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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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feiger Anhängsel sowie durch Versetzungen und andere Korruptionen aufs ärgste
entstellt wurde, so daß es schwer war. aus diesem Text das ursprüngliche Buch
zu erkennen. Namentlich ist hier die wichtige Stelle 9, 2S ff. zu beachten, welche,
auch wenn man die versetzten Worte wieder an ihre richtige Stelle bringt und
die Glossen ausscheidet, immer noch sinnlos bleibt.

Aus diesem Grunde ist es nicht zu verwundern, daß die Kirche diese Ueber¬
setzung verwarf, nachdem durch Theodotivn (im zweiten Jahrhundert nach Chr.)
eine neue lesbare Uebersetzung oder vielmehr eigentlich eine sorgfältige Revision
jenes nach dem Grundtext geliefert war. Schon um 200 wird Daniel nach
Theodotivn citirt, und die ältere Übersetzung war allmälig ganz verschollen,
bis sie im vorigen Jahrhundert wieder ausgefunden warb.

Die griechische Uebersetzung Daniels enthält, wie die des Buches Esther,
außer mehren kleinen einige größere Zusätze verschiedenen Ursprungs. Aus dem
Hebräischen konnten möglicherweise übersetzt sein die beiden Gebete im
3. Cap. Es sind dies zwei gutgemeinte aber schwache Versuche frommer Seelen.
Das Gebet des Asarja (V. 24--45) ist jedenfalls von einem andern Verfasser,
als der aus einem rein liturgischen Formular bestehende Gesang der drei Männer
(V. 46--90), welcher in seinem Eingang eine neue Umschreibung von V. 22 des
Originals giebt.

Schlecht erfunden und schlecht erzählt ist die Geschichte von der keuschen
Susanna, welche ursprünglich selbständig war. Daß sie von Anfang an grie¬
chisch geschrieben, erkannte schon der scharfsinnige Julius Africanus aus den
darin vorkommenden griechischen Wortspielen. Vergeblich suchte er freilich durch
diese und andere Gründe seinen großen, aber weniger kritischen Freund Ori-
genes von der Unechtheit dieser und der andern Zusätze zum Daniel zu
überzeugen.

Noch schlechter ist die ganz alberne Nachahmung der Geschichte vom feurigen
Ofen und von der Löwengrube in der Erzählung vom Bel und Drachen zu
Babel. Auch dieses Stück, welches wegen des darin auftretenden Propheten
Habakuk den Titel führt "aus der Prophetie des Habakuk" ist ursprünglich
griechisch und selbständig.

Wann diese Nachwüchse unseres Buches entstanden sind, läßt sich nicht
sagen. Sehr alte christliche Schriftsteller betrachten sie als integrirende Theile
des Buches Daniel, und selbst Theodotivn wagte sie nicht ganz auszuscheiden,
sondern bearbeitete sie, nicht ohne Geschick, indem er im Einzelnen etwas daran
besserte, namentlich an der Geschichte von Susanna, und sie in einen etwas
innigeren Zusammenhang mit dem eigentlichen Buche brachte. -- Luther hat
diese Zusätze mit Recht ausgeschieden; er hätte noch besser daran gethan, wenn
er sie ganz ausgelassen hätte, statt sie wenigstens in die Apokryphen aus¬
zunehmen.




feiger Anhängsel sowie durch Versetzungen und andere Korruptionen aufs ärgste
entstellt wurde, so daß es schwer war. aus diesem Text das ursprüngliche Buch
zu erkennen. Namentlich ist hier die wichtige Stelle 9, 2S ff. zu beachten, welche,
auch wenn man die versetzten Worte wieder an ihre richtige Stelle bringt und
die Glossen ausscheidet, immer noch sinnlos bleibt.

Aus diesem Grunde ist es nicht zu verwundern, daß die Kirche diese Ueber¬
setzung verwarf, nachdem durch Theodotivn (im zweiten Jahrhundert nach Chr.)
eine neue lesbare Uebersetzung oder vielmehr eigentlich eine sorgfältige Revision
jenes nach dem Grundtext geliefert war. Schon um 200 wird Daniel nach
Theodotivn citirt, und die ältere Übersetzung war allmälig ganz verschollen,
bis sie im vorigen Jahrhundert wieder ausgefunden warb.

Die griechische Uebersetzung Daniels enthält, wie die des Buches Esther,
außer mehren kleinen einige größere Zusätze verschiedenen Ursprungs. Aus dem
Hebräischen konnten möglicherweise übersetzt sein die beiden Gebete im
3. Cap. Es sind dies zwei gutgemeinte aber schwache Versuche frommer Seelen.
Das Gebet des Asarja (V. 24—45) ist jedenfalls von einem andern Verfasser,
als der aus einem rein liturgischen Formular bestehende Gesang der drei Männer
(V. 46—90), welcher in seinem Eingang eine neue Umschreibung von V. 22 des
Originals giebt.

Schlecht erfunden und schlecht erzählt ist die Geschichte von der keuschen
Susanna, welche ursprünglich selbständig war. Daß sie von Anfang an grie¬
chisch geschrieben, erkannte schon der scharfsinnige Julius Africanus aus den
darin vorkommenden griechischen Wortspielen. Vergeblich suchte er freilich durch
diese und andere Gründe seinen großen, aber weniger kritischen Freund Ori-
genes von der Unechtheit dieser und der andern Zusätze zum Daniel zu
überzeugen.

Noch schlechter ist die ganz alberne Nachahmung der Geschichte vom feurigen
Ofen und von der Löwengrube in der Erzählung vom Bel und Drachen zu
Babel. Auch dieses Stück, welches wegen des darin auftretenden Propheten
Habakuk den Titel führt „aus der Prophetie des Habakuk" ist ursprünglich
griechisch und selbständig.

Wann diese Nachwüchse unseres Buches entstanden sind, läßt sich nicht
sagen. Sehr alte christliche Schriftsteller betrachten sie als integrirende Theile
des Buches Daniel, und selbst Theodotivn wagte sie nicht ganz auszuscheiden,
sondern bearbeitete sie, nicht ohne Geschick, indem er im Einzelnen etwas daran
besserte, namentlich an der Geschichte von Susanna, und sie in einen etwas
innigeren Zusammenhang mit dem eigentlichen Buche brachte. — Luther hat
diese Zusätze mit Recht ausgeschieden; er hätte noch besser daran gethan, wenn
er sie ganz ausgelassen hätte, statt sie wenigstens in die Apokryphen aus¬
zunehmen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/362>, abgerufen am 15.01.2025.