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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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und für die der berliner Vildhauerschule insbesondere, so bedeutend einflußreich und
bestimmend zu werden, wie die in den vorhergehenden Abschnitten Genannten.
In der äußersten Vollendung und Durcharbeitung einfacher Gestalten suchte er
Zweck und Ziel seiner Kunst immer weit mehr, als in complicirter, bewegter oder
figurenreicher Erfindung, Aber auch bei solchen einfachen Aufgaben hat das Er¬
reichen jener ihm selbst vorschwebenden Bollendung gewöhnlich lange Jahre der
Arbeit erfordert, da er sich nie genug zu thun v"d nie den Abschluß zu finden ver¬
mochte. Von 1822 bis 27 war er als Schüler studirend und mitarbeitend bei
Rauch thätig. Dann ging er für lange Zeit nach Italien, wo er in ein nahes
Verhältniß- zu Thorwaldsen getreten ist. Der naive Idealismus des großen
Meisters hat den entschiedensten Einfluß auf ihn geübt, der in seinen bekann¬
teren Werken leicht sichtbar wird. Es sind dies der "bittende Knabe", der
kleine Merkur, der mit dem Stöckchen nach der Eidechse am Boden schlägt, der
Ganymed und der den Bogen glättende Paris. Eine herrliche Naivetät, die bei
dem Merkur bis zum drolligen Humor der unbefangnen Kindernatur geht, und
gleichzeitig ein wahrhaft classischer Schönheitssinn und die subtilste Ausführung
ist ihnen gemeinsam. Die simpelste und doch nahezu bedeutendste Aufgabe der
plastischen Kunst, die ruhig dastehende nackte, fast knabenhafte Jünglingsgestalt
ist kaum zum zweiten Mal in modernen Zeiten so rein und vollkommen gelöst
worden, wie in jenem ausblickenden Ganymed, der in Bronce ausgeführt in
Charlottenhof siebt. -- Den Paris begann er 183K. Sechs Jahre später
wurde der nach des Autors Meinung noch keineswegs vollendete Marmor in
Berlin ausgestellt. Es war auch in dieser Einzelgestalt wieder ein in seiner
Art Absolutes erreicht. Sie hat immer als ein Kanon der reif erblühten weichen
und üppigen Jünglingsschönheit gegolten. An der Bewerbung um öffenliche
Monumente hat Wredow sich nur einmal betheiligt. Eine völlig unabhängige
äußere Lage verschaffte ihm den nicht genug zu schätzenden Vorzug, durch keine
außerkünstlerischen Gründe bewogen zu werden, sein Talent in ihm widerstrebende
Richtungen zu zwängen. Und das moderne Denkmalswesen war und blieb ihm
fremd. Nach dieser Seite hin hatte Rauchs Beispiel und Schule keine Macht
über ihn; Uniform und Mantel reizten ihn durchaus nicht (bis zur späteren
Zeit, als er zu Anfang der sechziger Jahre sich an der Preisbewerbung um das
kölner Königsdenkmal betheiligte und dann freilich den allerseltsamsten Entwurf
zu Tage förderte); der nackte Menschenleib blieb ihm immer der erste und letzte
Gegenstand aller Plastik. Nachdem er theils in Italien, theils in Berlin, dort
mit manchen resultatlos gebliebenen künstlerischen Experimenten, z. B. einer
großen kunstreichen Vase, hier mit dem von ihm selbst geleiteten, entworfnen
und mit vortrefflichem architektonischem Geschmack durchgeführten Bau seines
Hauses in der bernburger Straße manches Jahr zugebracht, gab ihn der Aus'
trag, eine der acht Schloßbrückengruppen, von denen unser voriger Artikel be-


und für die der berliner Vildhauerschule insbesondere, so bedeutend einflußreich und
bestimmend zu werden, wie die in den vorhergehenden Abschnitten Genannten.
In der äußersten Vollendung und Durcharbeitung einfacher Gestalten suchte er
Zweck und Ziel seiner Kunst immer weit mehr, als in complicirter, bewegter oder
figurenreicher Erfindung, Aber auch bei solchen einfachen Aufgaben hat das Er¬
reichen jener ihm selbst vorschwebenden Bollendung gewöhnlich lange Jahre der
Arbeit erfordert, da er sich nie genug zu thun v»d nie den Abschluß zu finden ver¬
mochte. Von 1822 bis 27 war er als Schüler studirend und mitarbeitend bei
Rauch thätig. Dann ging er für lange Zeit nach Italien, wo er in ein nahes
Verhältniß- zu Thorwaldsen getreten ist. Der naive Idealismus des großen
Meisters hat den entschiedensten Einfluß auf ihn geübt, der in seinen bekann¬
teren Werken leicht sichtbar wird. Es sind dies der „bittende Knabe", der
kleine Merkur, der mit dem Stöckchen nach der Eidechse am Boden schlägt, der
Ganymed und der den Bogen glättende Paris. Eine herrliche Naivetät, die bei
dem Merkur bis zum drolligen Humor der unbefangnen Kindernatur geht, und
gleichzeitig ein wahrhaft classischer Schönheitssinn und die subtilste Ausführung
ist ihnen gemeinsam. Die simpelste und doch nahezu bedeutendste Aufgabe der
plastischen Kunst, die ruhig dastehende nackte, fast knabenhafte Jünglingsgestalt
ist kaum zum zweiten Mal in modernen Zeiten so rein und vollkommen gelöst
worden, wie in jenem ausblickenden Ganymed, der in Bronce ausgeführt in
Charlottenhof siebt. — Den Paris begann er 183K. Sechs Jahre später
wurde der nach des Autors Meinung noch keineswegs vollendete Marmor in
Berlin ausgestellt. Es war auch in dieser Einzelgestalt wieder ein in seiner
Art Absolutes erreicht. Sie hat immer als ein Kanon der reif erblühten weichen
und üppigen Jünglingsschönheit gegolten. An der Bewerbung um öffenliche
Monumente hat Wredow sich nur einmal betheiligt. Eine völlig unabhängige
äußere Lage verschaffte ihm den nicht genug zu schätzenden Vorzug, durch keine
außerkünstlerischen Gründe bewogen zu werden, sein Talent in ihm widerstrebende
Richtungen zu zwängen. Und das moderne Denkmalswesen war und blieb ihm
fremd. Nach dieser Seite hin hatte Rauchs Beispiel und Schule keine Macht
über ihn; Uniform und Mantel reizten ihn durchaus nicht (bis zur späteren
Zeit, als er zu Anfang der sechziger Jahre sich an der Preisbewerbung um das
kölner Königsdenkmal betheiligte und dann freilich den allerseltsamsten Entwurf
zu Tage förderte); der nackte Menschenleib blieb ihm immer der erste und letzte
Gegenstand aller Plastik. Nachdem er theils in Italien, theils in Berlin, dort
mit manchen resultatlos gebliebenen künstlerischen Experimenten, z. B. einer
großen kunstreichen Vase, hier mit dem von ihm selbst geleiteten, entworfnen
und mit vortrefflichem architektonischem Geschmack durchgeführten Bau seines
Hauses in der bernburger Straße manches Jahr zugebracht, gab ihn der Aus'
trag, eine der acht Schloßbrückengruppen, von denen unser voriger Artikel be-


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[0366] und für die der berliner Vildhauerschule insbesondere, so bedeutend einflußreich und bestimmend zu werden, wie die in den vorhergehenden Abschnitten Genannten. In der äußersten Vollendung und Durcharbeitung einfacher Gestalten suchte er Zweck und Ziel seiner Kunst immer weit mehr, als in complicirter, bewegter oder figurenreicher Erfindung, Aber auch bei solchen einfachen Aufgaben hat das Er¬ reichen jener ihm selbst vorschwebenden Bollendung gewöhnlich lange Jahre der Arbeit erfordert, da er sich nie genug zu thun v»d nie den Abschluß zu finden ver¬ mochte. Von 1822 bis 27 war er als Schüler studirend und mitarbeitend bei Rauch thätig. Dann ging er für lange Zeit nach Italien, wo er in ein nahes Verhältniß- zu Thorwaldsen getreten ist. Der naive Idealismus des großen Meisters hat den entschiedensten Einfluß auf ihn geübt, der in seinen bekann¬ teren Werken leicht sichtbar wird. Es sind dies der „bittende Knabe", der kleine Merkur, der mit dem Stöckchen nach der Eidechse am Boden schlägt, der Ganymed und der den Bogen glättende Paris. Eine herrliche Naivetät, die bei dem Merkur bis zum drolligen Humor der unbefangnen Kindernatur geht, und gleichzeitig ein wahrhaft classischer Schönheitssinn und die subtilste Ausführung ist ihnen gemeinsam. Die simpelste und doch nahezu bedeutendste Aufgabe der plastischen Kunst, die ruhig dastehende nackte, fast knabenhafte Jünglingsgestalt ist kaum zum zweiten Mal in modernen Zeiten so rein und vollkommen gelöst worden, wie in jenem ausblickenden Ganymed, der in Bronce ausgeführt in Charlottenhof siebt. — Den Paris begann er 183K. Sechs Jahre später wurde der nach des Autors Meinung noch keineswegs vollendete Marmor in Berlin ausgestellt. Es war auch in dieser Einzelgestalt wieder ein in seiner Art Absolutes erreicht. Sie hat immer als ein Kanon der reif erblühten weichen und üppigen Jünglingsschönheit gegolten. An der Bewerbung um öffenliche Monumente hat Wredow sich nur einmal betheiligt. Eine völlig unabhängige äußere Lage verschaffte ihm den nicht genug zu schätzenden Vorzug, durch keine außerkünstlerischen Gründe bewogen zu werden, sein Talent in ihm widerstrebende Richtungen zu zwängen. Und das moderne Denkmalswesen war und blieb ihm fremd. Nach dieser Seite hin hatte Rauchs Beispiel und Schule keine Macht über ihn; Uniform und Mantel reizten ihn durchaus nicht (bis zur späteren Zeit, als er zu Anfang der sechziger Jahre sich an der Preisbewerbung um das kölner Königsdenkmal betheiligte und dann freilich den allerseltsamsten Entwurf zu Tage förderte); der nackte Menschenleib blieb ihm immer der erste und letzte Gegenstand aller Plastik. Nachdem er theils in Italien, theils in Berlin, dort mit manchen resultatlos gebliebenen künstlerischen Experimenten, z. B. einer großen kunstreichen Vase, hier mit dem von ihm selbst geleiteten, entworfnen und mit vortrefflichem architektonischem Geschmack durchgeführten Bau seines Hauses in der bernburger Straße manches Jahr zugebracht, gab ihn der Aus' trag, eine der acht Schloßbrückengruppen, von denen unser voriger Artikel be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/366>, abgerufen am 22.12.2024.