Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeitgenossen von der entschiedenen Wichtigkeit der organisirenden und verwal¬
tenden Thätigkeit hatte, eine, wir können durchaus nicht sagen, unbedeutende,
aber doch seiner persönlichen Bedeutung nicht völlig entsprechende Rolle in den
parlamentarischen Kämpfen Frankreichs gespielt hat. Eine Ursache für diese
Erscheinung giebt Beaumont selbst an: der wesentliche Unterschied zwischen der
Thätigkeit, der Gewöhnung und den unmittelbaren Zielen des Schriftstellers
und des praktischen Politikers. Der Redner will eine augenblickliche Wirkung
erzielen: die Ziele grade des bedeutenden Schriftstellers liegen in der Zukunft;
der eine wirkt auf die Leidenschaften, der andere auf den Verstand: die zur
anderen Natur gewordene Gewöhnung an ein sorgfältiges Feilen des Ausdrucks,
für den Schriftsteller eine unabweisliche Pflicht, kann für den Redner, den der
entscheidende Augenblick stets bereit finden muß, das entscheidende Wort zu
sprechen, gradezu ein Hinderniß in der Führung der parlamentarischen Waffe
werden. Nun ist ferner zu bedenken, daß die ihm eigenthümlichen Ideen ganz
außerhalb des Gesichtskreises der politischen Routine lagen, daß er selbst dem
tiefsten Kern seiner Ansichten nach keiner der bestehenden Parteien angehörte,
in einzelnen Punkten dagegen sich mit jeder von ihnen berührte, so daß bald
die Aristokraten, bald die Demokraten ihn zu den Ihrigen rechneten. Er hatte
die Eigenschaften eines Staatsmannes der Zukunft; als solcher aber war er
ganz und gar nicht geeignet, die Rolle eines Parteiführers in den Kämpfen der
Gegenwart zu übernehmen. Er ist vom Beginne seiner parlamentarischen
Laufbahn an, die ebenso sehr seine ganze Geisteskraft in Anspruch nahm, wie
vorher und nachher seine literarische Thätigkeit, ein hochgeachtetes, oft einflu߬
reiches Mitglied, niemals aber ein Leiter der Opposition gewesen. Die fran¬
zösische Geschichte wird ihn als den Träger einer großen politischen Idee
preisen; ein sicheres, unumstößliches Urtheil über seine praktische staatsmännische
Fähigkeit zu fällen, wird ihr versagt bleiben. Denn seine nur wenige Monate
dauernde Verwaltung des auswärtigen Ministeriums während der Präsident¬
schaft und die hohe Achtung, die Napoleon ihm auch nach seinem Rücktritt
erwies, reichen nicht aus, um ein sicheres Urtheil zu begründen.

Einige Eigenschaften des praktischen Staatsmannes besaß er ohne Zweifel
in hohem Grade, vor allem einen scharfen und sicheren Blick in die Zukunft,
sowie eine unerschütterliche Festigkeit des Charakters und Treue der Ueberzeu¬
gung. Die Casscmdragabe der Voraussicht hat er vor allen großen Katastrophen,
die während seiner politischen Laufbahn sein Vaterland erschüttert haben, aufs
glänzendste bewährt, so in einer am 27. Januar 1848 gehaltenen, ihrem wesent¬
lichen Inhalt nach von Beaumont mitgetheilten Rede; so ferner in der Kor¬
respondenz aus der Zeit vor dem Staatsstreich des Präsidenten. Das Inter¬
essante an diesen Briefen ist nicht das lebhast hervortretende instinctive Gefühl
xiner herannahenden Katastrophe (denn das Gefühl hatte damals jeder), sondern


Zeitgenossen von der entschiedenen Wichtigkeit der organisirenden und verwal¬
tenden Thätigkeit hatte, eine, wir können durchaus nicht sagen, unbedeutende,
aber doch seiner persönlichen Bedeutung nicht völlig entsprechende Rolle in den
parlamentarischen Kämpfen Frankreichs gespielt hat. Eine Ursache für diese
Erscheinung giebt Beaumont selbst an: der wesentliche Unterschied zwischen der
Thätigkeit, der Gewöhnung und den unmittelbaren Zielen des Schriftstellers
und des praktischen Politikers. Der Redner will eine augenblickliche Wirkung
erzielen: die Ziele grade des bedeutenden Schriftstellers liegen in der Zukunft;
der eine wirkt auf die Leidenschaften, der andere auf den Verstand: die zur
anderen Natur gewordene Gewöhnung an ein sorgfältiges Feilen des Ausdrucks,
für den Schriftsteller eine unabweisliche Pflicht, kann für den Redner, den der
entscheidende Augenblick stets bereit finden muß, das entscheidende Wort zu
sprechen, gradezu ein Hinderniß in der Führung der parlamentarischen Waffe
werden. Nun ist ferner zu bedenken, daß die ihm eigenthümlichen Ideen ganz
außerhalb des Gesichtskreises der politischen Routine lagen, daß er selbst dem
tiefsten Kern seiner Ansichten nach keiner der bestehenden Parteien angehörte,
in einzelnen Punkten dagegen sich mit jeder von ihnen berührte, so daß bald
die Aristokraten, bald die Demokraten ihn zu den Ihrigen rechneten. Er hatte
die Eigenschaften eines Staatsmannes der Zukunft; als solcher aber war er
ganz und gar nicht geeignet, die Rolle eines Parteiführers in den Kämpfen der
Gegenwart zu übernehmen. Er ist vom Beginne seiner parlamentarischen
Laufbahn an, die ebenso sehr seine ganze Geisteskraft in Anspruch nahm, wie
vorher und nachher seine literarische Thätigkeit, ein hochgeachtetes, oft einflu߬
reiches Mitglied, niemals aber ein Leiter der Opposition gewesen. Die fran¬
zösische Geschichte wird ihn als den Träger einer großen politischen Idee
preisen; ein sicheres, unumstößliches Urtheil über seine praktische staatsmännische
Fähigkeit zu fällen, wird ihr versagt bleiben. Denn seine nur wenige Monate
dauernde Verwaltung des auswärtigen Ministeriums während der Präsident¬
schaft und die hohe Achtung, die Napoleon ihm auch nach seinem Rücktritt
erwies, reichen nicht aus, um ein sicheres Urtheil zu begründen.

Einige Eigenschaften des praktischen Staatsmannes besaß er ohne Zweifel
in hohem Grade, vor allem einen scharfen und sicheren Blick in die Zukunft,
sowie eine unerschütterliche Festigkeit des Charakters und Treue der Ueberzeu¬
gung. Die Casscmdragabe der Voraussicht hat er vor allen großen Katastrophen,
die während seiner politischen Laufbahn sein Vaterland erschüttert haben, aufs
glänzendste bewährt, so in einer am 27. Januar 1848 gehaltenen, ihrem wesent¬
lichen Inhalt nach von Beaumont mitgetheilten Rede; so ferner in der Kor¬
respondenz aus der Zeit vor dem Staatsstreich des Präsidenten. Das Inter¬
essante an diesen Briefen ist nicht das lebhast hervortretende instinctive Gefühl
xiner herannahenden Katastrophe (denn das Gefühl hatte damals jeder), sondern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283749"/>
          <p xml:id="ID_1135" prev="#ID_1134"> Zeitgenossen von der entschiedenen Wichtigkeit der organisirenden und verwal¬<lb/>
tenden Thätigkeit hatte, eine, wir können durchaus nicht sagen, unbedeutende,<lb/>
aber doch seiner persönlichen Bedeutung nicht völlig entsprechende Rolle in den<lb/>
parlamentarischen Kämpfen Frankreichs gespielt hat. Eine Ursache für diese<lb/>
Erscheinung giebt Beaumont selbst an: der wesentliche Unterschied zwischen der<lb/>
Thätigkeit, der Gewöhnung und den unmittelbaren Zielen des Schriftstellers<lb/>
und des praktischen Politikers. Der Redner will eine augenblickliche Wirkung<lb/>
erzielen: die Ziele grade des bedeutenden Schriftstellers liegen in der Zukunft;<lb/>
der eine wirkt auf die Leidenschaften, der andere auf den Verstand: die zur<lb/>
anderen Natur gewordene Gewöhnung an ein sorgfältiges Feilen des Ausdrucks,<lb/>
für den Schriftsteller eine unabweisliche Pflicht, kann für den Redner, den der<lb/>
entscheidende Augenblick stets bereit finden muß, das entscheidende Wort zu<lb/>
sprechen, gradezu ein Hinderniß in der Führung der parlamentarischen Waffe<lb/>
werden. Nun ist ferner zu bedenken, daß die ihm eigenthümlichen Ideen ganz<lb/>
außerhalb des Gesichtskreises der politischen Routine lagen, daß er selbst dem<lb/>
tiefsten Kern seiner Ansichten nach keiner der bestehenden Parteien angehörte,<lb/>
in einzelnen Punkten dagegen sich mit jeder von ihnen berührte, so daß bald<lb/>
die Aristokraten, bald die Demokraten ihn zu den Ihrigen rechneten. Er hatte<lb/>
die Eigenschaften eines Staatsmannes der Zukunft; als solcher aber war er<lb/>
ganz und gar nicht geeignet, die Rolle eines Parteiführers in den Kämpfen der<lb/>
Gegenwart zu übernehmen. Er ist vom Beginne seiner parlamentarischen<lb/>
Laufbahn an, die ebenso sehr seine ganze Geisteskraft in Anspruch nahm, wie<lb/>
vorher und nachher seine literarische Thätigkeit, ein hochgeachtetes, oft einflu߬<lb/>
reiches Mitglied, niemals aber ein Leiter der Opposition gewesen. Die fran¬<lb/>
zösische Geschichte wird ihn als den Träger einer großen politischen Idee<lb/>
preisen; ein sicheres, unumstößliches Urtheil über seine praktische staatsmännische<lb/>
Fähigkeit zu fällen, wird ihr versagt bleiben. Denn seine nur wenige Monate<lb/>
dauernde Verwaltung des auswärtigen Ministeriums während der Präsident¬<lb/>
schaft und die hohe Achtung, die Napoleon ihm auch nach seinem Rücktritt<lb/>
erwies, reichen nicht aus, um ein sicheres Urtheil zu begründen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1136" next="#ID_1137"> Einige Eigenschaften des praktischen Staatsmannes besaß er ohne Zweifel<lb/>
in hohem Grade, vor allem einen scharfen und sicheren Blick in die Zukunft,<lb/>
sowie eine unerschütterliche Festigkeit des Charakters und Treue der Ueberzeu¬<lb/>
gung. Die Casscmdragabe der Voraussicht hat er vor allen großen Katastrophen,<lb/>
die während seiner politischen Laufbahn sein Vaterland erschüttert haben, aufs<lb/>
glänzendste bewährt, so in einer am 27. Januar 1848 gehaltenen, ihrem wesent¬<lb/>
lichen Inhalt nach von Beaumont mitgetheilten Rede; so ferner in der Kor¬<lb/>
respondenz aus der Zeit vor dem Staatsstreich des Präsidenten. Das Inter¬<lb/>
essante an diesen Briefen ist nicht das lebhast hervortretende instinctive Gefühl<lb/>
xiner herannahenden Katastrophe (denn das Gefühl hatte damals jeder), sondern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] Zeitgenossen von der entschiedenen Wichtigkeit der organisirenden und verwal¬ tenden Thätigkeit hatte, eine, wir können durchaus nicht sagen, unbedeutende, aber doch seiner persönlichen Bedeutung nicht völlig entsprechende Rolle in den parlamentarischen Kämpfen Frankreichs gespielt hat. Eine Ursache für diese Erscheinung giebt Beaumont selbst an: der wesentliche Unterschied zwischen der Thätigkeit, der Gewöhnung und den unmittelbaren Zielen des Schriftstellers und des praktischen Politikers. Der Redner will eine augenblickliche Wirkung erzielen: die Ziele grade des bedeutenden Schriftstellers liegen in der Zukunft; der eine wirkt auf die Leidenschaften, der andere auf den Verstand: die zur anderen Natur gewordene Gewöhnung an ein sorgfältiges Feilen des Ausdrucks, für den Schriftsteller eine unabweisliche Pflicht, kann für den Redner, den der entscheidende Augenblick stets bereit finden muß, das entscheidende Wort zu sprechen, gradezu ein Hinderniß in der Führung der parlamentarischen Waffe werden. Nun ist ferner zu bedenken, daß die ihm eigenthümlichen Ideen ganz außerhalb des Gesichtskreises der politischen Routine lagen, daß er selbst dem tiefsten Kern seiner Ansichten nach keiner der bestehenden Parteien angehörte, in einzelnen Punkten dagegen sich mit jeder von ihnen berührte, so daß bald die Aristokraten, bald die Demokraten ihn zu den Ihrigen rechneten. Er hatte die Eigenschaften eines Staatsmannes der Zukunft; als solcher aber war er ganz und gar nicht geeignet, die Rolle eines Parteiführers in den Kämpfen der Gegenwart zu übernehmen. Er ist vom Beginne seiner parlamentarischen Laufbahn an, die ebenso sehr seine ganze Geisteskraft in Anspruch nahm, wie vorher und nachher seine literarische Thätigkeit, ein hochgeachtetes, oft einflu߬ reiches Mitglied, niemals aber ein Leiter der Opposition gewesen. Die fran¬ zösische Geschichte wird ihn als den Träger einer großen politischen Idee preisen; ein sicheres, unumstößliches Urtheil über seine praktische staatsmännische Fähigkeit zu fällen, wird ihr versagt bleiben. Denn seine nur wenige Monate dauernde Verwaltung des auswärtigen Ministeriums während der Präsident¬ schaft und die hohe Achtung, die Napoleon ihm auch nach seinem Rücktritt erwies, reichen nicht aus, um ein sicheres Urtheil zu begründen. Einige Eigenschaften des praktischen Staatsmannes besaß er ohne Zweifel in hohem Grade, vor allem einen scharfen und sicheren Blick in die Zukunft, sowie eine unerschütterliche Festigkeit des Charakters und Treue der Ueberzeu¬ gung. Die Casscmdragabe der Voraussicht hat er vor allen großen Katastrophen, die während seiner politischen Laufbahn sein Vaterland erschüttert haben, aufs glänzendste bewährt, so in einer am 27. Januar 1848 gehaltenen, ihrem wesent¬ lichen Inhalt nach von Beaumont mitgetheilten Rede; so ferner in der Kor¬ respondenz aus der Zeit vor dem Staatsstreich des Präsidenten. Das Inter¬ essante an diesen Briefen ist nicht das lebhast hervortretende instinctive Gefühl xiner herannahenden Katastrophe (denn das Gefühl hatte damals jeder), sondern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/396>, abgerufen am 15.01.2025.