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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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eine sociale Ergänzung des Zollvereins. Sie sind vielleicht ein noch sprechen¬
deres Symptom als dieser, sofern sie aus dem Volk selbst hervorgehen und
keine politische Absicht, keine politische Intrigue mit im Spiel ist. Die wirth-
schaftliche Einigung ist jetzt schon die solide Basis für die politische Einigung.

Aber ein Anderes ist die directe Einmischung der Arbeitervereine in die
Politik. Man hat es ihnen oft gesagt, daß ihr eigenes Gedeihen gefährdet
wäre, wenn sie sich auf ein Gebiet verlocken ließen, welches außerhalb ihrer
Aufgabe liegt. Bekanntlich haben sie die Versuchung, die in der lasallischen
Agitation an sie herantrat, siegreich zurückgewiesen. Allein es ist klar, daß,
je ungesunder und unfertiger unsere politischen Zustände sind, um so eher immer
wieder diese Versuchung an sie herantritt. Die inneren Wirren in Preußen
haben ihre unvermeidliche Rückwirkung auf den Geist der Arbeiter. In der
Haltung der preußischen Delegirten war das unschwer zu erkennen. Sie machten
kein Hehl aus ihrem Groll über die Volksvertretung, bittere Worte konnte man
hören insbesondere über die Fortschrittspartei, welche "nichts gethan", und bei
den nächsten Wahlen es zu empfinden haben werde, und das Wegbleiben von
Schulze-Delitzsch ist, wie verlautete, kein zufälliges gewesen. Man weiß, daß
unter den Berathungsgegenständen auch "das allgemeine, gleiche und directe
Stimmrecht" figurirt, und zwar war es in der Vorversammlung gleich als zweiter
Gegenstand auf die Tagesordnung gesetzt worden. Diese Frage, führte der
Berichterstatter aus, sei allerdings eine politische, aber sie habe nicht länger
zurückgedrängt werden können; was jedem auf der Zunge schwebe, gezieme sich
auch öffentlich auszusprechen, die Arbeiter seien Politisch rechtlos, sie bedürfen
einer Vertretung in den Kammern u. s. w. Die Anträge auf Tagesordnung,
die Warnungen, nicht in das politische Gebiet überzugreifen, zumal in einem
Moment, wo vielleicht eine allgemeine Reaction drohe, fanden keinen Beifall.
Der von Berlin aus gestellte Antrag, daß es Pflicht aller Arbeitervereine sei,
für das allgemeine und directe Wahlrecht in die Schranken zu treten, wurde
zwar abgeworfen, aber bei Stimmengleichheit nur durch Stichentscheid des Prä¬
sidenten. Dagegen wurde die allgemeinere Fassung, welche diese Pflicht ein¬
fach den Arbeitern zuschob, einstimmig angenommen. Damit war allerdings
dem Antrag die bedenklichste Spitze abgebrochen.

Uebrigens sind es nicht am wenigsten die geistigen Leiter der Vereine selbst'
welche die Schuld tragen, wenn den Arbeitern der Appetit nach politischer Be'
schäftigung wächst. Es liegt in der Natur der Sache, daß die "geistigen Ar¬
beiter" vornehmlich an den Debatten sich betheiligen und fast ausschließlich den
Aufwand an Tischbcrcdsamkeit bei den Festbanketen decken, und es ist natürlich'
daß bei den Toasten die Politik ein Recht hat mit darein zu reden. Aber M""
kann des Guten zu viel thun, und es ist namentlich von den anwesenden
Fremden bemerkt worden, daß der Inhalt der Tischreden doch von den Zwecke"


eine sociale Ergänzung des Zollvereins. Sie sind vielleicht ein noch sprechen¬
deres Symptom als dieser, sofern sie aus dem Volk selbst hervorgehen und
keine politische Absicht, keine politische Intrigue mit im Spiel ist. Die wirth-
schaftliche Einigung ist jetzt schon die solide Basis für die politische Einigung.

Aber ein Anderes ist die directe Einmischung der Arbeitervereine in die
Politik. Man hat es ihnen oft gesagt, daß ihr eigenes Gedeihen gefährdet
wäre, wenn sie sich auf ein Gebiet verlocken ließen, welches außerhalb ihrer
Aufgabe liegt. Bekanntlich haben sie die Versuchung, die in der lasallischen
Agitation an sie herantrat, siegreich zurückgewiesen. Allein es ist klar, daß,
je ungesunder und unfertiger unsere politischen Zustände sind, um so eher immer
wieder diese Versuchung an sie herantritt. Die inneren Wirren in Preußen
haben ihre unvermeidliche Rückwirkung auf den Geist der Arbeiter. In der
Haltung der preußischen Delegirten war das unschwer zu erkennen. Sie machten
kein Hehl aus ihrem Groll über die Volksvertretung, bittere Worte konnte man
hören insbesondere über die Fortschrittspartei, welche „nichts gethan", und bei
den nächsten Wahlen es zu empfinden haben werde, und das Wegbleiben von
Schulze-Delitzsch ist, wie verlautete, kein zufälliges gewesen. Man weiß, daß
unter den Berathungsgegenständen auch „das allgemeine, gleiche und directe
Stimmrecht" figurirt, und zwar war es in der Vorversammlung gleich als zweiter
Gegenstand auf die Tagesordnung gesetzt worden. Diese Frage, führte der
Berichterstatter aus, sei allerdings eine politische, aber sie habe nicht länger
zurückgedrängt werden können; was jedem auf der Zunge schwebe, gezieme sich
auch öffentlich auszusprechen, die Arbeiter seien Politisch rechtlos, sie bedürfen
einer Vertretung in den Kammern u. s. w. Die Anträge auf Tagesordnung,
die Warnungen, nicht in das politische Gebiet überzugreifen, zumal in einem
Moment, wo vielleicht eine allgemeine Reaction drohe, fanden keinen Beifall.
Der von Berlin aus gestellte Antrag, daß es Pflicht aller Arbeitervereine sei,
für das allgemeine und directe Wahlrecht in die Schranken zu treten, wurde
zwar abgeworfen, aber bei Stimmengleichheit nur durch Stichentscheid des Prä¬
sidenten. Dagegen wurde die allgemeinere Fassung, welche diese Pflicht ein¬
fach den Arbeitern zuschob, einstimmig angenommen. Damit war allerdings
dem Antrag die bedenklichste Spitze abgebrochen.

Uebrigens sind es nicht am wenigsten die geistigen Leiter der Vereine selbst'
welche die Schuld tragen, wenn den Arbeitern der Appetit nach politischer Be'
schäftigung wächst. Es liegt in der Natur der Sache, daß die „geistigen Ar¬
beiter" vornehmlich an den Debatten sich betheiligen und fast ausschließlich den
Aufwand an Tischbcrcdsamkeit bei den Festbanketen decken, und es ist natürlich'
daß bei den Toasten die Politik ein Recht hat mit darein zu reden. Aber M»"
kann des Guten zu viel thun, und es ist namentlich von den anwesenden
Fremden bemerkt worden, daß der Inhalt der Tischreden doch von den Zwecke»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/500>, abgerufen am 15.01.2025.