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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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ständen, welche bis jetzt nur in einem Exemplare bekannt sind, und somit den
großen Werth der weigelschen Sammlung für die Kunstgeschichte des vierzehnten
und fünfzehnten Jahrhunderts. Bei der Publication kam es nicht blos daraus an,
für eine den billigen Ansprüchen genügende artistisch-kritische Beschreibung zu
sorgen, sondern insbesondere die unentbehrlichen Facsimiles in Form und Farbe
mit einer peinlichen Gewissenhaftigkeit herzustellen. Kunstkenner wissen, wie
schwierig dies ist, und wie mangelhaft selbst geschätzte Werke in dieser Hinsicht
die Anforderungen befriedigt haben. Allein die im Vorworte von Herrn
T. O. Weigel genannten Künstler haben ihre Aufgabe trefflich gelöst, und so ist
denn ein Werk entstanden, welches typographisch, xylographisch und chalko-
graphisch die höchsten Ansprüche befriedigt.

Wir fragen nun billig auch nach dem wissenschaftlichen Nutzen dieser mühe¬
vollen, kostspieligen und kostbaren Arbeit.

Zunächst können wir anführen, indem wir auf die Einleitung verweisen,
daß die Verfasser bemüht gewesen sind, das Verständniß der Bilder durch die
meistens aus den Quellen geschöpfte Darstellung der ihnen zu Grunde liegenden
historischen Motive möglichst zu fördern und dadurch offenbar die Theilnahme
für dieselbe wesentlich zu erhöhen. Sodann haben sie gestrebt, die Kritik der gra¬
phischen Kunsterzeugnisse auf eine objective historische, literarische und monumentale
Grundlage zu stellen und das Urtheil über ein Kunstwerk von dem persönlichen
Urtheile des Beschauers frei zu machen. Es bleibt dies ein Verdienst, welches
sich hauptsächlich in der strengen Durchführung der kritischen Grundsätze zeigt,
auch wenn Ottley und Passavant schon in gewisser Weise diesen Weg einge¬
schlagen haben. Als beachtenswerthes Ergebniß dieser in der Einleitung
entwickelten Methode ist die scharfe Scheidung der schwäbischen,
bayerischen, fränkischen und n i e d err h el irischen Kur fesch ni e n arm>
sehen. Das ergiebt sich für den aufmerksamen Beschauer aus der Reihe von
colorirten Facsimiles der fliegenden Blätter, welche, so viel wir wissen,
hier überhaupt zum ersten Male in der Literatur erscheint. Man hat bisher
das Colorit als etwas Zufälliges und Gleichgiltiges ganz vernachlässigt, während
es für die Bestimmung des Ursprungs eines Bildes von großer Bedeutung ist.
Ein andres höchst bedeutendes Ergebniß liegt darin, daß für Deutschland die
frühesten Metalldrucke aus dem zwölften Jahrhundert und die frühesten
Kupferstiche aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, also früher als
in jedem andern Lande, nachgewiesen sind. Hieran schließt sich das andere
Resultat, daß der Bilderdruck im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts in
Deutschland weit mehr blühte, als in jedem andern Lande, und insbesondere
mehr als in Italien, wo sich früher unabhängig neben Deutschland diese Kunst
ausgebildet zu haben scheint.

Ein sehr wichtiges Ergebniß, wohl das bedeutendste, ist, daß die xylogra-


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ständen, welche bis jetzt nur in einem Exemplare bekannt sind, und somit den
großen Werth der weigelschen Sammlung für die Kunstgeschichte des vierzehnten
und fünfzehnten Jahrhunderts. Bei der Publication kam es nicht blos daraus an,
für eine den billigen Ansprüchen genügende artistisch-kritische Beschreibung zu
sorgen, sondern insbesondere die unentbehrlichen Facsimiles in Form und Farbe
mit einer peinlichen Gewissenhaftigkeit herzustellen. Kunstkenner wissen, wie
schwierig dies ist, und wie mangelhaft selbst geschätzte Werke in dieser Hinsicht
die Anforderungen befriedigt haben. Allein die im Vorworte von Herrn
T. O. Weigel genannten Künstler haben ihre Aufgabe trefflich gelöst, und so ist
denn ein Werk entstanden, welches typographisch, xylographisch und chalko-
graphisch die höchsten Ansprüche befriedigt.

Wir fragen nun billig auch nach dem wissenschaftlichen Nutzen dieser mühe¬
vollen, kostspieligen und kostbaren Arbeit.

Zunächst können wir anführen, indem wir auf die Einleitung verweisen,
daß die Verfasser bemüht gewesen sind, das Verständniß der Bilder durch die
meistens aus den Quellen geschöpfte Darstellung der ihnen zu Grunde liegenden
historischen Motive möglichst zu fördern und dadurch offenbar die Theilnahme
für dieselbe wesentlich zu erhöhen. Sodann haben sie gestrebt, die Kritik der gra¬
phischen Kunsterzeugnisse auf eine objective historische, literarische und monumentale
Grundlage zu stellen und das Urtheil über ein Kunstwerk von dem persönlichen
Urtheile des Beschauers frei zu machen. Es bleibt dies ein Verdienst, welches
sich hauptsächlich in der strengen Durchführung der kritischen Grundsätze zeigt,
auch wenn Ottley und Passavant schon in gewisser Weise diesen Weg einge¬
schlagen haben. Als beachtenswerthes Ergebniß dieser in der Einleitung
entwickelten Methode ist die scharfe Scheidung der schwäbischen,
bayerischen, fränkischen und n i e d err h el irischen Kur fesch ni e n arm>
sehen. Das ergiebt sich für den aufmerksamen Beschauer aus der Reihe von
colorirten Facsimiles der fliegenden Blätter, welche, so viel wir wissen,
hier überhaupt zum ersten Male in der Literatur erscheint. Man hat bisher
das Colorit als etwas Zufälliges und Gleichgiltiges ganz vernachlässigt, während
es für die Bestimmung des Ursprungs eines Bildes von großer Bedeutung ist.
Ein andres höchst bedeutendes Ergebniß liegt darin, daß für Deutschland die
frühesten Metalldrucke aus dem zwölften Jahrhundert und die frühesten
Kupferstiche aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, also früher als
in jedem andern Lande, nachgewiesen sind. Hieran schließt sich das andere
Resultat, daß der Bilderdruck im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts in
Deutschland weit mehr blühte, als in jedem andern Lande, und insbesondere
mehr als in Italien, wo sich früher unabhängig neben Deutschland diese Kunst
ausgebildet zu haben scheint.

Ein sehr wichtiges Ergebniß, wohl das bedeutendste, ist, daß die xylogra-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/277>, abgerufen am 24.08.2024.