Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Vermischte Literatur. Julius Meyer, das Leben Jesu, für das deutsche Volk bearbeitet von D. Fr. Strauß, und die Stellung der Gegenwart zum Christenthum. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1865. Als ein unumwundenes Wort für das straußsche Werk kündigt sich diese Vermischte Literatur. Julius Meyer, das Leben Jesu, für das deutsche Volk bearbeitet von D. Fr. Strauß, und die Stellung der Gegenwart zum Christenthum. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1865. Als ein unumwundenes Wort für das straußsche Werk kündigt sich diese <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283438"/> </div> <div n="1"> <head> Vermischte Literatur.</head><lb/> <div n="2"> <head> Julius Meyer, das Leben Jesu, für das deutsche Volk bearbeitet von<lb/> D. Fr. Strauß, und die Stellung der Gegenwart zum Christenthum. Leipzig,<lb/> F. A. Brockhaus. 1865.</head><lb/> <p xml:id="ID_242"> Als ein unumwundenes Wort für das straußsche Werk kündigt sich diese<lb/> Schrift an. Nicht als ob das bedeutende, durch seinen eigenen Werth sich Bahn<lb/> brechende Buch eines Fürsprechers bedürfte. Aber sie möchte zum Lesen des Strauß-<lb/> feder Buchs selbst anregen, indem sie in dasselbe einführt und die Stelle bezeichnet,<lb/> welche es einerseits im religiösen und geistigen Leben der Gegenwart, andrerseits<lb/> sowohl zur Kirche und Theologie, als zum ersten „Leben Jesu" und der seitherigen<lb/> Evangelienkritik, endlich zu den neuesten ähnlichen Versuchen, uns mit dem Christen¬<lb/> thum auseinanderzusetzen, einnimmt. Insofern ist die anziehend und durchaus po¬<lb/> pulär geschriebene Schrift keineswegs überflüssig; denn unser Publikum war doch<lb/> im Grund noch wenig vorbereitet, als mit einem Mal von den verschiedensten Seiten<lb/> und Standpunkten her die neuen Bearbeitungen des Lebens Jesu, die alle an da«<lb/> Volk appcllirten, auf dasselbe einstürmten, und so konnte es leicht kommen, daß in<lb/> augenblicklicher Gunst solche Darstellungen die Palme davontrugen, welche entweder<lb/> mehr an die Neugierde und die Phantasie, als an das ernste Denken sich wandten,<lb/> oder die durch salbungsvolle Zuthaten aus der Küche der Kanzelbcredsamkeit an die<lb/> gemäßigten Bedürfnisse der Halbgebildeten sich anschmcichclten. Man darf den Fort¬<lb/> schritt nicht unterschätzen, der in den Werken des französischen Gelehrten und des<lb/> Heidelberger Kirchenraths liegt, aber ihre leichte Waare birgt auch wieder die Ge¬<lb/> fahr, daß der Leser über die Bedeutung des thatsächlich vorhandenen Conflicts hin¬<lb/> weggetäuscht werde und unter einem dürftigen Notstand geborgen besserer und<lb/> tieferer Einsicht sich verschließe. Die Bedeutung des Straußfeder Buches gegenüber<lb/> von Renan und Schenkel ins rechte Licht zu setzen, ist daher das besondere Bestreben<lb/> des Verfassers. Den Hauptunterschied erkennt er mit Recht darin, daß Renan und<lb/> Schenkel den Leser dem Christenthum der Bibel gegenüber in einem unfreien Ver¬<lb/> hältniß lassen, weil sie dessen Wundergcschichte nicht erklären, also die Ausscheidung<lb/> des Ungeschichtlichcii nach Laune und Willkür vornehmen, somit ihr Leben Jesu<lb/> nicht beweisen. Es ist mit einem Wort wesentlich die gründliche Evangelienkritik,<lb/> welche Strauß so weit über die andern Biographen Jesu erhebt. „Jedes Bild des<lb/> historischen Jesus, jede Erklärung seiner Sagengeschichte, welche diese Bedingung<lb/> nicht erfüllen, sind nothwendig verschwommen, lückenhaft, schief und unklar. Ja<lb/> die allererste Bedingung zu einem echten Biographen Jesu, die nämlich, frei, weder<lb/> in Haß und blindem Eifer, noch in Furcht und Rücksichten befangen, um den<lb/> Tadel wie den Beifall der halbgebiloeten Menge, welche vor jeder letzten ernsten<lb/> Konsequenz erschrickt, unbekümmert dem Kirchenglauben entgegenzutreten, auch diese<lb/> Bedingung hängt zum großen Theil von jener andern ab, in der Evangelienkritik<lb/> festen Fußes auf der Höhe der heutigen Forschung zu stehen."</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0085]
Vermischte Literatur.
Julius Meyer, das Leben Jesu, für das deutsche Volk bearbeitet von
D. Fr. Strauß, und die Stellung der Gegenwart zum Christenthum. Leipzig,
F. A. Brockhaus. 1865.
Als ein unumwundenes Wort für das straußsche Werk kündigt sich diese
Schrift an. Nicht als ob das bedeutende, durch seinen eigenen Werth sich Bahn
brechende Buch eines Fürsprechers bedürfte. Aber sie möchte zum Lesen des Strauß-
feder Buchs selbst anregen, indem sie in dasselbe einführt und die Stelle bezeichnet,
welche es einerseits im religiösen und geistigen Leben der Gegenwart, andrerseits
sowohl zur Kirche und Theologie, als zum ersten „Leben Jesu" und der seitherigen
Evangelienkritik, endlich zu den neuesten ähnlichen Versuchen, uns mit dem Christen¬
thum auseinanderzusetzen, einnimmt. Insofern ist die anziehend und durchaus po¬
pulär geschriebene Schrift keineswegs überflüssig; denn unser Publikum war doch
im Grund noch wenig vorbereitet, als mit einem Mal von den verschiedensten Seiten
und Standpunkten her die neuen Bearbeitungen des Lebens Jesu, die alle an da«
Volk appcllirten, auf dasselbe einstürmten, und so konnte es leicht kommen, daß in
augenblicklicher Gunst solche Darstellungen die Palme davontrugen, welche entweder
mehr an die Neugierde und die Phantasie, als an das ernste Denken sich wandten,
oder die durch salbungsvolle Zuthaten aus der Küche der Kanzelbcredsamkeit an die
gemäßigten Bedürfnisse der Halbgebildeten sich anschmcichclten. Man darf den Fort¬
schritt nicht unterschätzen, der in den Werken des französischen Gelehrten und des
Heidelberger Kirchenraths liegt, aber ihre leichte Waare birgt auch wieder die Ge¬
fahr, daß der Leser über die Bedeutung des thatsächlich vorhandenen Conflicts hin¬
weggetäuscht werde und unter einem dürftigen Notstand geborgen besserer und
tieferer Einsicht sich verschließe. Die Bedeutung des Straußfeder Buches gegenüber
von Renan und Schenkel ins rechte Licht zu setzen, ist daher das besondere Bestreben
des Verfassers. Den Hauptunterschied erkennt er mit Recht darin, daß Renan und
Schenkel den Leser dem Christenthum der Bibel gegenüber in einem unfreien Ver¬
hältniß lassen, weil sie dessen Wundergcschichte nicht erklären, also die Ausscheidung
des Ungeschichtlichcii nach Laune und Willkür vornehmen, somit ihr Leben Jesu
nicht beweisen. Es ist mit einem Wort wesentlich die gründliche Evangelienkritik,
welche Strauß so weit über die andern Biographen Jesu erhebt. „Jedes Bild des
historischen Jesus, jede Erklärung seiner Sagengeschichte, welche diese Bedingung
nicht erfüllen, sind nothwendig verschwommen, lückenhaft, schief und unklar. Ja
die allererste Bedingung zu einem echten Biographen Jesu, die nämlich, frei, weder
in Haß und blindem Eifer, noch in Furcht und Rücksichten befangen, um den
Tadel wie den Beifall der halbgebiloeten Menge, welche vor jeder letzten ernsten
Konsequenz erschrickt, unbekümmert dem Kirchenglauben entgegenzutreten, auch diese
Bedingung hängt zum großen Theil von jener andern ab, in der Evangelienkritik
festen Fußes auf der Höhe der heutigen Forschung zu stehen."
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