Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Wilhelm Wachsmuth.

Deutschland hat in Wilhelm Wachsmuth einen seiner Historiker, die Uni-
versität Leipzig eines ihrer lehrenden Mitglieder verloren, welches eine lange
Reihe von Jahren hindurch, in einer seltenen Ausdauer geistiger Vollkraft und
regen Fleißes, eine hervorragende Bedeutung in der literarischen und akade¬
mischen Welt behauptet hat.

Nur von wenigen der Historiker, die mit Wachsmuth ungefähr gleichzeitig
herangereift sind, wird man finden, daß sie von vornherein die Geschichte als
den wesentlichen Gegenstand ihrer Studien ins Auge gefaßt hätten. Viel zu
sehr pflegte dieselbe durch die mächtigen Fachwissenschaften des Rechts, der
Theologie, der Philologie überragt zu werden, als daß nicht der Blick des an¬
gehenden Musenjüngers zunächst auf diese sich geheftet hätte; erst allmälig übte
dann wohl die Geschichte, nachdem sie anfangs hauptsächlich als Dienerin von
jenen eine beiläufige Beschäftigung auf sich gezogen, ihren selbständigen Reiz
und nahm den ganzen Menschen in Anspruch. Wachsmuths Bildungsgang ist
in seinem Beginn aus ganz andere Dinge gerichtet gewesen als worin er schlie߬
lich seine Bedeutung zu finden bestimmt war; in eigenthümlicher Weise hat
sein vielseitiges Talent bald hier, bald da eine Bahn eingeschlagen; verhältni߬
mäßig erst spät brachte ihn ein besonders gutes Gelingen auf der einen der¬
selben, seinem eigenen Ausdrucke gemäß, "ins rechte Fahrwasser", und dann,
wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, doch der Haupsache nach in glatter und
glücklicher Fahrt zu schönen Zielen.

Wachsmuth selbst hat einer seiner letzten Schriften, den "niedersächsischen
Geschichten", eine kurze Schilderung seiner zurückgelegten Laufbahn voraus¬
geschickt. Als er geboren ward (28. December 1784), befand sich Friedrich der
Zweite noch am Leben, und der große Preußenkönig war denn auch die erste
historische Figur, welche die Phantasie des Knaben füllte, bis sich, aus der
Lecture von Schillers dreißigjährigen Kriege, die heitermenschliche Gestalt Gustav
Adolfs dazu gesellte.

Die Geburtsstadt Hildesheim bot in ihrer nomineller Abhängigkeit von
einem geistlichen Fürsten bei thatsächlicher Selbständigkeit und großentheils
Protestantischer Bevölkerung, mit den verschiedenen Spaltungen und Zerklüf¬
tungen, die durch das städtische Wesen hindurchgingen, und mit den mancherlei
wunderlichen Formen, in denen sich längst Abgelebtes künstlich zu conserviren
strebte, auf kleinem Raume ein recht lebendiges Bild derjenigen Art von deutschen


Grenzboten I. 18K6. 43
Wilhelm Wachsmuth.

Deutschland hat in Wilhelm Wachsmuth einen seiner Historiker, die Uni-
versität Leipzig eines ihrer lehrenden Mitglieder verloren, welches eine lange
Reihe von Jahren hindurch, in einer seltenen Ausdauer geistiger Vollkraft und
regen Fleißes, eine hervorragende Bedeutung in der literarischen und akade¬
mischen Welt behauptet hat.

Nur von wenigen der Historiker, die mit Wachsmuth ungefähr gleichzeitig
herangereift sind, wird man finden, daß sie von vornherein die Geschichte als
den wesentlichen Gegenstand ihrer Studien ins Auge gefaßt hätten. Viel zu
sehr pflegte dieselbe durch die mächtigen Fachwissenschaften des Rechts, der
Theologie, der Philologie überragt zu werden, als daß nicht der Blick des an¬
gehenden Musenjüngers zunächst auf diese sich geheftet hätte; erst allmälig übte
dann wohl die Geschichte, nachdem sie anfangs hauptsächlich als Dienerin von
jenen eine beiläufige Beschäftigung auf sich gezogen, ihren selbständigen Reiz
und nahm den ganzen Menschen in Anspruch. Wachsmuths Bildungsgang ist
in seinem Beginn aus ganz andere Dinge gerichtet gewesen als worin er schlie߬
lich seine Bedeutung zu finden bestimmt war; in eigenthümlicher Weise hat
sein vielseitiges Talent bald hier, bald da eine Bahn eingeschlagen; verhältni߬
mäßig erst spät brachte ihn ein besonders gutes Gelingen auf der einen der¬
selben, seinem eigenen Ausdrucke gemäß, „ins rechte Fahrwasser", und dann,
wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, doch der Haupsache nach in glatter und
glücklicher Fahrt zu schönen Zielen.

Wachsmuth selbst hat einer seiner letzten Schriften, den „niedersächsischen
Geschichten", eine kurze Schilderung seiner zurückgelegten Laufbahn voraus¬
geschickt. Als er geboren ward (28. December 1784), befand sich Friedrich der
Zweite noch am Leben, und der große Preußenkönig war denn auch die erste
historische Figur, welche die Phantasie des Knaben füllte, bis sich, aus der
Lecture von Schillers dreißigjährigen Kriege, die heitermenschliche Gestalt Gustav
Adolfs dazu gesellte.

Die Geburtsstadt Hildesheim bot in ihrer nomineller Abhängigkeit von
einem geistlichen Fürsten bei thatsächlicher Selbständigkeit und großentheils
Protestantischer Bevölkerung, mit den verschiedenen Spaltungen und Zerklüf¬
tungen, die durch das städtische Wesen hindurchgingen, und mit den mancherlei
wunderlichen Formen, in denen sich längst Abgelebtes künstlich zu conserviren
strebte, auf kleinem Raume ein recht lebendiges Bild derjenigen Art von deutschen


Grenzboten I. 18K6. 43
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284829"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wilhelm Wachsmuth.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1203"> Deutschland hat in Wilhelm Wachsmuth einen seiner Historiker, die Uni-<lb/>
versität Leipzig eines ihrer lehrenden Mitglieder verloren, welches eine lange<lb/>
Reihe von Jahren hindurch, in einer seltenen Ausdauer geistiger Vollkraft und<lb/>
regen Fleißes, eine hervorragende Bedeutung in der literarischen und akade¬<lb/>
mischen Welt behauptet hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1204"> Nur von wenigen der Historiker, die mit Wachsmuth ungefähr gleichzeitig<lb/>
herangereift sind, wird man finden, daß sie von vornherein die Geschichte als<lb/>
den wesentlichen Gegenstand ihrer Studien ins Auge gefaßt hätten. Viel zu<lb/>
sehr pflegte dieselbe durch die mächtigen Fachwissenschaften des Rechts, der<lb/>
Theologie, der Philologie überragt zu werden, als daß nicht der Blick des an¬<lb/>
gehenden Musenjüngers zunächst auf diese sich geheftet hätte; erst allmälig übte<lb/>
dann wohl die Geschichte, nachdem sie anfangs hauptsächlich als Dienerin von<lb/>
jenen eine beiläufige Beschäftigung auf sich gezogen, ihren selbständigen Reiz<lb/>
und nahm den ganzen Menschen in Anspruch. Wachsmuths Bildungsgang ist<lb/>
in seinem Beginn aus ganz andere Dinge gerichtet gewesen als worin er schlie߬<lb/>
lich seine Bedeutung zu finden bestimmt war; in eigenthümlicher Weise hat<lb/>
sein vielseitiges Talent bald hier, bald da eine Bahn eingeschlagen; verhältni߬<lb/>
mäßig erst spät brachte ihn ein besonders gutes Gelingen auf der einen der¬<lb/>
selben, seinem eigenen Ausdrucke gemäß, &#x201E;ins rechte Fahrwasser", und dann,<lb/>
wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, doch der Haupsache nach in glatter und<lb/>
glücklicher Fahrt zu schönen Zielen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1205"> Wachsmuth selbst hat einer seiner letzten Schriften, den &#x201E;niedersächsischen<lb/>
Geschichten", eine kurze Schilderung seiner zurückgelegten Laufbahn voraus¬<lb/>
geschickt. Als er geboren ward (28. December 1784), befand sich Friedrich der<lb/>
Zweite noch am Leben, und der große Preußenkönig war denn auch die erste<lb/>
historische Figur, welche die Phantasie des Knaben füllte, bis sich, aus der<lb/>
Lecture von Schillers dreißigjährigen Kriege, die heitermenschliche Gestalt Gustav<lb/>
Adolfs dazu gesellte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1206" next="#ID_1207"> Die Geburtsstadt Hildesheim bot in ihrer nomineller Abhängigkeit von<lb/>
einem geistlichen Fürsten bei thatsächlicher Selbständigkeit und großentheils<lb/>
Protestantischer Bevölkerung, mit den verschiedenen Spaltungen und Zerklüf¬<lb/>
tungen, die durch das städtische Wesen hindurchgingen, und mit den mancherlei<lb/>
wunderlichen Formen, in denen sich längst Abgelebtes künstlich zu conserviren<lb/>
strebte, auf kleinem Raume ein recht lebendiges Bild derjenigen Art von deutschen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 18K6. 43</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] Wilhelm Wachsmuth. Deutschland hat in Wilhelm Wachsmuth einen seiner Historiker, die Uni- versität Leipzig eines ihrer lehrenden Mitglieder verloren, welches eine lange Reihe von Jahren hindurch, in einer seltenen Ausdauer geistiger Vollkraft und regen Fleißes, eine hervorragende Bedeutung in der literarischen und akade¬ mischen Welt behauptet hat. Nur von wenigen der Historiker, die mit Wachsmuth ungefähr gleichzeitig herangereift sind, wird man finden, daß sie von vornherein die Geschichte als den wesentlichen Gegenstand ihrer Studien ins Auge gefaßt hätten. Viel zu sehr pflegte dieselbe durch die mächtigen Fachwissenschaften des Rechts, der Theologie, der Philologie überragt zu werden, als daß nicht der Blick des an¬ gehenden Musenjüngers zunächst auf diese sich geheftet hätte; erst allmälig übte dann wohl die Geschichte, nachdem sie anfangs hauptsächlich als Dienerin von jenen eine beiläufige Beschäftigung auf sich gezogen, ihren selbständigen Reiz und nahm den ganzen Menschen in Anspruch. Wachsmuths Bildungsgang ist in seinem Beginn aus ganz andere Dinge gerichtet gewesen als worin er schlie߬ lich seine Bedeutung zu finden bestimmt war; in eigenthümlicher Weise hat sein vielseitiges Talent bald hier, bald da eine Bahn eingeschlagen; verhältni߬ mäßig erst spät brachte ihn ein besonders gutes Gelingen auf der einen der¬ selben, seinem eigenen Ausdrucke gemäß, „ins rechte Fahrwasser", und dann, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, doch der Haupsache nach in glatter und glücklicher Fahrt zu schönen Zielen. Wachsmuth selbst hat einer seiner letzten Schriften, den „niedersächsischen Geschichten", eine kurze Schilderung seiner zurückgelegten Laufbahn voraus¬ geschickt. Als er geboren ward (28. December 1784), befand sich Friedrich der Zweite noch am Leben, und der große Preußenkönig war denn auch die erste historische Figur, welche die Phantasie des Knaben füllte, bis sich, aus der Lecture von Schillers dreißigjährigen Kriege, die heitermenschliche Gestalt Gustav Adolfs dazu gesellte. Die Geburtsstadt Hildesheim bot in ihrer nomineller Abhängigkeit von einem geistlichen Fürsten bei thatsächlicher Selbständigkeit und großentheils Protestantischer Bevölkerung, mit den verschiedenen Spaltungen und Zerklüf¬ tungen, die durch das städtische Wesen hindurchgingen, und mit den mancherlei wunderlichen Formen, in denen sich längst Abgelebtes künstlich zu conserviren strebte, auf kleinem Raume ein recht lebendiges Bild derjenigen Art von deutschen Grenzboten I. 18K6. 43

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/359>, abgerufen am 22.12.2024.