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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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thun sei. Sie werden sich dabei auf einen hinlänglich hohen geschichtlichen
Standpunkt erheben, um zu sehen, wie dergleichen Genußmittel im Leben der
Völker sich einbürgern und wieder verschwinden, verschwinden mit oder ohne
einen gleichartigen aber mildern Ersatz. Sie werden dann die nähere Ver¬
gangenheit der civilisirten Nationen prüfen, aus der die Entwicklung des Urtheils
über Trunkenheit und Trunksucht und der Uebergang von stärkeren berauschenden
Getränken zu schwächern hervorgeht. Sie werden endlich die Frage aufwerfen,
ob man dieser Entwicklung des Urtheils und der Sitte vertrauensvoll die zu¬
nehmende Erstickung des Uebels anheimstellen, wohl gar schon bestehende Er¬
schwerungen des Spiritushandels wieder aufheben könne, -- oder ob umgekehrt
die Vernunft an sich, die Erfahrungen, welche andere Länder, namentlich Nord¬
amerika mit einschneidenden gesetzlichen Maßregeln gegen diesen Handel gemacht
haben, dazu rathen, desgleichen zu thun. Alle diese wichtigen und nothwendigen
Untersuchungen hat unsere deutsche Mäßigkeitsbewegung bisher niemals, oder
wenigstens nicht anders als höchst oberflächlich und unbefriedigend angestellt. Eine
auf sie gestützte Entscheidung würde die Sache theoretisch mehr klären und prak¬
tisch mehr vorwärts bringen, als ein zweites Menschenalter von Agitation von
dem früheren Stil.




Der Landesvater im vorige" Jahrhundert.

Man erwarte von der Ueberschrift nicht zu Großes. Keine historische Ab¬
handlung, keine Citation hochseliger Durchlauchten, Hoheiten und Majestäten
in Mongeperücken ist beabsichtigt. Unser Landesvater hat zwar mit Potentaten
in thun, ist aber selbst nicht Potentat. Er trägt keine Krone, sondern einen
einfachen Hut oder, genauer gesprochen, viele Hüte, er herrscht, aber nur unter
Studenten. Es ist, um es kurz zu machen, der alte, allen, die eine Universität
^equentirt haben, wohlbekannte Burschenbrauch mit blinkendem Paradeschläger,
aufgespießten Farbenmützen und sentimentalen Schwüren für Fürst und Vater-
^ut (j^t zuweilen ohne Fürst), über den wir im Folgenden ein paar Worte
sagen wollen.

Mittelpunkt dieser Feierlichkeit ist das Aufreihen der Kopfbedeckungen auf
einen Degen, der singend geleistete Eid, stets auf Ehre halten und ein braver


thun sei. Sie werden sich dabei auf einen hinlänglich hohen geschichtlichen
Standpunkt erheben, um zu sehen, wie dergleichen Genußmittel im Leben der
Völker sich einbürgern und wieder verschwinden, verschwinden mit oder ohne
einen gleichartigen aber mildern Ersatz. Sie werden dann die nähere Ver¬
gangenheit der civilisirten Nationen prüfen, aus der die Entwicklung des Urtheils
über Trunkenheit und Trunksucht und der Uebergang von stärkeren berauschenden
Getränken zu schwächern hervorgeht. Sie werden endlich die Frage aufwerfen,
ob man dieser Entwicklung des Urtheils und der Sitte vertrauensvoll die zu¬
nehmende Erstickung des Uebels anheimstellen, wohl gar schon bestehende Er¬
schwerungen des Spiritushandels wieder aufheben könne, — oder ob umgekehrt
die Vernunft an sich, die Erfahrungen, welche andere Länder, namentlich Nord¬
amerika mit einschneidenden gesetzlichen Maßregeln gegen diesen Handel gemacht
haben, dazu rathen, desgleichen zu thun. Alle diese wichtigen und nothwendigen
Untersuchungen hat unsere deutsche Mäßigkeitsbewegung bisher niemals, oder
wenigstens nicht anders als höchst oberflächlich und unbefriedigend angestellt. Eine
auf sie gestützte Entscheidung würde die Sache theoretisch mehr klären und prak¬
tisch mehr vorwärts bringen, als ein zweites Menschenalter von Agitation von
dem früheren Stil.




Der Landesvater im vorige» Jahrhundert.

Man erwarte von der Ueberschrift nicht zu Großes. Keine historische Ab¬
handlung, keine Citation hochseliger Durchlauchten, Hoheiten und Majestäten
in Mongeperücken ist beabsichtigt. Unser Landesvater hat zwar mit Potentaten
in thun, ist aber selbst nicht Potentat. Er trägt keine Krone, sondern einen
einfachen Hut oder, genauer gesprochen, viele Hüte, er herrscht, aber nur unter
Studenten. Es ist, um es kurz zu machen, der alte, allen, die eine Universität
^equentirt haben, wohlbekannte Burschenbrauch mit blinkendem Paradeschläger,
aufgespießten Farbenmützen und sentimentalen Schwüren für Fürst und Vater-
^ut (j^t zuweilen ohne Fürst), über den wir im Folgenden ein paar Worte
sagen wollen.

Mittelpunkt dieser Feierlichkeit ist das Aufreihen der Kopfbedeckungen auf
einen Degen, der singend geleistete Eid, stets auf Ehre halten und ein braver


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[0315] thun sei. Sie werden sich dabei auf einen hinlänglich hohen geschichtlichen Standpunkt erheben, um zu sehen, wie dergleichen Genußmittel im Leben der Völker sich einbürgern und wieder verschwinden, verschwinden mit oder ohne einen gleichartigen aber mildern Ersatz. Sie werden dann die nähere Ver¬ gangenheit der civilisirten Nationen prüfen, aus der die Entwicklung des Urtheils über Trunkenheit und Trunksucht und der Uebergang von stärkeren berauschenden Getränken zu schwächern hervorgeht. Sie werden endlich die Frage aufwerfen, ob man dieser Entwicklung des Urtheils und der Sitte vertrauensvoll die zu¬ nehmende Erstickung des Uebels anheimstellen, wohl gar schon bestehende Er¬ schwerungen des Spiritushandels wieder aufheben könne, — oder ob umgekehrt die Vernunft an sich, die Erfahrungen, welche andere Länder, namentlich Nord¬ amerika mit einschneidenden gesetzlichen Maßregeln gegen diesen Handel gemacht haben, dazu rathen, desgleichen zu thun. Alle diese wichtigen und nothwendigen Untersuchungen hat unsere deutsche Mäßigkeitsbewegung bisher niemals, oder wenigstens nicht anders als höchst oberflächlich und unbefriedigend angestellt. Eine auf sie gestützte Entscheidung würde die Sache theoretisch mehr klären und prak¬ tisch mehr vorwärts bringen, als ein zweites Menschenalter von Agitation von dem früheren Stil. Der Landesvater im vorige» Jahrhundert. Man erwarte von der Ueberschrift nicht zu Großes. Keine historische Ab¬ handlung, keine Citation hochseliger Durchlauchten, Hoheiten und Majestäten in Mongeperücken ist beabsichtigt. Unser Landesvater hat zwar mit Potentaten in thun, ist aber selbst nicht Potentat. Er trägt keine Krone, sondern einen einfachen Hut oder, genauer gesprochen, viele Hüte, er herrscht, aber nur unter Studenten. Es ist, um es kurz zu machen, der alte, allen, die eine Universität ^equentirt haben, wohlbekannte Burschenbrauch mit blinkendem Paradeschläger, aufgespießten Farbenmützen und sentimentalen Schwüren für Fürst und Vater- ^ut (j^t zuweilen ohne Fürst), über den wir im Folgenden ein paar Worte sagen wollen. Mittelpunkt dieser Feierlichkeit ist das Aufreihen der Kopfbedeckungen auf einen Degen, der singend geleistete Eid, stets auf Ehre halten und ein braver

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/315>, abgerufen am 22.12.2024.