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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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der sich das letztere Jahrzehnte lang einer eingehenden Beschäftigung mit künstlerischen
Dingen widersetzt hat, zum andern Theil aber -- und sicher zum nicht geringeren
-- der unklaren und schwankenden Haltung jener Zeitschriften selber. Sie suchten
halb unter den Künstlern und Kennern. halb unter den gebildeten Laien ihre Leser,
und fanden, indem sie es jedem recht machen wollten, zuletzt auf beiden Seiten nur
ein verschwindendes Häuflein. Folgte auch diese Unentschiedenheit mehr aus dem
Zwang der Umstände, als aus einem Fehler des Programms: nun, so war das
nur ein Zeichen mehr, daß die Zeit noch nicht gekommen war, den Gebildeten über¬
haupt zu der Kunst in ein näheres Verhältniß zu setzen.

Für die neue Zeitschrift liegen die Dinge anders und unbedingt günstiger.
Jeder fühlt an sich selber, wie seit etwa anderthalb Jahrzehnten das allgemeine In¬
teresse für die bildende Kunst in raschem Zunehmen begriffen ist; schon äußerlich
beweist das der starke Absatz der populären kunstgeschichtlichen. Werke und der Hun¬
derte von Photographien, welche die Meisterwerke aller Epochen der Anschauung der
weitesten Kreise übermitteln. Das neue Organ hat sich im vollen Bewußtsein dieser
Veränderung seine Ausgabe und sein Programm vorgezeichnet. So hat es vor
seinen Vorgängern den großen Vortheil voraus, eine bestimmt abgegrenzte Stellung
einzunehmen und sich an ein Publikum zu wenden, das wirklich vorhanden ist. Es
geht, wie der Prospect und das erste Heft uns zeigen, von dem Gedanken aus, daß
die Kunst weder das Monopol einer Zunft von Kennern und Kritikern, noch ein
"müßiger Zeitvertreib der Reichen und Vornehmen", sondern ein unauslöschliches
Bedürfniß und ein unverlierbares Eigenthum des menschlichen Geistes überhaupt ist:
die Blüthe des ganzen Culturlebens, welche im Kampfe der sich kreuzenden Interessen
des Tages immer wieder die Gewißheit der in sich befriedigten Vollendung des mensch¬
lichen Daseins wenigstens im Bilde giebt. Ein Erzeugnis) also der edelsten Kräfte,
das eben jetzt durch die fortgeschrittene und ausgebreitete Bildung, welche die beste
und einzig sichere Errungenschaft unserer Zeit ist, täglich mehr zum Gemeingut des
ganzen lebenden Geschlechtes wird.

Wenn aber die Zeit sich aus diesem weiteren Gesichtspunkte in eine nähere Be¬
ziehung zur Kunst setzt, so thut ihr unzweifelhaft ein Organ noth, das sich die
Aufgabe stellt, ihr zum tieferen Verständniß des Kunstlebens zu verhelfen. Es ist
fo selbstverständlich und wird doch imnnr wieder vergessen, daß die bildende Kunst,
weil sie den edelsten Inhalt des menschlichen Lebens in einer geläuterten Form mit
Hilfe eines spröden Materials zu versinnlichen hat, sich nicht dem gleichgiltigen Auge
des Beschauers ergiebt, der aus der kleinen Welt des täglichen Treibens in dieses
Reich des idealen Scheins einen neugierigen Blick werfen mochte. Auch dem Ge¬
bildeten bleibt sie ein Buch mit sieben Siegeln, wenn feine Phantasie und fein Auge
sich nicht gewöhnt haben, in den Formen und Farben die innerlich gestaltende Kraft
der Dinge gleichsam wicdcrzuentdecken. Namentlich hat sich in unserer Zeit -- wir
kennen ja die alte Klage -- in der Gährung der allgemeinen Zustände, in dem
Wechsel und der Unfertigkeit aller Culturformen die Anschauung ebenso abgestumpft,
als die Erscheinung des Lebens selber zum schwankenden und gleichgiltigen Mittel
des nach neuer Gestaltung erst ringenden Geistes geworden ist. Zudem hat die dem
Zeitalter eigene geschichtliche Spürkraft die Kunstschätze aller früheren Epochen wie
in einem ungeheuern Museum angesammelt, andererseits aber der modernen Kunst


der sich das letztere Jahrzehnte lang einer eingehenden Beschäftigung mit künstlerischen
Dingen widersetzt hat, zum andern Theil aber — und sicher zum nicht geringeren
— der unklaren und schwankenden Haltung jener Zeitschriften selber. Sie suchten
halb unter den Künstlern und Kennern. halb unter den gebildeten Laien ihre Leser,
und fanden, indem sie es jedem recht machen wollten, zuletzt auf beiden Seiten nur
ein verschwindendes Häuflein. Folgte auch diese Unentschiedenheit mehr aus dem
Zwang der Umstände, als aus einem Fehler des Programms: nun, so war das
nur ein Zeichen mehr, daß die Zeit noch nicht gekommen war, den Gebildeten über¬
haupt zu der Kunst in ein näheres Verhältniß zu setzen.

Für die neue Zeitschrift liegen die Dinge anders und unbedingt günstiger.
Jeder fühlt an sich selber, wie seit etwa anderthalb Jahrzehnten das allgemeine In¬
teresse für die bildende Kunst in raschem Zunehmen begriffen ist; schon äußerlich
beweist das der starke Absatz der populären kunstgeschichtlichen. Werke und der Hun¬
derte von Photographien, welche die Meisterwerke aller Epochen der Anschauung der
weitesten Kreise übermitteln. Das neue Organ hat sich im vollen Bewußtsein dieser
Veränderung seine Ausgabe und sein Programm vorgezeichnet. So hat es vor
seinen Vorgängern den großen Vortheil voraus, eine bestimmt abgegrenzte Stellung
einzunehmen und sich an ein Publikum zu wenden, das wirklich vorhanden ist. Es
geht, wie der Prospect und das erste Heft uns zeigen, von dem Gedanken aus, daß
die Kunst weder das Monopol einer Zunft von Kennern und Kritikern, noch ein
„müßiger Zeitvertreib der Reichen und Vornehmen", sondern ein unauslöschliches
Bedürfniß und ein unverlierbares Eigenthum des menschlichen Geistes überhaupt ist:
die Blüthe des ganzen Culturlebens, welche im Kampfe der sich kreuzenden Interessen
des Tages immer wieder die Gewißheit der in sich befriedigten Vollendung des mensch¬
lichen Daseins wenigstens im Bilde giebt. Ein Erzeugnis) also der edelsten Kräfte,
das eben jetzt durch die fortgeschrittene und ausgebreitete Bildung, welche die beste
und einzig sichere Errungenschaft unserer Zeit ist, täglich mehr zum Gemeingut des
ganzen lebenden Geschlechtes wird.

Wenn aber die Zeit sich aus diesem weiteren Gesichtspunkte in eine nähere Be¬
ziehung zur Kunst setzt, so thut ihr unzweifelhaft ein Organ noth, das sich die
Aufgabe stellt, ihr zum tieferen Verständniß des Kunstlebens zu verhelfen. Es ist
fo selbstverständlich und wird doch imnnr wieder vergessen, daß die bildende Kunst,
weil sie den edelsten Inhalt des menschlichen Lebens in einer geläuterten Form mit
Hilfe eines spröden Materials zu versinnlichen hat, sich nicht dem gleichgiltigen Auge
des Beschauers ergiebt, der aus der kleinen Welt des täglichen Treibens in dieses
Reich des idealen Scheins einen neugierigen Blick werfen mochte. Auch dem Ge¬
bildeten bleibt sie ein Buch mit sieben Siegeln, wenn feine Phantasie und fein Auge
sich nicht gewöhnt haben, in den Formen und Farben die innerlich gestaltende Kraft
der Dinge gleichsam wicdcrzuentdecken. Namentlich hat sich in unserer Zeit — wir
kennen ja die alte Klage — in der Gährung der allgemeinen Zustände, in dem
Wechsel und der Unfertigkeit aller Culturformen die Anschauung ebenso abgestumpft,
als die Erscheinung des Lebens selber zum schwankenden und gleichgiltigen Mittel
des nach neuer Gestaltung erst ringenden Geistes geworden ist. Zudem hat die dem
Zeitalter eigene geschichtliche Spürkraft die Kunstschätze aller früheren Epochen wie
in einem ungeheuern Museum angesammelt, andererseits aber der modernen Kunst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/378>, abgerufen am 22.12.2024.