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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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rohe, von Fremdwörtern wimmelnde, nur zum täglichen Gebrauch eines ganz
ungebildeten Volks dienende, dabei in sich sehr stark mundartlich gespaltene
Sprache vermittelst eines für einen ganz andern Sprachzustand berechneten
Alphabets zu.fixiren und zum Organ einer höheren Bildung zu machen, war
wahrlich kein leichter; und wenn auch der Sprachforscher an der Art, wie sie
die ihnen vorliegende Aufgabe gelöst haben, mancherlei auszusetzen hat -- na¬
mentlich ein zu starkes Anschmiegen an die alte Literatursprache --, so wäre es
doch ungerecht, zu verkennen, wie Bedeutendes sie geleistet haben.

Bei dieser ersten Fixirung der Sprache bedienten sich die Missionäre der
Hilfe einiger aufgeweckten eingebornen Priester, wie denn überhaupt ein großer
Theil des einheimischen Klerus ihren Bestrebungen förderlich war. Offenbar
kam ihnen die Unwissenheit desselben hinsichtlich der Regeln und Lehren der
eignen Kirche theilweise zu statten und ferner der Umstand, daß die Nestorianer
keinen Marien-. Heiligen- und Bilderdienst haben, gegen den nothgedrungen
auftretend die Protestanten sich so leicht in schroffen Gegensatz zu den alten
Seiten stellen. Die Anschauung der Missionäre, daß die Vorfahren der Nesto¬
rianer dasselbe reine Christenthum gehabt hätten, welches sie verkündigten, daß
sie dieses aber nach und nach verloren hätten, ließ man sich zum Theil ruhig
einreden, ohne zu ahnen, welch tiefer Gegensatz zwischen allem orientalischen
Christenthum seit uralter Zeit und jeder Form des Protestantismus herrscht.
Selbst vom Patriarchenstuhl, dessen jeweiliger Inhaber den Namen Mar
Schimon (d. i. voimuus usus Limeou) führt, legte man dem Streben, die
Syrer Mediens und Kurdistans zu amerikanischen Protestanten zu erziehen, kein
Hinderniß in den Weg, sondern zeigte sich demselben selbst günstig. Freilich
fehlte es auch nicht an Widersachern unter den einheimischen Priestern. Nament¬
lich die Bestrebungen, auch unter den westlichsten, in der Nähe des Tigris unter
türkischer Herrschaft lebenden Nestorianern Fuß zu fassen, fanden scharfen Wider¬
stand. Hier, wo man mit Europäern schon bekannter war. erklärte man dem
Patriarchen zum Trotz die Zöglinge der Missionäre als "Jnglisnaje" (Eng¬
länder) und "Protestantaje" (Protestanten) für Abtrünnige. Allein in der
großen Ebene am Arenia-See konnte die überlegene Bildung, der Glaubenseifer,
die Geschicklichkeit und die sittliche Lauterkeit der Amerikaner nachhaltig wirken
und nach und nach den fast allein bedeutenden Widerstand, den der Vis inertia,"
zu überwinden suchen.

Im Januar 1836 eröffneten Perkins und Grant die erste Schule in Arenia
mit nur 7 Schülern; im Jahre 1853 gab es in der Ebene von Arenia schon
ungefähr 80 Dorfschulen und dazu einige höhere Schulen zur Ausbildung von
Lehrern und Geistlichen. Leider bin ich nicht im Stande, etwas Näheres über
die Ausbreitung der Bildung in den letzten 12 Jahren zu sagen, da die mir
vorliegenden Nachrichten und Quellen nur bis zum Jahre 18S3 reichen.


rohe, von Fremdwörtern wimmelnde, nur zum täglichen Gebrauch eines ganz
ungebildeten Volks dienende, dabei in sich sehr stark mundartlich gespaltene
Sprache vermittelst eines für einen ganz andern Sprachzustand berechneten
Alphabets zu.fixiren und zum Organ einer höheren Bildung zu machen, war
wahrlich kein leichter; und wenn auch der Sprachforscher an der Art, wie sie
die ihnen vorliegende Aufgabe gelöst haben, mancherlei auszusetzen hat — na¬
mentlich ein zu starkes Anschmiegen an die alte Literatursprache —, so wäre es
doch ungerecht, zu verkennen, wie Bedeutendes sie geleistet haben.

Bei dieser ersten Fixirung der Sprache bedienten sich die Missionäre der
Hilfe einiger aufgeweckten eingebornen Priester, wie denn überhaupt ein großer
Theil des einheimischen Klerus ihren Bestrebungen förderlich war. Offenbar
kam ihnen die Unwissenheit desselben hinsichtlich der Regeln und Lehren der
eignen Kirche theilweise zu statten und ferner der Umstand, daß die Nestorianer
keinen Marien-. Heiligen- und Bilderdienst haben, gegen den nothgedrungen
auftretend die Protestanten sich so leicht in schroffen Gegensatz zu den alten
Seiten stellen. Die Anschauung der Missionäre, daß die Vorfahren der Nesto¬
rianer dasselbe reine Christenthum gehabt hätten, welches sie verkündigten, daß
sie dieses aber nach und nach verloren hätten, ließ man sich zum Theil ruhig
einreden, ohne zu ahnen, welch tiefer Gegensatz zwischen allem orientalischen
Christenthum seit uralter Zeit und jeder Form des Protestantismus herrscht.
Selbst vom Patriarchenstuhl, dessen jeweiliger Inhaber den Namen Mar
Schimon (d. i. voimuus usus Limeou) führt, legte man dem Streben, die
Syrer Mediens und Kurdistans zu amerikanischen Protestanten zu erziehen, kein
Hinderniß in den Weg, sondern zeigte sich demselben selbst günstig. Freilich
fehlte es auch nicht an Widersachern unter den einheimischen Priestern. Nament¬
lich die Bestrebungen, auch unter den westlichsten, in der Nähe des Tigris unter
türkischer Herrschaft lebenden Nestorianern Fuß zu fassen, fanden scharfen Wider¬
stand. Hier, wo man mit Europäern schon bekannter war. erklärte man dem
Patriarchen zum Trotz die Zöglinge der Missionäre als „Jnglisnaje" (Eng¬
länder) und „Protestantaje" (Protestanten) für Abtrünnige. Allein in der
großen Ebene am Arenia-See konnte die überlegene Bildung, der Glaubenseifer,
die Geschicklichkeit und die sittliche Lauterkeit der Amerikaner nachhaltig wirken
und nach und nach den fast allein bedeutenden Widerstand, den der Vis inertia,«
zu überwinden suchen.

Im Januar 1836 eröffneten Perkins und Grant die erste Schule in Arenia
mit nur 7 Schülern; im Jahre 1853 gab es in der Ebene von Arenia schon
ungefähr 80 Dorfschulen und dazu einige höhere Schulen zur Ausbildung von
Lehrern und Geistlichen. Leider bin ich nicht im Stande, etwas Näheres über
die Ausbreitung der Bildung in den letzten 12 Jahren zu sagen, da die mir
vorliegenden Nachrichten und Quellen nur bis zum Jahre 18S3 reichen.


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[0494] rohe, von Fremdwörtern wimmelnde, nur zum täglichen Gebrauch eines ganz ungebildeten Volks dienende, dabei in sich sehr stark mundartlich gespaltene Sprache vermittelst eines für einen ganz andern Sprachzustand berechneten Alphabets zu.fixiren und zum Organ einer höheren Bildung zu machen, war wahrlich kein leichter; und wenn auch der Sprachforscher an der Art, wie sie die ihnen vorliegende Aufgabe gelöst haben, mancherlei auszusetzen hat — na¬ mentlich ein zu starkes Anschmiegen an die alte Literatursprache —, so wäre es doch ungerecht, zu verkennen, wie Bedeutendes sie geleistet haben. Bei dieser ersten Fixirung der Sprache bedienten sich die Missionäre der Hilfe einiger aufgeweckten eingebornen Priester, wie denn überhaupt ein großer Theil des einheimischen Klerus ihren Bestrebungen förderlich war. Offenbar kam ihnen die Unwissenheit desselben hinsichtlich der Regeln und Lehren der eignen Kirche theilweise zu statten und ferner der Umstand, daß die Nestorianer keinen Marien-. Heiligen- und Bilderdienst haben, gegen den nothgedrungen auftretend die Protestanten sich so leicht in schroffen Gegensatz zu den alten Seiten stellen. Die Anschauung der Missionäre, daß die Vorfahren der Nesto¬ rianer dasselbe reine Christenthum gehabt hätten, welches sie verkündigten, daß sie dieses aber nach und nach verloren hätten, ließ man sich zum Theil ruhig einreden, ohne zu ahnen, welch tiefer Gegensatz zwischen allem orientalischen Christenthum seit uralter Zeit und jeder Form des Protestantismus herrscht. Selbst vom Patriarchenstuhl, dessen jeweiliger Inhaber den Namen Mar Schimon (d. i. voimuus usus Limeou) führt, legte man dem Streben, die Syrer Mediens und Kurdistans zu amerikanischen Protestanten zu erziehen, kein Hinderniß in den Weg, sondern zeigte sich demselben selbst günstig. Freilich fehlte es auch nicht an Widersachern unter den einheimischen Priestern. Nament¬ lich die Bestrebungen, auch unter den westlichsten, in der Nähe des Tigris unter türkischer Herrschaft lebenden Nestorianern Fuß zu fassen, fanden scharfen Wider¬ stand. Hier, wo man mit Europäern schon bekannter war. erklärte man dem Patriarchen zum Trotz die Zöglinge der Missionäre als „Jnglisnaje" (Eng¬ länder) und „Protestantaje" (Protestanten) für Abtrünnige. Allein in der großen Ebene am Arenia-See konnte die überlegene Bildung, der Glaubenseifer, die Geschicklichkeit und die sittliche Lauterkeit der Amerikaner nachhaltig wirken und nach und nach den fast allein bedeutenden Widerstand, den der Vis inertia,« zu überwinden suchen. Im Januar 1836 eröffneten Perkins und Grant die erste Schule in Arenia mit nur 7 Schülern; im Jahre 1853 gab es in der Ebene von Arenia schon ungefähr 80 Dorfschulen und dazu einige höhere Schulen zur Ausbildung von Lehrern und Geistlichen. Leider bin ich nicht im Stande, etwas Näheres über die Ausbreitung der Bildung in den letzten 12 Jahren zu sagen, da die mir vorliegenden Nachrichten und Quellen nur bis zum Jahre 18S3 reichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/494>, abgerufen am 26.06.2024.