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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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zum ständischen Festmahl in den engsten Grenzen halten müssen, um nicht
höchst mißliebige Auftritte heraufzuführen. Wie sollte es auch anders sein?

Es ist ja lange nicht Herrn Bacmeistcrs Sendung allein, was die Ost¬
friesen gegen das hannoversche Regiment einzuwenden haben. In allem, was
von Hannover kommt, vermissen sie theils die allgemeinen Vorzüge der Freisinnig¬
keit und eines auf das ganze große Vaterland gerichteten Willens, theils die
gebührende Rücksicht auf ihre bewährten einheimischen Ueberlieferungen. Ihre
innere Abkehr vom Welfenstaate saugt ihre Nahrung aus konservativen und
aus liberalen, aus provinzial-particularistischen und aus national-patriotischen
Motiven zugleich. Als ihren altständischen Vertretern im vorigen Winter ein
wirklich gutes Armengesetz vorgelegt wurde, fiel es vor dem bloßen instinct-
mäßigen Mißtrauen gegen die Action der hannoverschen Bureaukratie. Der
Generaldirection der Eisenbahnen und Telegraphen in Hannover werfen sie
vor, die Ostfriesland durchschneidende Westbahn durch einen ungerechten Tarif,
der Emden und Leer jede Concurrenz mit Bremen oder Amsterdam unmöglich
mache, mit Bewußtsein unrentabel zu erhalten, um dann auf die ungenügende
Rente die Behauptung zu gründen, in Ostfriesland dürften keine neuen Bahnen
unternommen werden.

Solchen vermeintlichen oder wirklichen Beschädigungen ihrer Interessen
und Sympathien gegenüber steigt den Ostfriesen in neuerer Zeit immer häu¬
figer der Gedanke auf, wieviel besser es ihnen ergehen würde, wenn man ihnen
1815 nicht das Welfenhaus octroyirt, sondern den Zusammenhang mit dem
preußischen Staate gelassen hätte. Sie sehen auf die Zeiten der preußischen
Herrschaft zurück, wie die Juden in der Wüste auf die Fleischtöpfe Aegyptens.
Ob dies eine historisch richtige Vorstellung ist, ob sie damals nicht ebenso trif¬
tigen Grund hatten, abwechselnd über Vernachlässigung und rücksichtsloses Ein¬
greifen desNhnen noch viel ferneren und fremderen berliner Regiments zu klagen,
darüber ließe sich streiten. Wenigstens hat Ouro Klopp, der in Leer geborene
Geschichtschreiber, den der König Georg dieser Tage mit sich zum Jubelfeste ge¬
nommen hat, es auch den Gegnern seiner politischen Richtung glaublich gemacht,
daß die preußische Zeit ungefähr ebensowenig eine goldene genannt zu werden
verdient, wie die nachfolgende hannoversche. Aber das ostfriesische Landraths-
collegium, das ihm dafür einen von den Ständen ausgesetzten Preis vorent¬
hielt, hatte in seiner Art ebenfalls Recht. Denn was historisch falsch oder über¬
trieben, das ist politisch vollkommen begründet. Gehörte Ostfriesland heute zu
Preußen, so wäre es über allen Vergleich besser daran. Der preußische See¬
adler, anstatt in Heppens ein geborgtes Nest zu suchen, hätte seinen Flug in die
Welt dann von dem Knock bei Emden aus unternommen; die Mittel eines
großen Staats wären in die kleine Provinz geströmt, und jene Schienenverbindung
mit dem Hinterkante, welche Preußen für Heppens gegen den zähen Widerstand


zum ständischen Festmahl in den engsten Grenzen halten müssen, um nicht
höchst mißliebige Auftritte heraufzuführen. Wie sollte es auch anders sein?

Es ist ja lange nicht Herrn Bacmeistcrs Sendung allein, was die Ost¬
friesen gegen das hannoversche Regiment einzuwenden haben. In allem, was
von Hannover kommt, vermissen sie theils die allgemeinen Vorzüge der Freisinnig¬
keit und eines auf das ganze große Vaterland gerichteten Willens, theils die
gebührende Rücksicht auf ihre bewährten einheimischen Ueberlieferungen. Ihre
innere Abkehr vom Welfenstaate saugt ihre Nahrung aus konservativen und
aus liberalen, aus provinzial-particularistischen und aus national-patriotischen
Motiven zugleich. Als ihren altständischen Vertretern im vorigen Winter ein
wirklich gutes Armengesetz vorgelegt wurde, fiel es vor dem bloßen instinct-
mäßigen Mißtrauen gegen die Action der hannoverschen Bureaukratie. Der
Generaldirection der Eisenbahnen und Telegraphen in Hannover werfen sie
vor, die Ostfriesland durchschneidende Westbahn durch einen ungerechten Tarif,
der Emden und Leer jede Concurrenz mit Bremen oder Amsterdam unmöglich
mache, mit Bewußtsein unrentabel zu erhalten, um dann auf die ungenügende
Rente die Behauptung zu gründen, in Ostfriesland dürften keine neuen Bahnen
unternommen werden.

Solchen vermeintlichen oder wirklichen Beschädigungen ihrer Interessen
und Sympathien gegenüber steigt den Ostfriesen in neuerer Zeit immer häu¬
figer der Gedanke auf, wieviel besser es ihnen ergehen würde, wenn man ihnen
1815 nicht das Welfenhaus octroyirt, sondern den Zusammenhang mit dem
preußischen Staate gelassen hätte. Sie sehen auf die Zeiten der preußischen
Herrschaft zurück, wie die Juden in der Wüste auf die Fleischtöpfe Aegyptens.
Ob dies eine historisch richtige Vorstellung ist, ob sie damals nicht ebenso trif¬
tigen Grund hatten, abwechselnd über Vernachlässigung und rücksichtsloses Ein¬
greifen desNhnen noch viel ferneren und fremderen berliner Regiments zu klagen,
darüber ließe sich streiten. Wenigstens hat Ouro Klopp, der in Leer geborene
Geschichtschreiber, den der König Georg dieser Tage mit sich zum Jubelfeste ge¬
nommen hat, es auch den Gegnern seiner politischen Richtung glaublich gemacht,
daß die preußische Zeit ungefähr ebensowenig eine goldene genannt zu werden
verdient, wie die nachfolgende hannoversche. Aber das ostfriesische Landraths-
collegium, das ihm dafür einen von den Ständen ausgesetzten Preis vorent¬
hielt, hatte in seiner Art ebenfalls Recht. Denn was historisch falsch oder über¬
trieben, das ist politisch vollkommen begründet. Gehörte Ostfriesland heute zu
Preußen, so wäre es über allen Vergleich besser daran. Der preußische See¬
adler, anstatt in Heppens ein geborgtes Nest zu suchen, hätte seinen Flug in die
Welt dann von dem Knock bei Emden aus unternommen; die Mittel eines
großen Staats wären in die kleine Provinz geströmt, und jene Schienenverbindung
mit dem Hinterkante, welche Preußen für Heppens gegen den zähen Widerstand


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[0010] zum ständischen Festmahl in den engsten Grenzen halten müssen, um nicht höchst mißliebige Auftritte heraufzuführen. Wie sollte es auch anders sein? Es ist ja lange nicht Herrn Bacmeistcrs Sendung allein, was die Ost¬ friesen gegen das hannoversche Regiment einzuwenden haben. In allem, was von Hannover kommt, vermissen sie theils die allgemeinen Vorzüge der Freisinnig¬ keit und eines auf das ganze große Vaterland gerichteten Willens, theils die gebührende Rücksicht auf ihre bewährten einheimischen Ueberlieferungen. Ihre innere Abkehr vom Welfenstaate saugt ihre Nahrung aus konservativen und aus liberalen, aus provinzial-particularistischen und aus national-patriotischen Motiven zugleich. Als ihren altständischen Vertretern im vorigen Winter ein wirklich gutes Armengesetz vorgelegt wurde, fiel es vor dem bloßen instinct- mäßigen Mißtrauen gegen die Action der hannoverschen Bureaukratie. Der Generaldirection der Eisenbahnen und Telegraphen in Hannover werfen sie vor, die Ostfriesland durchschneidende Westbahn durch einen ungerechten Tarif, der Emden und Leer jede Concurrenz mit Bremen oder Amsterdam unmöglich mache, mit Bewußtsein unrentabel zu erhalten, um dann auf die ungenügende Rente die Behauptung zu gründen, in Ostfriesland dürften keine neuen Bahnen unternommen werden. Solchen vermeintlichen oder wirklichen Beschädigungen ihrer Interessen und Sympathien gegenüber steigt den Ostfriesen in neuerer Zeit immer häu¬ figer der Gedanke auf, wieviel besser es ihnen ergehen würde, wenn man ihnen 1815 nicht das Welfenhaus octroyirt, sondern den Zusammenhang mit dem preußischen Staate gelassen hätte. Sie sehen auf die Zeiten der preußischen Herrschaft zurück, wie die Juden in der Wüste auf die Fleischtöpfe Aegyptens. Ob dies eine historisch richtige Vorstellung ist, ob sie damals nicht ebenso trif¬ tigen Grund hatten, abwechselnd über Vernachlässigung und rücksichtsloses Ein¬ greifen desNhnen noch viel ferneren und fremderen berliner Regiments zu klagen, darüber ließe sich streiten. Wenigstens hat Ouro Klopp, der in Leer geborene Geschichtschreiber, den der König Georg dieser Tage mit sich zum Jubelfeste ge¬ nommen hat, es auch den Gegnern seiner politischen Richtung glaublich gemacht, daß die preußische Zeit ungefähr ebensowenig eine goldene genannt zu werden verdient, wie die nachfolgende hannoversche. Aber das ostfriesische Landraths- collegium, das ihm dafür einen von den Ständen ausgesetzten Preis vorent¬ hielt, hatte in seiner Art ebenfalls Recht. Denn was historisch falsch oder über¬ trieben, das ist politisch vollkommen begründet. Gehörte Ostfriesland heute zu Preußen, so wäre es über allen Vergleich besser daran. Der preußische See¬ adler, anstatt in Heppens ein geborgtes Nest zu suchen, hätte seinen Flug in die Welt dann von dem Knock bei Emden aus unternommen; die Mittel eines großen Staats wären in die kleine Provinz geströmt, und jene Schienenverbindung mit dem Hinterkante, welche Preußen für Heppens gegen den zähen Widerstand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/10>, abgerufen am 26.06.2024.