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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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war. und daß er sein Leben lang die unmögliche'Aufgabe zu lösen suchte, zu¬
gleich den Anforderungen des ernsten Freundes der Tonkunst und dem Be¬
gehren des lauten Marktes zu genügen. Dies ist allerdings in einem unend¬
lich höheren Sinne einem Mozart und in der Malerei einem Raphael gelungen,
aber eben auch ganz unbewußt und ohne besondere dahin zielende Absicht ge¬
lungen, indem sie dabei eigentlich nur den ernsten Willen hatten, der Kunst in
ihren strengsten Anforderungen gerecht zu werden. Bei Meyerbeer hatte jenes
Streben die Folge, daß er zwar nie völlig zu der Flachheit der französischen
oder italienischen Modecomponisten seiner Zeit herabsank, aber ebensowenig
sich dauernd über sie zu erheben vermochte. Dagegen verdanken wir seinem
poetisch und geistvoll entwickelten Gefühl für große Momente im geschichtlichen
Dasein der Nationen die Erweiterung des Gebietes der Oper nach dieser
Seite hin. Eigentlich historische Opern hat es -- wenn wir den Cortez des
Spontini, oder die doch mehr landschaftlich und lokal als historisch gefärbten
Opern Tell von Rossini und die Stumme von Portici von Ander ausnehmen,
vor Meyerbeer nicht gegeben. Eher möchte noch Gluck als der Vater auch
dieser Richtung in seiner Iphigenie auf Tauris zu nennen sein, wo der Ge¬
gensatz des classischen Griechenthums und der barbarischen Scythennatur in
unvergänglich ergreifender Wahrheit gezeichnet worden.

Doch finden wir im Ganzen auch hier immer noch mehr Gestalten von
einem allgemeingiltigen menschlichen Gattungsgepräge, als Charaktere und
eine Volksmenge, deren Leidenschaften durch eine besondere geschichtliche Epoche
individuell gefärbt wären. Erst Meyervcer wagte es, uns den religiösen
oder politischen Fanatismus Einzelner oder der Massen mit dem ganz indivi¬
duellen Gepräge eines bestimmten Zeitalters vorzuführen. Auch in dieser
Beziehung sind die Hugenotten der Gipfel seines Schaffens. Mönchische Wuth
und eine durch sie bis zum Wahnsinn aufgestachelte Menge, der kühne, gottes¬
starke Trotz der Hugenotten, endlich die noch tiefere Verinnerlicherung jener Ge¬
gensätze in dem katholischen Se. Bris auf der einen und dem lutherischen
Marcel auf der anderen Seite, sind Erweiterungen der Ausdrucksfähigkeit dra¬
matischer Musik. Wie genial zeichnet der Tondichter neben diesen Elementen
den schlüpfrigen, intriganten und üppigen Hof einer Margarethe von Valois,
und wie glänzend heben sich auf diesem reichen Hintergrunde die Gestalten der
beiden Liebenden, Valentinens und Raouls ab, ohne daß beide doch aufhör¬
ten, ebenfalls Kinder des dargestellten Zeitalters und ihrer Nation zu sein.
Aehnliches gelang Meyerbeer in seinem Struensee, den wir nächst den Huge¬
notten für seine gelungenste Schöpfung erklären möchten. In beiden Werken erhob
er sich weit über "Robert der Teufel", in welchem wir ihn fast noch ganz
unter dem Einflüsse jener Epoche französischer Hyperromantik erblicken, als deren
Gipfel Victor Hugo zu bezeichnen ist, während er zugleich noch mit der moderne"


war. und daß er sein Leben lang die unmögliche'Aufgabe zu lösen suchte, zu¬
gleich den Anforderungen des ernsten Freundes der Tonkunst und dem Be¬
gehren des lauten Marktes zu genügen. Dies ist allerdings in einem unend¬
lich höheren Sinne einem Mozart und in der Malerei einem Raphael gelungen,
aber eben auch ganz unbewußt und ohne besondere dahin zielende Absicht ge¬
lungen, indem sie dabei eigentlich nur den ernsten Willen hatten, der Kunst in
ihren strengsten Anforderungen gerecht zu werden. Bei Meyerbeer hatte jenes
Streben die Folge, daß er zwar nie völlig zu der Flachheit der französischen
oder italienischen Modecomponisten seiner Zeit herabsank, aber ebensowenig
sich dauernd über sie zu erheben vermochte. Dagegen verdanken wir seinem
poetisch und geistvoll entwickelten Gefühl für große Momente im geschichtlichen
Dasein der Nationen die Erweiterung des Gebietes der Oper nach dieser
Seite hin. Eigentlich historische Opern hat es — wenn wir den Cortez des
Spontini, oder die doch mehr landschaftlich und lokal als historisch gefärbten
Opern Tell von Rossini und die Stumme von Portici von Ander ausnehmen,
vor Meyerbeer nicht gegeben. Eher möchte noch Gluck als der Vater auch
dieser Richtung in seiner Iphigenie auf Tauris zu nennen sein, wo der Ge¬
gensatz des classischen Griechenthums und der barbarischen Scythennatur in
unvergänglich ergreifender Wahrheit gezeichnet worden.

Doch finden wir im Ganzen auch hier immer noch mehr Gestalten von
einem allgemeingiltigen menschlichen Gattungsgepräge, als Charaktere und
eine Volksmenge, deren Leidenschaften durch eine besondere geschichtliche Epoche
individuell gefärbt wären. Erst Meyervcer wagte es, uns den religiösen
oder politischen Fanatismus Einzelner oder der Massen mit dem ganz indivi¬
duellen Gepräge eines bestimmten Zeitalters vorzuführen. Auch in dieser
Beziehung sind die Hugenotten der Gipfel seines Schaffens. Mönchische Wuth
und eine durch sie bis zum Wahnsinn aufgestachelte Menge, der kühne, gottes¬
starke Trotz der Hugenotten, endlich die noch tiefere Verinnerlicherung jener Ge¬
gensätze in dem katholischen Se. Bris auf der einen und dem lutherischen
Marcel auf der anderen Seite, sind Erweiterungen der Ausdrucksfähigkeit dra¬
matischer Musik. Wie genial zeichnet der Tondichter neben diesen Elementen
den schlüpfrigen, intriganten und üppigen Hof einer Margarethe von Valois,
und wie glänzend heben sich auf diesem reichen Hintergrunde die Gestalten der
beiden Liebenden, Valentinens und Raouls ab, ohne daß beide doch aufhör¬
ten, ebenfalls Kinder des dargestellten Zeitalters und ihrer Nation zu sein.
Aehnliches gelang Meyerbeer in seinem Struensee, den wir nächst den Huge¬
notten für seine gelungenste Schöpfung erklären möchten. In beiden Werken erhob
er sich weit über „Robert der Teufel", in welchem wir ihn fast noch ganz
unter dem Einflüsse jener Epoche französischer Hyperromantik erblicken, als deren
Gipfel Victor Hugo zu bezeichnen ist, während er zugleich noch mit der moderne"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/619>, abgerufen am 15.01.2025.