Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.lich hohl und unhaltbar war. So lange sie unvollständig ausgeführt blieb, Aber auch die äußeren Verhältnisse des Staates machten eine Versöhnung 35*
lich hohl und unhaltbar war. So lange sie unvollständig ausgeführt blieb, Aber auch die äußeren Verhältnisse des Staates machten eine Versöhnung 35*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0631" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284458"/> <p xml:id="ID_1829" prev="#ID_1828"> lich hohl und unhaltbar war. So lange sie unvollständig ausgeführt blieb,<lb/> in interimistischen Bestände waren die Rechte des Neichsraths ungenügend, die<lb/> Negierung erhielt reichlich Gelegenheit, seinen Beschlüssen ihre Pflicht gegen den<lb/> Gesammtstaat vorzuhalten, ja die Wirksamkeit einer solchen Verfassung ver¬<lb/> größerte alljährlich die Kluft zwischen den vertretenen und nicht vertretenen<lb/> Ländern; wenn wieder diese Verfassung vollständig zur Ausführung kam und<lb/> jeder Stamm seine Repräsentanten nach Wien sandte, dann trat die Gefahr<lb/> nahe, daß eine Majorität der Magyaren und Slaven die Minorität der Deutschen<lb/> tyrannisiren werde, und daß in der deutschen Hauptstadt eine neue Art polnischen<lb/> Reichstags auferstehen werde, der vor.aller Welt die deutschfeindlichen Ge¬<lb/> sinnungen einer großen Majorität der Staatsbürger offenbare. Das wußte die<lb/> Opposition des bisherigen Reichstages sehr gut, das fürchtete wahrscheinlich<lb/> auch der Staatsmann, welcher in Oestreich vorzugsweise für den Vertreter der<lb/> Idee eines Gcsammtstciates galt. So trieb man fort auf den Wellen, aus<lb/> einem Jahr in das andere, und machte sich die Sorge um die Zukunft so leicht<lb/> als möglich. An höchster Stelle wurde die Volksvertretung der treuen Lande<lb/> wahrscheinlich als eine ungemüthliche Erfindung betrachtet, die man mit dem<lb/> besten Anstand zu ertragen wußte, so lange sie die Geldmittel, welche die Ne¬<lb/> gierung ohne Einstimmung des Volkes nicht mehr beschaffen konnte, nach einigen<lb/> Debatten bewilligte. Herr v. Schmerling galt für den Mann, der allein in<lb/> Oestreich im Stande sei, mit Volksvertretern fertig zu werden, darin lag das<lb/> Geheimniß seiner Unentbehrlichkeit und der Einfluß, den er in einzelnen Fällen<lb/> auf die höchsten Entschlüsse ausübte, ein Einfluß, der im Ausland oft über¬<lb/> schätzt wurde. Er war kein Mann des persönlichen Vertrauens, und daß er<lb/> zuweilen erklären mußte, nur unter unwillkommenen Bedingungen eine Geld¬<lb/> bewilligung durchzusetzen, gab ihm am Hofe die Stellung eines Volkstribunen,<lb/> die zuletzt unerträglich erschien. Als die Majorität seiner Abgeordneten sich<lb/> unfügsam zeigte und ernsthaft auf große Reductionen der Ausgaben drang,<lb/> wurden die Uebelstände einer — halben — Verfassung sehr fühlbar, und die<lb/> mehrjährige Arbeit der Hofpartei, ein solches Regiment zu beseitigen, hatte<lb/> Erfolge.</p><lb/> <p xml:id="ID_1830" next="#ID_1831"> Aber auch die äußeren Verhältnisse des Staates machten eine Versöhnung<lb/> mit den schmollenden Ungarn wünschenswerth. Seit jener schnelle Versuch des<lb/> Kaisers, die deutschen Souveräne in Frankfurt zu einer großen Liga zu ver¬<lb/> einen, an dem Widerstande der deutschen Mittelstaaten gescheitert war, hatte<lb/> sich Graf Rechberg, der jenem Versuche fremd geblieben, Preußen genähert.<lb/> Gemeinsamer Unwille gegen die Mittelstaaten erleichterte den beiden Großmäch,<lb/> ten, sich zu verständigen, während beide für die europäischen Verwickelungen<lb/> nach einem Alliirten aussahen. Beiden machte der Tod des Königs von Dä¬<lb/> nemark und die unerwartete Aufregung in Deutschland schnelles gemeinsames</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 35*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0631]
lich hohl und unhaltbar war. So lange sie unvollständig ausgeführt blieb,
in interimistischen Bestände waren die Rechte des Neichsraths ungenügend, die
Negierung erhielt reichlich Gelegenheit, seinen Beschlüssen ihre Pflicht gegen den
Gesammtstaat vorzuhalten, ja die Wirksamkeit einer solchen Verfassung ver¬
größerte alljährlich die Kluft zwischen den vertretenen und nicht vertretenen
Ländern; wenn wieder diese Verfassung vollständig zur Ausführung kam und
jeder Stamm seine Repräsentanten nach Wien sandte, dann trat die Gefahr
nahe, daß eine Majorität der Magyaren und Slaven die Minorität der Deutschen
tyrannisiren werde, und daß in der deutschen Hauptstadt eine neue Art polnischen
Reichstags auferstehen werde, der vor.aller Welt die deutschfeindlichen Ge¬
sinnungen einer großen Majorität der Staatsbürger offenbare. Das wußte die
Opposition des bisherigen Reichstages sehr gut, das fürchtete wahrscheinlich
auch der Staatsmann, welcher in Oestreich vorzugsweise für den Vertreter der
Idee eines Gcsammtstciates galt. So trieb man fort auf den Wellen, aus
einem Jahr in das andere, und machte sich die Sorge um die Zukunft so leicht
als möglich. An höchster Stelle wurde die Volksvertretung der treuen Lande
wahrscheinlich als eine ungemüthliche Erfindung betrachtet, die man mit dem
besten Anstand zu ertragen wußte, so lange sie die Geldmittel, welche die Ne¬
gierung ohne Einstimmung des Volkes nicht mehr beschaffen konnte, nach einigen
Debatten bewilligte. Herr v. Schmerling galt für den Mann, der allein in
Oestreich im Stande sei, mit Volksvertretern fertig zu werden, darin lag das
Geheimniß seiner Unentbehrlichkeit und der Einfluß, den er in einzelnen Fällen
auf die höchsten Entschlüsse ausübte, ein Einfluß, der im Ausland oft über¬
schätzt wurde. Er war kein Mann des persönlichen Vertrauens, und daß er
zuweilen erklären mußte, nur unter unwillkommenen Bedingungen eine Geld¬
bewilligung durchzusetzen, gab ihm am Hofe die Stellung eines Volkstribunen,
die zuletzt unerträglich erschien. Als die Majorität seiner Abgeordneten sich
unfügsam zeigte und ernsthaft auf große Reductionen der Ausgaben drang,
wurden die Uebelstände einer — halben — Verfassung sehr fühlbar, und die
mehrjährige Arbeit der Hofpartei, ein solches Regiment zu beseitigen, hatte
Erfolge.
Aber auch die äußeren Verhältnisse des Staates machten eine Versöhnung
mit den schmollenden Ungarn wünschenswerth. Seit jener schnelle Versuch des
Kaisers, die deutschen Souveräne in Frankfurt zu einer großen Liga zu ver¬
einen, an dem Widerstande der deutschen Mittelstaaten gescheitert war, hatte
sich Graf Rechberg, der jenem Versuche fremd geblieben, Preußen genähert.
Gemeinsamer Unwille gegen die Mittelstaaten erleichterte den beiden Großmäch,
ten, sich zu verständigen, während beide für die europäischen Verwickelungen
nach einem Alliirten aussahen. Beiden machte der Tod des Königs von Dä¬
nemark und die unerwartete Aufregung in Deutschland schnelles gemeinsames
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