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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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einzelnen Schriftsteller wird unentbehrlich. So hatte Julian Schmidt bei dieser
neuen Bearbeitung Gelegenheit, Wissen und Kritik in ganz neuer Beleuchtung
zu zeigen. Mit Freude wird man erkennen, wie gut ihm die vornehmere und
ruhigere Thätigkeit steht, welche er sich jetzt gewählt hat. Wie sich gebührt,
ist der großen Epoche unserer Literatur, der Zeit Goethes und Schillers aus¬
führliche Behandlung zu Theil geworden, und man kann damit einverstanden
sein, daß auch kleinere Größen, z. B. Johannes Müller, eingehender Be¬
trachtung unterzogen werden, denn mehre dieser Gestalten sind gewissermaßen
Typen ihrer Zeitbildung, höchst charakteristisch in ihren Virtuositäten, wie in
ihren Schwächen. Der Leser wird sich schon selbst sagen, daß alle diese Dämme¬
rungsfiguren, Müller, Förster, sowie die kleinen Talente der großen Zeit, die Lenz,
Klinger u. s. w., sür uns sast nur noch historische Bedeutung haben, und daß
sie durch eine unermeßliche Kluft getrennt sind von den beiden großen Dichtern
unseres Volkes, deren Werke ein unentbehrliches Moment auch unserer Bildung ge¬
worden sind. , Nicht dieselbe Rücksicht, welche die engbegrenztcn Talente jener
aufstrebenden Zeit verdienen, dürfen die Romantiker heut noch beanspruchen.
In den früheren Ausgaben der Literaturgeschichte von Julian Schmidt war eine
Hauptausgabe, mit ihnen aufzuräumen, in der neuen Methode haben sie nicht
mehr dieselbe ausgeführte Behandlung zu beanspruchen. Die Mehrzahl der¬
selben waren schwache Talente, welche durch die Coteric einige Jahrzehnte ge¬
feiert wurden ; sie haben weder etwas geschaffen, dessen sich unsere Nation noch
jetzt freuen kann, noch haben sie zahlreiche Leser in ihre Geschmacksrichtung hinein¬
gezogen.

Dagegen dürfte sür eine andere Classe von Schriftstellern größere Be¬
achtung zu erbitten sein, sür die populären Talente der Wächter, Cramer,
Vulpius, Lafontaine, C. Pichler, van der Velde, Tromlitz, welche, wie es auch
um den Kunstwerth ihrer Leistungen stehe, doch einen sehr großen Einfluß auf
die idealen Stimmungen des Volkes hatten.

Denn diese Mißachteten waren es, welche in der That das Lescbedürfniß
des großen Publikums befriedigten. Durch fast fünfzig Jahre haben sie die
Leihbibliotheken beherrscht und sind mehr Gemeingut der Lesewelt gewesen, als
Goethe und selbst Schiller. Sie waren Behagen und Freude von Hundert¬
tausenden, sie repräsentirten die volkstümliche Literatur, in ihnen erscheint die
Zeit der schonen Seelen und die Freude am romantischen Spuk, wie die Einwir¬
kung Walter Scotts in eigenthümlicher Weise volksmäßig umgebildet. Daß Jffland
und Kotzebue wesentlich zu ihnen gehörten, schaffte ihnen ihre Popularität; daß sie
fast sämmtlich unbedeutend waren, verhinderte doch nicht, daß sie auch den Herzens¬
bedürfnissen ihrer Zeit wohlthaten, während sie den Schwächen der Zeitnossen
schmeichelten. Sie erhielten bis in die neue Zeit herab den Gegensatz zwischen
volksthümlicher und gelehrter Dichtung, den uralten Gegensatz, der im siebzehnten


einzelnen Schriftsteller wird unentbehrlich. So hatte Julian Schmidt bei dieser
neuen Bearbeitung Gelegenheit, Wissen und Kritik in ganz neuer Beleuchtung
zu zeigen. Mit Freude wird man erkennen, wie gut ihm die vornehmere und
ruhigere Thätigkeit steht, welche er sich jetzt gewählt hat. Wie sich gebührt,
ist der großen Epoche unserer Literatur, der Zeit Goethes und Schillers aus¬
führliche Behandlung zu Theil geworden, und man kann damit einverstanden
sein, daß auch kleinere Größen, z. B. Johannes Müller, eingehender Be¬
trachtung unterzogen werden, denn mehre dieser Gestalten sind gewissermaßen
Typen ihrer Zeitbildung, höchst charakteristisch in ihren Virtuositäten, wie in
ihren Schwächen. Der Leser wird sich schon selbst sagen, daß alle diese Dämme¬
rungsfiguren, Müller, Förster, sowie die kleinen Talente der großen Zeit, die Lenz,
Klinger u. s. w., sür uns sast nur noch historische Bedeutung haben, und daß
sie durch eine unermeßliche Kluft getrennt sind von den beiden großen Dichtern
unseres Volkes, deren Werke ein unentbehrliches Moment auch unserer Bildung ge¬
worden sind. , Nicht dieselbe Rücksicht, welche die engbegrenztcn Talente jener
aufstrebenden Zeit verdienen, dürfen die Romantiker heut noch beanspruchen.
In den früheren Ausgaben der Literaturgeschichte von Julian Schmidt war eine
Hauptausgabe, mit ihnen aufzuräumen, in der neuen Methode haben sie nicht
mehr dieselbe ausgeführte Behandlung zu beanspruchen. Die Mehrzahl der¬
selben waren schwache Talente, welche durch die Coteric einige Jahrzehnte ge¬
feiert wurden ; sie haben weder etwas geschaffen, dessen sich unsere Nation noch
jetzt freuen kann, noch haben sie zahlreiche Leser in ihre Geschmacksrichtung hinein¬
gezogen.

Dagegen dürfte sür eine andere Classe von Schriftstellern größere Be¬
achtung zu erbitten sein, sür die populären Talente der Wächter, Cramer,
Vulpius, Lafontaine, C. Pichler, van der Velde, Tromlitz, welche, wie es auch
um den Kunstwerth ihrer Leistungen stehe, doch einen sehr großen Einfluß auf
die idealen Stimmungen des Volkes hatten.

Denn diese Mißachteten waren es, welche in der That das Lescbedürfniß
des großen Publikums befriedigten. Durch fast fünfzig Jahre haben sie die
Leihbibliotheken beherrscht und sind mehr Gemeingut der Lesewelt gewesen, als
Goethe und selbst Schiller. Sie waren Behagen und Freude von Hundert¬
tausenden, sie repräsentirten die volkstümliche Literatur, in ihnen erscheint die
Zeit der schonen Seelen und die Freude am romantischen Spuk, wie die Einwir¬
kung Walter Scotts in eigenthümlicher Weise volksmäßig umgebildet. Daß Jffland
und Kotzebue wesentlich zu ihnen gehörten, schaffte ihnen ihre Popularität; daß sie
fast sämmtlich unbedeutend waren, verhinderte doch nicht, daß sie auch den Herzens¬
bedürfnissen ihrer Zeit wohlthaten, während sie den Schwächen der Zeitnossen
schmeichelten. Sie erhielten bis in die neue Zeit herab den Gegensatz zwischen
volksthümlicher und gelehrter Dichtung, den uralten Gegensatz, der im siebzehnten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/263>, abgerufen am 22.12.2024.