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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Neuburg oberhalb Wien, und ist in einem Bilde der weigelschen Sammlung
Ur. 31 ganz ausgeprägt gegeben. Das Bild des Pergamentdruckes geht nun
in seiner Darstellung des Gekreuzigten offenbar dem Bilde von 1184 voraus,
und darum mußte es in die erste Hälfte des zwölften Jahrhunderts versetzt
werden. Die Beweisführung ist in der Beschreibung des Bildes ausführlich
gegeben. Es ist der früheste Druck, welcher bis jetzt bekannt ist,
und ein unschätzbares Zeugniß deutscher Kunst.

Die nächstbekannten Erzeugnisse des Bilddruckes stammen aus dem Ende
des vierzehnten Jahrhunderts, sind auf Papier gedruckt und meistens colorire.
Die Linien sind großenteils sehr roh und das Colorit ist sehr ungenügend,
allein die Conception und die Stilisirung ist größtenteils tief empfunden und
naturtreu. Wenn man sich bei Betrachtung derselben die groben Formen in
die uns geläufigen feinen Linien übersetzt und das geschmacklose Colorit über¬
sieht, so wird man allenthalben nicht nur eine naturtreue Zeichnung finden,
sondern auch oft genug eine wahrhaft künstlerische Erfindung. Davon giebt
sogleich der erste Metallschnitt Zeugniß, der große Christoph, welcher das
Christuskind über den Fluß trägt. Der einfache Druck zeigt mit wenigen
Strichen das traurig abgespannte Gesicht des Heiligen, die unter der Last ge¬
beugte Haltung und die Anstrengung, unter welcher sich selbst der starke als
Stab dienende Baum beugt, während das himmlische Kind auf der Schulter
nur zu schweben scheint. Ebenso finden wir auf dem Metallschnitte, welcher
Se. Georg im Kampfe mit dem Drachen darstellt, eine Kühnheit und Kraft
des Widerstandes im Kopfe des Drachen, eine ruhige Zuversicht im Antlitz
des Ritters und eine Inbrunst in der Haltung der betenden Aja, daß mit An¬
wendung zierlicher Formen und geschmackvoller Farben kein neuerer Künstler
sich dieser Composition zu schämen hätte. Eine unbefangene, den Inhalt des
Gegenstandes richtig und tief erfassende Betrachtung dieser Bilder erweckt auch
für diese Erzeugnisse der alten deutschen Kunst, für diese Grundlage der späteren,
eine Theilnahme, welche recht wohl begreifen läßt, wie der Sammler dieser
Kunstwerke und die Verfasser des Werkes so viel Kosten, Zeit und Mühe dem¬
selben opfern konnten.

Wir können die Bilder hier nicht nach ihrem ästhetischen Werthe durch¬
gehen, auch nicht von jedem behaupten, daß es allen billigen Forderungen ent¬
spricht, aber immerhin haben sie als Erstlingserzeugnisse graphischer Künste
ihren großen historischen Werth. In dieser Beziehung ragen mehre hervor, die
bis jetzt als einzige Exemplare dastehen oder mit andern bereits.bekannten
Bildern um den Vorrang der Zeit zu streiten haben. Unter die erste Classe
gehören außer den genannten noch ein Se. Georg zu Fuß von schöner Zeich¬
nung, Se. Dorothea, Se. Alexius und die Auferstehung Jesu, drei Bilder auf
einem Blatte von 1443, Christus unter der Kelter, Holzschnitt aus dem vier-


Neuburg oberhalb Wien, und ist in einem Bilde der weigelschen Sammlung
Ur. 31 ganz ausgeprägt gegeben. Das Bild des Pergamentdruckes geht nun
in seiner Darstellung des Gekreuzigten offenbar dem Bilde von 1184 voraus,
und darum mußte es in die erste Hälfte des zwölften Jahrhunderts versetzt
werden. Die Beweisführung ist in der Beschreibung des Bildes ausführlich
gegeben. Es ist der früheste Druck, welcher bis jetzt bekannt ist,
und ein unschätzbares Zeugniß deutscher Kunst.

Die nächstbekannten Erzeugnisse des Bilddruckes stammen aus dem Ende
des vierzehnten Jahrhunderts, sind auf Papier gedruckt und meistens colorire.
Die Linien sind großenteils sehr roh und das Colorit ist sehr ungenügend,
allein die Conception und die Stilisirung ist größtenteils tief empfunden und
naturtreu. Wenn man sich bei Betrachtung derselben die groben Formen in
die uns geläufigen feinen Linien übersetzt und das geschmacklose Colorit über¬
sieht, so wird man allenthalben nicht nur eine naturtreue Zeichnung finden,
sondern auch oft genug eine wahrhaft künstlerische Erfindung. Davon giebt
sogleich der erste Metallschnitt Zeugniß, der große Christoph, welcher das
Christuskind über den Fluß trägt. Der einfache Druck zeigt mit wenigen
Strichen das traurig abgespannte Gesicht des Heiligen, die unter der Last ge¬
beugte Haltung und die Anstrengung, unter welcher sich selbst der starke als
Stab dienende Baum beugt, während das himmlische Kind auf der Schulter
nur zu schweben scheint. Ebenso finden wir auf dem Metallschnitte, welcher
Se. Georg im Kampfe mit dem Drachen darstellt, eine Kühnheit und Kraft
des Widerstandes im Kopfe des Drachen, eine ruhige Zuversicht im Antlitz
des Ritters und eine Inbrunst in der Haltung der betenden Aja, daß mit An¬
wendung zierlicher Formen und geschmackvoller Farben kein neuerer Künstler
sich dieser Composition zu schämen hätte. Eine unbefangene, den Inhalt des
Gegenstandes richtig und tief erfassende Betrachtung dieser Bilder erweckt auch
für diese Erzeugnisse der alten deutschen Kunst, für diese Grundlage der späteren,
eine Theilnahme, welche recht wohl begreifen läßt, wie der Sammler dieser
Kunstwerke und die Verfasser des Werkes so viel Kosten, Zeit und Mühe dem¬
selben opfern konnten.

Wir können die Bilder hier nicht nach ihrem ästhetischen Werthe durch¬
gehen, auch nicht von jedem behaupten, daß es allen billigen Forderungen ent¬
spricht, aber immerhin haben sie als Erstlingserzeugnisse graphischer Künste
ihren großen historischen Werth. In dieser Beziehung ragen mehre hervor, die
bis jetzt als einzige Exemplare dastehen oder mit andern bereits.bekannten
Bildern um den Vorrang der Zeit zu streiten haben. Unter die erste Classe
gehören außer den genannten noch ein Se. Georg zu Fuß von schöner Zeich¬
nung, Se. Dorothea, Se. Alexius und die Auferstehung Jesu, drei Bilder auf
einem Blatte von 1443, Christus unter der Kelter, Holzschnitt aus dem vier-


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[0271] Neuburg oberhalb Wien, und ist in einem Bilde der weigelschen Sammlung Ur. 31 ganz ausgeprägt gegeben. Das Bild des Pergamentdruckes geht nun in seiner Darstellung des Gekreuzigten offenbar dem Bilde von 1184 voraus, und darum mußte es in die erste Hälfte des zwölften Jahrhunderts versetzt werden. Die Beweisführung ist in der Beschreibung des Bildes ausführlich gegeben. Es ist der früheste Druck, welcher bis jetzt bekannt ist, und ein unschätzbares Zeugniß deutscher Kunst. Die nächstbekannten Erzeugnisse des Bilddruckes stammen aus dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts, sind auf Papier gedruckt und meistens colorire. Die Linien sind großenteils sehr roh und das Colorit ist sehr ungenügend, allein die Conception und die Stilisirung ist größtenteils tief empfunden und naturtreu. Wenn man sich bei Betrachtung derselben die groben Formen in die uns geläufigen feinen Linien übersetzt und das geschmacklose Colorit über¬ sieht, so wird man allenthalben nicht nur eine naturtreue Zeichnung finden, sondern auch oft genug eine wahrhaft künstlerische Erfindung. Davon giebt sogleich der erste Metallschnitt Zeugniß, der große Christoph, welcher das Christuskind über den Fluß trägt. Der einfache Druck zeigt mit wenigen Strichen das traurig abgespannte Gesicht des Heiligen, die unter der Last ge¬ beugte Haltung und die Anstrengung, unter welcher sich selbst der starke als Stab dienende Baum beugt, während das himmlische Kind auf der Schulter nur zu schweben scheint. Ebenso finden wir auf dem Metallschnitte, welcher Se. Georg im Kampfe mit dem Drachen darstellt, eine Kühnheit und Kraft des Widerstandes im Kopfe des Drachen, eine ruhige Zuversicht im Antlitz des Ritters und eine Inbrunst in der Haltung der betenden Aja, daß mit An¬ wendung zierlicher Formen und geschmackvoller Farben kein neuerer Künstler sich dieser Composition zu schämen hätte. Eine unbefangene, den Inhalt des Gegenstandes richtig und tief erfassende Betrachtung dieser Bilder erweckt auch für diese Erzeugnisse der alten deutschen Kunst, für diese Grundlage der späteren, eine Theilnahme, welche recht wohl begreifen läßt, wie der Sammler dieser Kunstwerke und die Verfasser des Werkes so viel Kosten, Zeit und Mühe dem¬ selben opfern konnten. Wir können die Bilder hier nicht nach ihrem ästhetischen Werthe durch¬ gehen, auch nicht von jedem behaupten, daß es allen billigen Forderungen ent¬ spricht, aber immerhin haben sie als Erstlingserzeugnisse graphischer Künste ihren großen historischen Werth. In dieser Beziehung ragen mehre hervor, die bis jetzt als einzige Exemplare dastehen oder mit andern bereits.bekannten Bildern um den Vorrang der Zeit zu streiten haben. Unter die erste Classe gehören außer den genannten noch ein Se. Georg zu Fuß von schöner Zeich¬ nung, Se. Dorothea, Se. Alexius und die Auferstehung Jesu, drei Bilder auf einem Blatte von 1443, Christus unter der Kelter, Holzschnitt aus dem vier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/271>, abgerufen am 22.07.2024.