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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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eröffnete, war der bequeme, aber auf die Länge doch nicht unbedenkliche Stand'
Punkt des mori xossumus aufgegeben. Die Mission Vegezzi ist gescheitert, aber
damit ist nur der erste Act des Dramas zu Ende. Jedermann ist in Erwartung,
daß der Vorhang wieder in die Höhe gehen wird.

Welche Gründe bewogen den Papst zu der Initiative, die er ergriff? Daß
die Curie ernstliche Veranlassung hatte, das Aufhören der kirchlichen Anarchie
im Königreich zu wünschen, liegt auf der Hand. Von 229 Bisthümern sind
etliche 40 verwaist, die einen, weil die Inhaber von ihren Sitzen vertrieben
sind, die andern, weil keine Normen zur Wiederbesetzung der erledigten existiren.
Dieser Zustand kann mit der Zeit nur immer schlimmer werden, die Kette der
bischöflichen Gewalt ist unterbrochen, die Action der Kirche auf die Gemüther
geschwächt, und während die bürgerliche Gewalt sich befestigt und sich anschickt,
eine Reihe kirchenrechtlicher Probleme im Sinne des modernen Staatsbegriffes
zu lösen, greift die antiklerikale Gesinnung im Volk immer weiter um sich und
hat selbst in Italien die Encyclica nebst Syllabus nur den Erfolg der Heiterkeit
gehabt. Es ist auf dem Standpunkt des Papstes erklärlich, daß er von der
Wiederherstellung der kirchlichen Ordnungen Abhilfe gegen diesen Zustand der
Geister hofft. Aber ist es einzig dieses religiöse Interesse, die Sorge für das
Seelenheil der Unterthanen des Königs von Italien, was ihn zu jenem Schritte
bewog, oder haben andere Motive und Interessen mitgewirkt? Ist vielleicht in
Pius dem Neunten eine Reminiscenz aus dem Jahre 1847, ein Funke ita>
tierischen Gefühls wieder erwacht, verstärkt durch die Ueberzeugung, daß Kaiser
Napoleon im Grunde ebenso der Feind Italiens wie der Curie ist? Oder
glaubte der Papst in seiner Berechnung jetzt den Moment gekommen, wo er,
der katholischen Gesinnung des Königs sich bedienend, zu einer Restauration
verlorener Rechte, zu einer Befestigung seiner politischen Position schreiten
konnte? Ist es die Erkenntniß seiner wahren Lage, welche ihn treibt, im In¬
teresse beider Theile dem König aufrichtig die Hand zur Versöhnung zu bieten,
oder treibt ihn nur die Besorgnis) vor den Folgen des Septembervertrags,
sich an die ihm noch übrigen Chancen, welche ihm der Vertrag gelassen, fest¬
zuklammern?

Es dürfte schwer sein, auf diese Fragen eine bestimmte Antwort zu geben.
Nur so viel ist unzweifelhaft, daß der Entschluß des Papstes nicht blos von
kirchlichen, sondern zugleich von politischen Motiven dictirt war. Die Fort¬
existenz des päpstlichen Staates in der bisherigen Weise ist eine finanzielle Un¬
möglichkeit, sie ist überdies schon in einer nahen Zukunft aufs äußerste gefährdet
durch die drohende Perspective des baldigen Abzuges der Franzosen. Und nun
ist das Bedeutsame eben dies, daß der Schritt des Papstes genau in der Richtung
des Septembervertrags liegt. Er ist durch diesen erst möglich geworden, er ist
durch ihn aber auch herausgefordert.


eröffnete, war der bequeme, aber auf die Länge doch nicht unbedenkliche Stand'
Punkt des mori xossumus aufgegeben. Die Mission Vegezzi ist gescheitert, aber
damit ist nur der erste Act des Dramas zu Ende. Jedermann ist in Erwartung,
daß der Vorhang wieder in die Höhe gehen wird.

Welche Gründe bewogen den Papst zu der Initiative, die er ergriff? Daß
die Curie ernstliche Veranlassung hatte, das Aufhören der kirchlichen Anarchie
im Königreich zu wünschen, liegt auf der Hand. Von 229 Bisthümern sind
etliche 40 verwaist, die einen, weil die Inhaber von ihren Sitzen vertrieben
sind, die andern, weil keine Normen zur Wiederbesetzung der erledigten existiren.
Dieser Zustand kann mit der Zeit nur immer schlimmer werden, die Kette der
bischöflichen Gewalt ist unterbrochen, die Action der Kirche auf die Gemüther
geschwächt, und während die bürgerliche Gewalt sich befestigt und sich anschickt,
eine Reihe kirchenrechtlicher Probleme im Sinne des modernen Staatsbegriffes
zu lösen, greift die antiklerikale Gesinnung im Volk immer weiter um sich und
hat selbst in Italien die Encyclica nebst Syllabus nur den Erfolg der Heiterkeit
gehabt. Es ist auf dem Standpunkt des Papstes erklärlich, daß er von der
Wiederherstellung der kirchlichen Ordnungen Abhilfe gegen diesen Zustand der
Geister hofft. Aber ist es einzig dieses religiöse Interesse, die Sorge für das
Seelenheil der Unterthanen des Königs von Italien, was ihn zu jenem Schritte
bewog, oder haben andere Motive und Interessen mitgewirkt? Ist vielleicht in
Pius dem Neunten eine Reminiscenz aus dem Jahre 1847, ein Funke ita>
tierischen Gefühls wieder erwacht, verstärkt durch die Ueberzeugung, daß Kaiser
Napoleon im Grunde ebenso der Feind Italiens wie der Curie ist? Oder
glaubte der Papst in seiner Berechnung jetzt den Moment gekommen, wo er,
der katholischen Gesinnung des Königs sich bedienend, zu einer Restauration
verlorener Rechte, zu einer Befestigung seiner politischen Position schreiten
konnte? Ist es die Erkenntniß seiner wahren Lage, welche ihn treibt, im In¬
teresse beider Theile dem König aufrichtig die Hand zur Versöhnung zu bieten,
oder treibt ihn nur die Besorgnis) vor den Folgen des Septembervertrags,
sich an die ihm noch übrigen Chancen, welche ihm der Vertrag gelassen, fest¬
zuklammern?

Es dürfte schwer sein, auf diese Fragen eine bestimmte Antwort zu geben.
Nur so viel ist unzweifelhaft, daß der Entschluß des Papstes nicht blos von
kirchlichen, sondern zugleich von politischen Motiven dictirt war. Die Fort¬
existenz des päpstlichen Staates in der bisherigen Weise ist eine finanzielle Un¬
möglichkeit, sie ist überdies schon in einer nahen Zukunft aufs äußerste gefährdet
durch die drohende Perspective des baldigen Abzuges der Franzosen. Und nun
ist das Bedeutsame eben dies, daß der Schritt des Papstes genau in der Richtung
des Septembervertrags liegt. Er ist durch diesen erst möglich geworden, er ist
durch ihn aber auch herausgefordert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/92>, abgerufen am 15.01.2025.