬ Das wirklich Große freilich wird auch unter diesen Verhältnissen ohne Andrerseits verstimmt es in der Regel, wenn impotente Ehrbegier und Am wenigsten wird mit Recht dem Gelehrten, dem Schriftsteller und dem Mehr Nachsicht üben wir in der Regel mit dem Schauspieler, der in diesem Grenzboten II. 1866, ^
Seichten und Unbeholfnen den Brodkorb leidlich gefüllt erhält, wo die Zeitun¬ Das wirklich Große freilich wird auch unter diesen Verhältnissen ohne Andrerseits verstimmt es in der Regel, wenn impotente Ehrbegier und Am wenigsten wird mit Recht dem Gelehrten, dem Schriftsteller und dem Mehr Nachsicht üben wir in der Regel mit dem Schauspieler, der in diesem Grenzboten II. 1866, ^
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Seichten und Unbeholfnen den Brodkorb leidlich gefüllt erhält, wo die Zeitun¬
gen jedem Zahlungsfähigen reichlich Gelegenheit bieten, sein Licht leuchten zu
lassen, und wo Industrien oller Gattungen massenhaft nebeneinander aufschießen
und nach der Lebensluft ringen, die in der Gunst des Publikums liegt.
Das wirklich Große freilich wird auch unter diesen Verhältnissen ohne
Reclame meist bald gesehen, das wirklich Gute bricht sich von selbst und ohne
Gewaltsamkeit Bahn durch das Getümmel der Concurrenz. Nur das Mittel-
Maß und das Kleine sucht im Gedränge, indem es auf die Zehen tritt, seiner
Länge eine Elle zuzusehen oder durch unbescheidnen Gebrauch seiner Ellenbogen
sich aus dem Hintergrunde in die erste Reihe zu verhelfen. Thut es das mit
einer gewissen Naivetät, so wirkt es damit auf uns humoristisch, und wir ver¬
gessen, was daran unartig ist. über dem ästhetischen Eindruck, den der komische
Kauz auf unsere Lachnerven macht. Kommt dazu noch das Geschick, mit einem
groß und vornehm klingenden Vordersatze und einem kleinen plebejischen Nach¬
sätze oder durch Zusammenrücken an sich weit von einander entfernter Dinge
witzig zu verblüffen, so ists noch besser. Wir empfinden dann ungefähr den-
selben Reiz, den die niederdeutschen Sprichwörter auf uns ausüben, welche sich
in der Form der Apposition bewegen. Nur die industrielle Reclame. welche
Mit bewußter Dreistigkeit, frech und zugleich plump auftritt, wird nicht ver¬
ziehen.
Andrerseits verstimmt es in der Regel, wenn impotente Ehrbegier und
Selbstsucht auf geistigem Gebiet mit Marktschreierkünsten die Anerkennung
reclamirt, die ihr, wenn sie schwiege, nicht zu Theil werden würde. Leicht
übersehen wird, daß viele politische Demonstrationen des Volks, Wahlagita-
tionen. Nationalfeste u. f. w. sich mit der Reclame befassen, und in Amerika
Und England finden wir das sogar natürlich. Weniger begreiflich und erbau-
t'es ist es. wenn vornehme Herrschaften, wie z. B. die österreichische Politik,
sichs Geld kosten lassen, um ihre Vornehmheit durch Schrift und Bild in der
Presse der öffentlichen Meinung zu annoncircn. Mitleid mit Widerwillen ge-
lischt flößt allen Sehenden die krampfhafte Weise ein. mit welcher von gewissen
Legitimisten in Schleswig-Holstein jedes Ereigniß ergriffen und zu einer Reclame
sür ihr angebliches Recht zugestutzt wird.
Am wenigsten wird mit Recht dem Gelehrten, dem Schriftsteller und dem
Künstler zu Gute gehalten, der sich auf dieses Gebiet verirrt und durch prun¬
kende Büchertitel, durch Knalleffecte seines Textes oder durch Posaunenstöße
befreundeter Musikanten in einem journalistischen Orchester seine Waare dem
Markte anpreist oder gar - ein auffälliges Beispiel davon wurde vor einiger
Zeit von d. Bl. ohne Laterne und ohne weite Reise gefunden und beschrieben
^ die Posaune seiner Vortrefflichkeit selbst an den Mund setzt.
Mehr Nachsicht üben wir in der Regel mit dem Schauspieler, der in diesem
Grenzboten II. 1866, ^
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