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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Erkenntniß vom 3. October 1864, sämmtliche Angeklagte von Strafe und
Kosten frei und verfügte, daß die Kosten der Vertheidigung aus der Polizci-
kasse zu ersetzen feien, und daß das Erkenntniß mit den Entscheidungsgründen
dem Vertheidiger kostenfrei anstatt förmlicher Verkündigung zugestellt werden solle.

Damit war die Sache rechtlich zum Schluß gediehen. Kaum oder hatte
der Minister v. Oertzen von diesem, seinem Wunsche sehr wenig entsprechenden
Ausgange der Untersuchung Kunde erhalten, als er die Acten einforderte und
den Rath wegen seiner Auslegung der Gesetze sehr hart anließ. In einem
großherzoglichen, vom Minister v. Oertzen contrasignirten Rescript an den
Rostocker Rath vom 25. October 1864, welches dem ministeriellen Blatt zur
Veröffentlichung überwiesen ward, kam der Passus vor: "weil ihr euch erdreistet,
dem bestehenden Verbot des gedachten Vereins in Unseren Landen die verbind¬
liche Kraft abzusprechen." Dies ward als "offenbarer Mißbrauch der dem Rathe
zustehenden Polizeiwalt" bezeichnet und zugleich erklärt, daß der Großherzog nicht
Willens sei, diesen Mißbrauch in seinen Wirkungen fortbestehen zu lassen. Er wolle nur
noch vorher hören, was der Rath außer dem Inhalt der Entscheidungsgründe noch
etwa zur Rechtfertigung seines freisprechenden Erkenntnisses vorzutragen habe.

Nach Erfüllung dieser Formalitäten bewirkte der Minister ein weiteres gro߬
herzogliches Rescript (29. November 1864), durch welches das von dem Rath
gefällte Erkenntniß für nichtig erklärt und derselbe angewiesen ward, ein anderes,
nicht freisprechendes, sondern verurtheilendes Erkenntniß nach Maßgabe der mini-
steriellen Gesetzesauslegung und des auf Grund dieser Auslegung erlassenen
ministeriellen Verbots der Theilnahme am Nationalverein abzufassen, und von
der landesherrlichen Annullirung des freisprechenden Erkenntnisses den Freige¬
sprochenen sofort Anzeige zu machen. Hinzugefügt ward die Bedrohung mit
einer Geldstrafe von 1000 Thlr., wenn der Rath es sich noch einmal einfallen
lasse, die Richtigkeit der vom Minister v. Oertzen bekundeten Auslegung des
Vereinsgesetzes in Zweifel zu ziehen.

Der Rath hielt es jedoch begreiflich mit seiner richterlichen Ehre und Pflicht
nicht vereinbar, diesem Befehl zur Wiederaufnahme der Untersuchung und nach¬
träglichen Verurtheilung der von ihm Freigesprochenen Folge zu leisten.

Der Minister sann anfangs auf Zwangsmaßregeln, um den Rath zur
Befolgung seines Befehles anzuhalten. Später aber gab er diesen Plan wieder
auf und versuchte es auf einem anderen Wege. Er übernahm selbst die Sub-
stituirung des freisprechenden Erkenntnisses durch ein verurtheilendes. Durch ein gro߬
herzogliches Rescript vom 27. Mai 1865 ward dem Rathe angezeigt, daß es nunmehr
der landesherrliche Wille sei, das vom Senator Bläuel gefällte Erkenntniß erster
Instanz zur Ausfühung zu bringen, und zugleich befohlen, daßder Rath dies den Frei¬
gesprochenen modificiren und das Polizeiamt mit der Vollziehung des Weiteren
beauftragen solle. Nur in Bezug auf Moritz Wiggers glaubte der Minister


Erkenntniß vom 3. October 1864, sämmtliche Angeklagte von Strafe und
Kosten frei und verfügte, daß die Kosten der Vertheidigung aus der Polizci-
kasse zu ersetzen feien, und daß das Erkenntniß mit den Entscheidungsgründen
dem Vertheidiger kostenfrei anstatt förmlicher Verkündigung zugestellt werden solle.

Damit war die Sache rechtlich zum Schluß gediehen. Kaum oder hatte
der Minister v. Oertzen von diesem, seinem Wunsche sehr wenig entsprechenden
Ausgange der Untersuchung Kunde erhalten, als er die Acten einforderte und
den Rath wegen seiner Auslegung der Gesetze sehr hart anließ. In einem
großherzoglichen, vom Minister v. Oertzen contrasignirten Rescript an den
Rostocker Rath vom 25. October 1864, welches dem ministeriellen Blatt zur
Veröffentlichung überwiesen ward, kam der Passus vor: „weil ihr euch erdreistet,
dem bestehenden Verbot des gedachten Vereins in Unseren Landen die verbind¬
liche Kraft abzusprechen." Dies ward als „offenbarer Mißbrauch der dem Rathe
zustehenden Polizeiwalt" bezeichnet und zugleich erklärt, daß der Großherzog nicht
Willens sei, diesen Mißbrauch in seinen Wirkungen fortbestehen zu lassen. Er wolle nur
noch vorher hören, was der Rath außer dem Inhalt der Entscheidungsgründe noch
etwa zur Rechtfertigung seines freisprechenden Erkenntnisses vorzutragen habe.

Nach Erfüllung dieser Formalitäten bewirkte der Minister ein weiteres gro߬
herzogliches Rescript (29. November 1864), durch welches das von dem Rath
gefällte Erkenntniß für nichtig erklärt und derselbe angewiesen ward, ein anderes,
nicht freisprechendes, sondern verurtheilendes Erkenntniß nach Maßgabe der mini-
steriellen Gesetzesauslegung und des auf Grund dieser Auslegung erlassenen
ministeriellen Verbots der Theilnahme am Nationalverein abzufassen, und von
der landesherrlichen Annullirung des freisprechenden Erkenntnisses den Freige¬
sprochenen sofort Anzeige zu machen. Hinzugefügt ward die Bedrohung mit
einer Geldstrafe von 1000 Thlr., wenn der Rath es sich noch einmal einfallen
lasse, die Richtigkeit der vom Minister v. Oertzen bekundeten Auslegung des
Vereinsgesetzes in Zweifel zu ziehen.

Der Rath hielt es jedoch begreiflich mit seiner richterlichen Ehre und Pflicht
nicht vereinbar, diesem Befehl zur Wiederaufnahme der Untersuchung und nach¬
träglichen Verurtheilung der von ihm Freigesprochenen Folge zu leisten.

Der Minister sann anfangs auf Zwangsmaßregeln, um den Rath zur
Befolgung seines Befehles anzuhalten. Später aber gab er diesen Plan wieder
auf und versuchte es auf einem anderen Wege. Er übernahm selbst die Sub-
stituirung des freisprechenden Erkenntnisses durch ein verurtheilendes. Durch ein gro߬
herzogliches Rescript vom 27. Mai 1865 ward dem Rathe angezeigt, daß es nunmehr
der landesherrliche Wille sei, das vom Senator Bläuel gefällte Erkenntniß erster
Instanz zur Ausfühung zu bringen, und zugleich befohlen, daßder Rath dies den Frei¬
gesprochenen modificiren und das Polizeiamt mit der Vollziehung des Weiteren
beauftragen solle. Nur in Bezug auf Moritz Wiggers glaubte der Minister


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[0075] Erkenntniß vom 3. October 1864, sämmtliche Angeklagte von Strafe und Kosten frei und verfügte, daß die Kosten der Vertheidigung aus der Polizci- kasse zu ersetzen feien, und daß das Erkenntniß mit den Entscheidungsgründen dem Vertheidiger kostenfrei anstatt förmlicher Verkündigung zugestellt werden solle. Damit war die Sache rechtlich zum Schluß gediehen. Kaum oder hatte der Minister v. Oertzen von diesem, seinem Wunsche sehr wenig entsprechenden Ausgange der Untersuchung Kunde erhalten, als er die Acten einforderte und den Rath wegen seiner Auslegung der Gesetze sehr hart anließ. In einem großherzoglichen, vom Minister v. Oertzen contrasignirten Rescript an den Rostocker Rath vom 25. October 1864, welches dem ministeriellen Blatt zur Veröffentlichung überwiesen ward, kam der Passus vor: „weil ihr euch erdreistet, dem bestehenden Verbot des gedachten Vereins in Unseren Landen die verbind¬ liche Kraft abzusprechen." Dies ward als „offenbarer Mißbrauch der dem Rathe zustehenden Polizeiwalt" bezeichnet und zugleich erklärt, daß der Großherzog nicht Willens sei, diesen Mißbrauch in seinen Wirkungen fortbestehen zu lassen. Er wolle nur noch vorher hören, was der Rath außer dem Inhalt der Entscheidungsgründe noch etwa zur Rechtfertigung seines freisprechenden Erkenntnisses vorzutragen habe. Nach Erfüllung dieser Formalitäten bewirkte der Minister ein weiteres gro߬ herzogliches Rescript (29. November 1864), durch welches das von dem Rath gefällte Erkenntniß für nichtig erklärt und derselbe angewiesen ward, ein anderes, nicht freisprechendes, sondern verurtheilendes Erkenntniß nach Maßgabe der mini- steriellen Gesetzesauslegung und des auf Grund dieser Auslegung erlassenen ministeriellen Verbots der Theilnahme am Nationalverein abzufassen, und von der landesherrlichen Annullirung des freisprechenden Erkenntnisses den Freige¬ sprochenen sofort Anzeige zu machen. Hinzugefügt ward die Bedrohung mit einer Geldstrafe von 1000 Thlr., wenn der Rath es sich noch einmal einfallen lasse, die Richtigkeit der vom Minister v. Oertzen bekundeten Auslegung des Vereinsgesetzes in Zweifel zu ziehen. Der Rath hielt es jedoch begreiflich mit seiner richterlichen Ehre und Pflicht nicht vereinbar, diesem Befehl zur Wiederaufnahme der Untersuchung und nach¬ träglichen Verurtheilung der von ihm Freigesprochenen Folge zu leisten. Der Minister sann anfangs auf Zwangsmaßregeln, um den Rath zur Befolgung seines Befehles anzuhalten. Später aber gab er diesen Plan wieder auf und versuchte es auf einem anderen Wege. Er übernahm selbst die Sub- stituirung des freisprechenden Erkenntnisses durch ein verurtheilendes. Durch ein gro߬ herzogliches Rescript vom 27. Mai 1865 ward dem Rathe angezeigt, daß es nunmehr der landesherrliche Wille sei, das vom Senator Bläuel gefällte Erkenntniß erster Instanz zur Ausfühung zu bringen, und zugleich befohlen, daßder Rath dies den Frei¬ gesprochenen modificiren und das Polizeiamt mit der Vollziehung des Weiteren beauftragen solle. Nur in Bezug auf Moritz Wiggers glaubte der Minister

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/75>, abgerufen am 15.01.2025.