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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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richtig gehaltenen Voraussetzungen nach sein sollte. Weniger die Naturnoth-
wendigkeit, die auch in der Politik herrscht, wird ins Auge gefaßt als gewisse
Forderungen des sittlichen Bewußtseins, die unabhängig von der umgebenden
Welt der Thatsachen construirt sind.

Aber wie dort so halten auch hier die Voraussetzungen nicht Stich vor
einer nüchternen Untersuchung oder mindestens wird diese aus ihnen zu anderen
Schlußfolgerungen kommen. Denn fragen wir, wo denn jenes unverlierbare
und unvcrjährbare Recht der Nation, Eins zu sein, aus der Abstraction sich zu
einer geschichtlichen Thatsache erhoben hat, wo es der Nation gelungen ist, das¬
selbe -- wie unvollkommen immer -- zu realisiren und es zu mehr als einem
sittlichen Postulat, zu einer That zu gestalten, so ist die einzige Antwort darauf:
im Staate Preußen. Preußen ist in der That der Beweis für die Berechti¬
gung jenes Anspruches; denn die lebendige Existenz des Rechtes mißt sich am
Vermögen dasselbe zur Erscheinung zu bringe". Vergessen wir nicht, was so
leicht vergessen wird, daß, indem ich dem Individuum oder der Nation im
Allgemeinen ein Recht zugestehe, damit für dieses bestimmte Individuum,
diese bestimmte Nation noch gar nichts ausgesagt ist, sondern daß ich nur
zugestanden habe, daß in dem Begriff des Individuums, der Nation jenes
Recht mit einbedungen liegt. Wie weit dasselbe dieser bestimmten Nation zuzu¬
gestehen ist, hängt von dem Grade der Energie ab, mit der dieselbe sich den
abstracten Inhalt des Rechts individuell anzueignen und in Fleisch und Blut
umzusetzen vermocht hat, hängt mit einem Worte von ihrem Vermögen, dasselbe
zu realisiren, ab.

Hätten die Deutschen ihr vielbcredetes Recht auf eine einheitliche nationale
Existenzform in nichts Anderem zur Erscheinung zu bringen vermocht als in
den ihm gewidmeten Leistungen unserer Dichter und Tischredner und in den
Beweisführungen gelehrter Abhandlungen, so würde dasselbe mit Grund als
ein problematischer Anspruch erscheinen, für den der Beweis der vollen Rechts¬
fülle, die politische Gestaltungskraft, noch erst zu erbringen wäre. Nun haben
sie aber in der That etwas Anderes vermocht, nämlich inmitten des Zerfalls
des mittelalterlichen Lebens den Staat Preußen zu bilden, ihn mit einem
deutschen Inhalt zu erfüllen, ihn mit einer Machtfülle auszurüsten, die den
Schwerpunkt der deutschen Geschicke in ihn verlegt und ihm jenen zähen staat¬
lichen Egoismus einzupflanzen, der schon die ersten Anfänge dieses Staates auf
s" bemerkenswerthe Weise kennzeichnet und der vielleicht mehr wie alles Andere
das Gelingen der deutschen Einheitsbestrebungen für die Zukunft verbürgt.
Denn der Egoismus pflegt als mächtige Potenz noch vorzuhalten, wenn alle
anderen Triebfedern ihre Dienste versagen.

Es ist ganz im Geiste jenes politischen Idealismus gelegen, der in der
gegenwärtigen Bewegung der Geister in Deutschland so laut das Wort führt,


richtig gehaltenen Voraussetzungen nach sein sollte. Weniger die Naturnoth-
wendigkeit, die auch in der Politik herrscht, wird ins Auge gefaßt als gewisse
Forderungen des sittlichen Bewußtseins, die unabhängig von der umgebenden
Welt der Thatsachen construirt sind.

Aber wie dort so halten auch hier die Voraussetzungen nicht Stich vor
einer nüchternen Untersuchung oder mindestens wird diese aus ihnen zu anderen
Schlußfolgerungen kommen. Denn fragen wir, wo denn jenes unverlierbare
und unvcrjährbare Recht der Nation, Eins zu sein, aus der Abstraction sich zu
einer geschichtlichen Thatsache erhoben hat, wo es der Nation gelungen ist, das¬
selbe — wie unvollkommen immer — zu realisiren und es zu mehr als einem
sittlichen Postulat, zu einer That zu gestalten, so ist die einzige Antwort darauf:
im Staate Preußen. Preußen ist in der That der Beweis für die Berechti¬
gung jenes Anspruches; denn die lebendige Existenz des Rechtes mißt sich am
Vermögen dasselbe zur Erscheinung zu bringe». Vergessen wir nicht, was so
leicht vergessen wird, daß, indem ich dem Individuum oder der Nation im
Allgemeinen ein Recht zugestehe, damit für dieses bestimmte Individuum,
diese bestimmte Nation noch gar nichts ausgesagt ist, sondern daß ich nur
zugestanden habe, daß in dem Begriff des Individuums, der Nation jenes
Recht mit einbedungen liegt. Wie weit dasselbe dieser bestimmten Nation zuzu¬
gestehen ist, hängt von dem Grade der Energie ab, mit der dieselbe sich den
abstracten Inhalt des Rechts individuell anzueignen und in Fleisch und Blut
umzusetzen vermocht hat, hängt mit einem Worte von ihrem Vermögen, dasselbe
zu realisiren, ab.

Hätten die Deutschen ihr vielbcredetes Recht auf eine einheitliche nationale
Existenzform in nichts Anderem zur Erscheinung zu bringen vermocht als in
den ihm gewidmeten Leistungen unserer Dichter und Tischredner und in den
Beweisführungen gelehrter Abhandlungen, so würde dasselbe mit Grund als
ein problematischer Anspruch erscheinen, für den der Beweis der vollen Rechts¬
fülle, die politische Gestaltungskraft, noch erst zu erbringen wäre. Nun haben
sie aber in der That etwas Anderes vermocht, nämlich inmitten des Zerfalls
des mittelalterlichen Lebens den Staat Preußen zu bilden, ihn mit einem
deutschen Inhalt zu erfüllen, ihn mit einer Machtfülle auszurüsten, die den
Schwerpunkt der deutschen Geschicke in ihn verlegt und ihm jenen zähen staat¬
lichen Egoismus einzupflanzen, der schon die ersten Anfänge dieses Staates auf
s» bemerkenswerthe Weise kennzeichnet und der vielleicht mehr wie alles Andere
das Gelingen der deutschen Einheitsbestrebungen für die Zukunft verbürgt.
Denn der Egoismus pflegt als mächtige Potenz noch vorzuhalten, wenn alle
anderen Triebfedern ihre Dienste versagen.

Es ist ganz im Geiste jenes politischen Idealismus gelegen, der in der
gegenwärtigen Bewegung der Geister in Deutschland so laut das Wort führt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/323>, abgerufen am 15.01.2025.