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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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hinzu, so erhalten wir doch immer höchstens 20 Briefe aufs Jahr, d. i. kaum
Zwei auf den Monat. Von diesen aber besteht eine ganz enorme Zahl in ganz
kurzen gelegentlichen Zetteln, wie Beethoven sie an wiener Bekannte schrieb;
neben welchen die ausgeführten Briefe an auswärtige Bekannte eine außer¬
ordentlich kleine Anzahl bilden. Man sieht, wie viel richtiger Beethoven selbst
sich beurtheilt hat, als Herr Rost; und auf die Bedeutung einer selbständigen
Briefsammlung Beethovens wirft dieser Umstand schon ein bedenkliches Licht.

Nun beachte man außerdem den Inhalt der Briefe. Die größte Verehrung
vor Beethoven dem Musiker braucht uns nicht so besangen zu machen, daß wir
nicht eingestehen sollten, daß die größte Zahl der Briefe weder an sich gehalt¬
voll, noch für Beethoven als Künstler charakteristisch ist. Mit Ausnahme der
wenigen an ihm nahe und von ihm geliebte Freunde (Wegeler, Ries, Amenda,
Erzherzog Rudolph u. a.) geschriebenen sieht man ihnen allen das Flüchtige und
Gelegentliche an, man sieht, wie Absicht und Laune des Augenblicks häusig
Tell und Inhalt bestimmt, die Briefe erhalten dadurch eine gewisse Flüchtigkeit
und Ungebundenheit, die uns an Beethoven biographisch natürlich im höchsten
Grade interessirt, uns den Menschen genauer kennen lehrt, die aber den Briefen
eine selbständige Bedeutung nicht geben kann; und namentlich sieht man bald,
daß er sich über künstlerische Fragen, die man grade am liebsten aus seinem
Munde erörtern hörte, nur ungern und nur in der größten Kürze äußert.
Wenn man liest, wie er guten Freunden gegenüber, so dem Baron von Zmeskall
U- a., seinen launigen, oft derben, keineswegs immer angenehmen Einfällen
freien Lauf läßt, wie er an Frau von Streicher über kleine häusliche Ange¬
legenheiten schreibt, wie er sich auch in Geschäftsbriefen an auswärtige Verleger
und in anderen, so den im Anhang mitgetheilten an Kanka, in nachlässiger,
"icht einmal immer correcter Weise, gehen läßt: so ist es für sein Leben wichtig,
ehr in seinem ganzen Naturell und in seinem Verhältniß zu den betreffenden
Personen kennen zu lernen; wer aber diese momentanen Einfälle als eigen¬
thümliche Aeußerungen seines Geistes vor aller Augen stellt und den Lesern
gleichsam zuruft: hier, lernt auch daraus den Genius kennen und schätzen --
der, glauben wir. hat die Bedeutung desselben nicht erfaßt und versündigt sich
"n seinem Andenken.*)

Nach dem Gesagten müssen wir unserer Ueberzeugung nach die Veranstal-
tung einer selbständigen Sammlung der beethovenschen Briefe für ein in sich
verfehltes Unternehmen halten. Wir sehen in Beethovens Briefen ein unent¬
behrliches und interessantes biographisches Material, und gewinnen aus den¬
jenigen, aus denen man ihn wirklich kennen lernen kann, ihn als edlen Menschen



") Herr Rost versteigt sich zu hohem Entzücken auch über diese Unebenheiten. "Cyklo-
Mische Felsblöcke werden hier mit cyklopischer Macht geschleudert" is, VII.) -- mit solchen und
ähnlichen Phrasen werden auch die Schwächen von Beethovens Korrespondenz entschuldigt.
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hinzu, so erhalten wir doch immer höchstens 20 Briefe aufs Jahr, d. i. kaum
Zwei auf den Monat. Von diesen aber besteht eine ganz enorme Zahl in ganz
kurzen gelegentlichen Zetteln, wie Beethoven sie an wiener Bekannte schrieb;
neben welchen die ausgeführten Briefe an auswärtige Bekannte eine außer¬
ordentlich kleine Anzahl bilden. Man sieht, wie viel richtiger Beethoven selbst
sich beurtheilt hat, als Herr Rost; und auf die Bedeutung einer selbständigen
Briefsammlung Beethovens wirft dieser Umstand schon ein bedenkliches Licht.

Nun beachte man außerdem den Inhalt der Briefe. Die größte Verehrung
vor Beethoven dem Musiker braucht uns nicht so besangen zu machen, daß wir
nicht eingestehen sollten, daß die größte Zahl der Briefe weder an sich gehalt¬
voll, noch für Beethoven als Künstler charakteristisch ist. Mit Ausnahme der
wenigen an ihm nahe und von ihm geliebte Freunde (Wegeler, Ries, Amenda,
Erzherzog Rudolph u. a.) geschriebenen sieht man ihnen allen das Flüchtige und
Gelegentliche an, man sieht, wie Absicht und Laune des Augenblicks häusig
Tell und Inhalt bestimmt, die Briefe erhalten dadurch eine gewisse Flüchtigkeit
und Ungebundenheit, die uns an Beethoven biographisch natürlich im höchsten
Grade interessirt, uns den Menschen genauer kennen lehrt, die aber den Briefen
eine selbständige Bedeutung nicht geben kann; und namentlich sieht man bald,
daß er sich über künstlerische Fragen, die man grade am liebsten aus seinem
Munde erörtern hörte, nur ungern und nur in der größten Kürze äußert.
Wenn man liest, wie er guten Freunden gegenüber, so dem Baron von Zmeskall
U- a., seinen launigen, oft derben, keineswegs immer angenehmen Einfällen
freien Lauf läßt, wie er an Frau von Streicher über kleine häusliche Ange¬
legenheiten schreibt, wie er sich auch in Geschäftsbriefen an auswärtige Verleger
und in anderen, so den im Anhang mitgetheilten an Kanka, in nachlässiger,
"icht einmal immer correcter Weise, gehen läßt: so ist es für sein Leben wichtig,
ehr in seinem ganzen Naturell und in seinem Verhältniß zu den betreffenden
Personen kennen zu lernen; wer aber diese momentanen Einfälle als eigen¬
thümliche Aeußerungen seines Geistes vor aller Augen stellt und den Lesern
gleichsam zuruft: hier, lernt auch daraus den Genius kennen und schätzen —
der, glauben wir. hat die Bedeutung desselben nicht erfaßt und versündigt sich
«n seinem Andenken.*)

Nach dem Gesagten müssen wir unserer Ueberzeugung nach die Veranstal-
tung einer selbständigen Sammlung der beethovenschen Briefe für ein in sich
verfehltes Unternehmen halten. Wir sehen in Beethovens Briefen ein unent¬
behrliches und interessantes biographisches Material, und gewinnen aus den¬
jenigen, aus denen man ihn wirklich kennen lernen kann, ihn als edlen Menschen



") Herr Rost versteigt sich zu hohem Entzücken auch über diese Unebenheiten. „Cyklo-
Mische Felsblöcke werden hier mit cyklopischer Macht geschleudert" is, VII.) — mit solchen und
ähnlichen Phrasen werden auch die Schwächen von Beethovens Korrespondenz entschuldigt.
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[0387] hinzu, so erhalten wir doch immer höchstens 20 Briefe aufs Jahr, d. i. kaum Zwei auf den Monat. Von diesen aber besteht eine ganz enorme Zahl in ganz kurzen gelegentlichen Zetteln, wie Beethoven sie an wiener Bekannte schrieb; neben welchen die ausgeführten Briefe an auswärtige Bekannte eine außer¬ ordentlich kleine Anzahl bilden. Man sieht, wie viel richtiger Beethoven selbst sich beurtheilt hat, als Herr Rost; und auf die Bedeutung einer selbständigen Briefsammlung Beethovens wirft dieser Umstand schon ein bedenkliches Licht. Nun beachte man außerdem den Inhalt der Briefe. Die größte Verehrung vor Beethoven dem Musiker braucht uns nicht so besangen zu machen, daß wir nicht eingestehen sollten, daß die größte Zahl der Briefe weder an sich gehalt¬ voll, noch für Beethoven als Künstler charakteristisch ist. Mit Ausnahme der wenigen an ihm nahe und von ihm geliebte Freunde (Wegeler, Ries, Amenda, Erzherzog Rudolph u. a.) geschriebenen sieht man ihnen allen das Flüchtige und Gelegentliche an, man sieht, wie Absicht und Laune des Augenblicks häusig Tell und Inhalt bestimmt, die Briefe erhalten dadurch eine gewisse Flüchtigkeit und Ungebundenheit, die uns an Beethoven biographisch natürlich im höchsten Grade interessirt, uns den Menschen genauer kennen lehrt, die aber den Briefen eine selbständige Bedeutung nicht geben kann; und namentlich sieht man bald, daß er sich über künstlerische Fragen, die man grade am liebsten aus seinem Munde erörtern hörte, nur ungern und nur in der größten Kürze äußert. Wenn man liest, wie er guten Freunden gegenüber, so dem Baron von Zmeskall U- a., seinen launigen, oft derben, keineswegs immer angenehmen Einfällen freien Lauf läßt, wie er an Frau von Streicher über kleine häusliche Ange¬ legenheiten schreibt, wie er sich auch in Geschäftsbriefen an auswärtige Verleger und in anderen, so den im Anhang mitgetheilten an Kanka, in nachlässiger, "icht einmal immer correcter Weise, gehen läßt: so ist es für sein Leben wichtig, ehr in seinem ganzen Naturell und in seinem Verhältniß zu den betreffenden Personen kennen zu lernen; wer aber diese momentanen Einfälle als eigen¬ thümliche Aeußerungen seines Geistes vor aller Augen stellt und den Lesern gleichsam zuruft: hier, lernt auch daraus den Genius kennen und schätzen — der, glauben wir. hat die Bedeutung desselben nicht erfaßt und versündigt sich «n seinem Andenken.*) Nach dem Gesagten müssen wir unserer Ueberzeugung nach die Veranstal- tung einer selbständigen Sammlung der beethovenschen Briefe für ein in sich verfehltes Unternehmen halten. Wir sehen in Beethovens Briefen ein unent¬ behrliches und interessantes biographisches Material, und gewinnen aus den¬ jenigen, aus denen man ihn wirklich kennen lernen kann, ihn als edlen Menschen ") Herr Rost versteigt sich zu hohem Entzücken auch über diese Unebenheiten. „Cyklo- Mische Felsblöcke werden hier mit cyklopischer Macht geschleudert" is, VII.) — mit solchen und ähnlichen Phrasen werden auch die Schwächen von Beethovens Korrespondenz entschuldigt. 46 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/387>, abgerufen am 22.12.2024.