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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Hüterin, Pflegerin und Vertheidigerin und nicht blos der Gegensatz gegen die
Welt im theologischen Sinne des Wortes, sondern auch gegen die mit den
letzten Zeiten der Völkerwanderung hereingebrochene Barbarei war. Kloster-
und Domschulen waren es, welche bis zu Ende des elften Jahrhunderts jene,
um das gleich hier anzudeuten, sehr dürftigen und meist nicht direct aus der
classischen Periode, sondern aus deren trüben Ausgängen stammenden Reste der
Cultur des Alterthums fortpflanzten, zunächst für Kleriker, dann auch für die
Anfangs wenig zahlreichen Laien, die darnach begehrten.

Später traten an verschiedenen Orten des romanischen Europa einzelne
private Lehrer von Ruf auf. welche durch weitere Ausbildung, Subtilisirung
und Systematifirung des Ueberlieferten oder durch Einführung "euer Elemente
in die Wissenschaft -- was beiläufig viel seltener war -- große lassen von
Schülern um sich sammelten, Neue Unterrichtsanstalten entstanden neben den
kirchlichen Instituten von gleicher Bestimmung, aber an den meisten derselben
trugen Lehrer wie Lernende immer noch einen vorwiegend klerikalen Charakter,
und dies setzte sich bis gegen das Ende des Mittelalters fort. Die Begriffe
Geistig und Geistlich waren eben noch nicht geschieden. Die Bezeichnung Schüler
oder Student bedeutete einen ähnlichen Gegensatz gegen die Laienwelt wie die
Bezeichnung Kleriker. Ueberall, wo sich aus dem Zusammenströmen wißbegieriger
Gemüther um einen oder mehre berühmte Lehrer eine durch Stiftungen und
Schenkungen befestigte hohe Schule entwickelte, ertheilte der Papst die Con¬
cession, die meisten Vortragenden, viele von den Zuhörern hatten die Priester¬
weihe empfangen, viele trugen die Mönchskutte, die Wissenschaft galt im Wesent¬
lichen als Dienerin der Kirche.

Dies ist wenigstens von der Universität Paris zu behaupten und in
gleicher Weise von allen derselben nachgeformten Hochschulen des Mittelalters.
Die pariser Universität ist der Zeit nach die erste in Europa, weshalb sie später
den Ehrennamen der mater swäiorum führte. Sie entstand zu Anfang des
zwölften Jahrhunderts in der angegebnen Weise, ohne Zuthun der'weltlichen
Behörde und nicht aus einer Kloster- oder Kathedralschulc. Einige Rhetoriker,
Philosophen und Theologen bildeten mit den von nah und fern sich um sie ein-
findenden Scholaren eine Körperschaft, die sich nach und nach Gesetze und eine
Verfassung gab und ebenso allmälig Rechte und Privilegien erwarb, mit denen
sie sich zunftartig nach außen hin abschloß.

Anders auf den beiden nächstbesten Universitäten Europas, der hohen
Schule zu Bologna und der zu Sa tern", die ebenfalls im Anfang des
zwölften Jahrhunderts entstanden. Während in Paris neben den allgemein
bildenden Wissenschaften, welche Kern und Same der Universität gewesen, neben
den später mit dem Namen der sieben freien Künste bezeichneten Disciplinen
die Theologie den Vorrang gewann und behauptete, trat in Bologna die


Hüterin, Pflegerin und Vertheidigerin und nicht blos der Gegensatz gegen die
Welt im theologischen Sinne des Wortes, sondern auch gegen die mit den
letzten Zeiten der Völkerwanderung hereingebrochene Barbarei war. Kloster-
und Domschulen waren es, welche bis zu Ende des elften Jahrhunderts jene,
um das gleich hier anzudeuten, sehr dürftigen und meist nicht direct aus der
classischen Periode, sondern aus deren trüben Ausgängen stammenden Reste der
Cultur des Alterthums fortpflanzten, zunächst für Kleriker, dann auch für die
Anfangs wenig zahlreichen Laien, die darnach begehrten.

Später traten an verschiedenen Orten des romanischen Europa einzelne
private Lehrer von Ruf auf. welche durch weitere Ausbildung, Subtilisirung
und Systematifirung des Ueberlieferten oder durch Einführung »euer Elemente
in die Wissenschaft — was beiläufig viel seltener war — große lassen von
Schülern um sich sammelten, Neue Unterrichtsanstalten entstanden neben den
kirchlichen Instituten von gleicher Bestimmung, aber an den meisten derselben
trugen Lehrer wie Lernende immer noch einen vorwiegend klerikalen Charakter,
und dies setzte sich bis gegen das Ende des Mittelalters fort. Die Begriffe
Geistig und Geistlich waren eben noch nicht geschieden. Die Bezeichnung Schüler
oder Student bedeutete einen ähnlichen Gegensatz gegen die Laienwelt wie die
Bezeichnung Kleriker. Ueberall, wo sich aus dem Zusammenströmen wißbegieriger
Gemüther um einen oder mehre berühmte Lehrer eine durch Stiftungen und
Schenkungen befestigte hohe Schule entwickelte, ertheilte der Papst die Con¬
cession, die meisten Vortragenden, viele von den Zuhörern hatten die Priester¬
weihe empfangen, viele trugen die Mönchskutte, die Wissenschaft galt im Wesent¬
lichen als Dienerin der Kirche.

Dies ist wenigstens von der Universität Paris zu behaupten und in
gleicher Weise von allen derselben nachgeformten Hochschulen des Mittelalters.
Die pariser Universität ist der Zeit nach die erste in Europa, weshalb sie später
den Ehrennamen der mater swäiorum führte. Sie entstand zu Anfang des
zwölften Jahrhunderts in der angegebnen Weise, ohne Zuthun der'weltlichen
Behörde und nicht aus einer Kloster- oder Kathedralschulc. Einige Rhetoriker,
Philosophen und Theologen bildeten mit den von nah und fern sich um sie ein-
findenden Scholaren eine Körperschaft, die sich nach und nach Gesetze und eine
Verfassung gab und ebenso allmälig Rechte und Privilegien erwarb, mit denen
sie sich zunftartig nach außen hin abschloß.

Anders auf den beiden nächstbesten Universitäten Europas, der hohen
Schule zu Bologna und der zu Sa tern», die ebenfalls im Anfang des
zwölften Jahrhunderts entstanden. Während in Paris neben den allgemein
bildenden Wissenschaften, welche Kern und Same der Universität gewesen, neben
den später mit dem Namen der sieben freien Künste bezeichneten Disciplinen
die Theologie den Vorrang gewann und behauptete, trat in Bologna die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/470>, abgerufen am 22.12.2024.