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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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"Wie Apulejus und Aesop Fabeln erzählen," heißt es in einem andern
Briefe des gelehrten Canonikus von Gotha, "so auch die heilige Schrift der
Juden/' so namentlich das Buch Hiob und der Prophet Jonas, von dessen Wal¬
fisch der Briefschreiber meint, er werde eine Badeanstalt zum Walfisch gewesen sein.

"Es giebt nur Einen Gott," äußert sich Mullan wieder in einer andern
seiner vertrauten Episteln, "und Eine Göttin, aber unter vielen Gestalten und
vielen Namen: Jupiter, Sol, Apollo, Moses, Christus, Luna, Ceres, Proserpina,
Tellus, Maria." Und in Betreff des damaligen Kirchenwesens ist er im Stillen
der ärgste Ketzer. "Den Rock Christi," läßt er sich vernehmen, "den Bart und
die Vorhaut Christi verehre ich nicht, sondern den lebendigen Gott." Die
Fastenspeisen sind ihm Narrenfutter, die Bettelmönche Unthiere in Kutten, die
Stunden, die er mit dem Altardienste verbracht, verlorene Zeit, Ohrenbeichte
und Seelenmessen Absurditäten.

Sehr bezeichnend für die Lage und das positive Ziel der Humanisten dieser
Periode endlich ist, was der treffliche Mann an einen der jungen Leute schreibt,
die seinen Worten lauschten, und die dann zu den Besten in den Kämpferreihen
der humanistischen Schaar zählten. "Wir wandeln," sagt er da, "einen schmalen
und steilen Pfad, schmal, da nur Wenige mit uns nach besserem Wissen und
milderer Sitte streben, steil, da zur Kenntniß der lateinischen Sprache und,
was damit zusammenhängt, dem wahren Gute der Seele, niemand ohne An¬
strengung gelangen kann. Wir streben nach Gerechtigkeit, Mäßigkeit. Geduld,
Eintracht, Wahrheit und Freundschaft."

Solche Grundsätze im Verein mit dem Glanz des neuen Wissens konnten
nicht verfehlen, denen, die sich zu ihnen bekannten, allenthalben Anhänger zu
werben, und bald gab es unter allen Ständen der Nation, vorzüglich aber
unter dem höheren Bürgerstand, eifrige Vertreter der neuen Richtung und da¬
mit geschworne Gegner der Scholastik und ihres Anhangs in der Kirche. Selbst
an Universitäten, wo das Mittelalter besonders gehegt und verschanzt war,
fanden die borg-s literas, wenn auch noch geraume Zeit hindurch nur vor"
übergehend, Einlaß, und im ersten Decennium des sechzehnten Jahrhunderts
waren sie fast an jeder deutschen Hochschule wenigstens durch einen oder zwei
jüngere Magister vertreten, ja an einigen hatten ihre Repräsentanten schon be¬
stimmte Aussicht, die allein Herrschenden zu werden.

Anderwärts freilich sah es noch finster genug aus. Die Zunft der Scho¬
lastiker wehrte sich gegen die geistreichen Neuerer, denen die alte Weisheit Thor¬
heit war, und die an sie die unbequeme Zumuthung richteten, umzulernen,
mit allen ihren Künsten, noch mehr aber mit dem Ausrufer kirchenpolizeilicher
Hilfe. Er treibt Hebräisch, hieß es da, also ist er der Hinneigung zum Juden-
thun verdächtig. Er spricht Griechisch, folglich muß es schlecht um seinen
Christenglauben stehen. Er ist ein Kenner der platonischen Philosophie und


„Wie Apulejus und Aesop Fabeln erzählen," heißt es in einem andern
Briefe des gelehrten Canonikus von Gotha, „so auch die heilige Schrift der
Juden/' so namentlich das Buch Hiob und der Prophet Jonas, von dessen Wal¬
fisch der Briefschreiber meint, er werde eine Badeanstalt zum Walfisch gewesen sein.

„Es giebt nur Einen Gott," äußert sich Mullan wieder in einer andern
seiner vertrauten Episteln, „und Eine Göttin, aber unter vielen Gestalten und
vielen Namen: Jupiter, Sol, Apollo, Moses, Christus, Luna, Ceres, Proserpina,
Tellus, Maria." Und in Betreff des damaligen Kirchenwesens ist er im Stillen
der ärgste Ketzer. „Den Rock Christi," läßt er sich vernehmen, „den Bart und
die Vorhaut Christi verehre ich nicht, sondern den lebendigen Gott." Die
Fastenspeisen sind ihm Narrenfutter, die Bettelmönche Unthiere in Kutten, die
Stunden, die er mit dem Altardienste verbracht, verlorene Zeit, Ohrenbeichte
und Seelenmessen Absurditäten.

Sehr bezeichnend für die Lage und das positive Ziel der Humanisten dieser
Periode endlich ist, was der treffliche Mann an einen der jungen Leute schreibt,
die seinen Worten lauschten, und die dann zu den Besten in den Kämpferreihen
der humanistischen Schaar zählten. „Wir wandeln," sagt er da, „einen schmalen
und steilen Pfad, schmal, da nur Wenige mit uns nach besserem Wissen und
milderer Sitte streben, steil, da zur Kenntniß der lateinischen Sprache und,
was damit zusammenhängt, dem wahren Gute der Seele, niemand ohne An¬
strengung gelangen kann. Wir streben nach Gerechtigkeit, Mäßigkeit. Geduld,
Eintracht, Wahrheit und Freundschaft."

Solche Grundsätze im Verein mit dem Glanz des neuen Wissens konnten
nicht verfehlen, denen, die sich zu ihnen bekannten, allenthalben Anhänger zu
werben, und bald gab es unter allen Ständen der Nation, vorzüglich aber
unter dem höheren Bürgerstand, eifrige Vertreter der neuen Richtung und da¬
mit geschworne Gegner der Scholastik und ihres Anhangs in der Kirche. Selbst
an Universitäten, wo das Mittelalter besonders gehegt und verschanzt war,
fanden die borg-s literas, wenn auch noch geraume Zeit hindurch nur vor«
übergehend, Einlaß, und im ersten Decennium des sechzehnten Jahrhunderts
waren sie fast an jeder deutschen Hochschule wenigstens durch einen oder zwei
jüngere Magister vertreten, ja an einigen hatten ihre Repräsentanten schon be¬
stimmte Aussicht, die allein Herrschenden zu werden.

Anderwärts freilich sah es noch finster genug aus. Die Zunft der Scho¬
lastiker wehrte sich gegen die geistreichen Neuerer, denen die alte Weisheit Thor¬
heit war, und die an sie die unbequeme Zumuthung richteten, umzulernen,
mit allen ihren Künsten, noch mehr aber mit dem Ausrufer kirchenpolizeilicher
Hilfe. Er treibt Hebräisch, hieß es da, also ist er der Hinneigung zum Juden-
thun verdächtig. Er spricht Griechisch, folglich muß es schlecht um seinen
Christenglauben stehen. Er ist ein Kenner der platonischen Philosophie und


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[0517] „Wie Apulejus und Aesop Fabeln erzählen," heißt es in einem andern Briefe des gelehrten Canonikus von Gotha, „so auch die heilige Schrift der Juden/' so namentlich das Buch Hiob und der Prophet Jonas, von dessen Wal¬ fisch der Briefschreiber meint, er werde eine Badeanstalt zum Walfisch gewesen sein. „Es giebt nur Einen Gott," äußert sich Mullan wieder in einer andern seiner vertrauten Episteln, „und Eine Göttin, aber unter vielen Gestalten und vielen Namen: Jupiter, Sol, Apollo, Moses, Christus, Luna, Ceres, Proserpina, Tellus, Maria." Und in Betreff des damaligen Kirchenwesens ist er im Stillen der ärgste Ketzer. „Den Rock Christi," läßt er sich vernehmen, „den Bart und die Vorhaut Christi verehre ich nicht, sondern den lebendigen Gott." Die Fastenspeisen sind ihm Narrenfutter, die Bettelmönche Unthiere in Kutten, die Stunden, die er mit dem Altardienste verbracht, verlorene Zeit, Ohrenbeichte und Seelenmessen Absurditäten. Sehr bezeichnend für die Lage und das positive Ziel der Humanisten dieser Periode endlich ist, was der treffliche Mann an einen der jungen Leute schreibt, die seinen Worten lauschten, und die dann zu den Besten in den Kämpferreihen der humanistischen Schaar zählten. „Wir wandeln," sagt er da, „einen schmalen und steilen Pfad, schmal, da nur Wenige mit uns nach besserem Wissen und milderer Sitte streben, steil, da zur Kenntniß der lateinischen Sprache und, was damit zusammenhängt, dem wahren Gute der Seele, niemand ohne An¬ strengung gelangen kann. Wir streben nach Gerechtigkeit, Mäßigkeit. Geduld, Eintracht, Wahrheit und Freundschaft." Solche Grundsätze im Verein mit dem Glanz des neuen Wissens konnten nicht verfehlen, denen, die sich zu ihnen bekannten, allenthalben Anhänger zu werben, und bald gab es unter allen Ständen der Nation, vorzüglich aber unter dem höheren Bürgerstand, eifrige Vertreter der neuen Richtung und da¬ mit geschworne Gegner der Scholastik und ihres Anhangs in der Kirche. Selbst an Universitäten, wo das Mittelalter besonders gehegt und verschanzt war, fanden die borg-s literas, wenn auch noch geraume Zeit hindurch nur vor« übergehend, Einlaß, und im ersten Decennium des sechzehnten Jahrhunderts waren sie fast an jeder deutschen Hochschule wenigstens durch einen oder zwei jüngere Magister vertreten, ja an einigen hatten ihre Repräsentanten schon be¬ stimmte Aussicht, die allein Herrschenden zu werden. Anderwärts freilich sah es noch finster genug aus. Die Zunft der Scho¬ lastiker wehrte sich gegen die geistreichen Neuerer, denen die alte Weisheit Thor¬ heit war, und die an sie die unbequeme Zumuthung richteten, umzulernen, mit allen ihren Künsten, noch mehr aber mit dem Ausrufer kirchenpolizeilicher Hilfe. Er treibt Hebräisch, hieß es da, also ist er der Hinneigung zum Juden- thun verdächtig. Er spricht Griechisch, folglich muß es schlecht um seinen Christenglauben stehen. Er ist ein Kenner der platonischen Philosophie und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/517>, abgerufen am 01.07.2024.