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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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zu verlangen berechtigt sind. Gerade das aber scheint der Verfasser nicht dar¬
stellen zu können.


Geister und Menschen, Roman in drei Bänden von Adolf Wil-
brandt. Nördlingen, 1865. Verlag der Beetschen Buchhandlung.

Der Verfasser setzt sich ein umfassendes Ziel, er will uns am Schicksal
seiner Personen den Charakter der Uebergangsepoche vom Leben für ästhetische
Aufgaben zu politischem Leben, welche unser Volk gegenwärtig durchmacht, dich¬
terisch vergegenwärtigen, und er hat sich dabei offenbar Goethes Wilhelm Meister
zum Muster genommen. Die Absicht war lobenswert!), aber die Kraft, dre der
Verfasser zu ihr mitbrachte, nur mäßig. Herr Wilbrandt erzählt gut, seine
Sprache ist sorgfältig gewählt, seine Helden wissen in ihren Gesprächen gebildet
und selbst geistvoll zu sprechen, das Ganze aber läßt uns kalt. Es fehlt an
'Wärme und Leidenschaft, allenthalben tritt hervor, daß der Verfasser mehr re-
flectirt als schöpferisch thätig ist, die Personen ermangeln der plastischen Greif¬
barkeit, wir glauben nicht recht an sie, und da uns dieser Mangel nicht durch
andere Vorzüge ersetzt wird, langweilen wir uns und bedauern, daß das Wissen
und die Gesinnung, welche der Verfasser bekundet, nicht zu einer seinem Wesen
angemesseneren Arbeit verwendet worden sind.


Erzäh lungen b el Mondenschein. Neue Novellen von M.solitaire.
Leipzig, 186S. Verlag von H. Matches.

Die beste von diesen fünf Novellen möchte "Des unseligen Jakob seliges
Ende" sein. Der ziemlich fruchtbare Verfasser ist in seiner Art zu schreiben
und in seinem Geschmack eine Mischung von Clemens Brentano und Hoffmann,
Romantiker mit einer humoristischen Aber und zugleich mit Vorliebe für das
Groteske, Wilde, Grauenhafte und Phantastische in der natürlichen und geistigen
Welt. Mit einer gewissen Virtuosität weiß er oft die rechte Stimmung zu
treffen, und wir würden ihn zu den bessern Schriftstellern dieser Richtung zählen,
wenn er sich mehr auf das Maß zu halten verstände.


Humoristische Geschichten von Th cod or Oelckers. Leipzig, Verlag
Von A. Abel. 4 Bdchn.

Ein hübsches Erzählertalent, das keine großen Ansprüche auf Originalität
Macht und auch nicht gerade viel mit dem Humor zu thun hat, von dem man
aber immerhin ein paar Novellen lesen kann, ohne sich zu langweilen. Am
besten gelingen ihm Neinstädtische Geschichten und Charaktere. Bisweilen mischen
sich politische Tendenzen liberaler Art ein, wie in "Fräulein Emma", wo der
Humor darin liegt, daß ein harmloser Schauspieler von einem kleinstädtischen
Polizeigenie durchaus zu einem gräflichen Hochverräther gestempelt wird.


Mit dem Zopf. Von Karl Neumann Strela. Weimar, 1865.
Dittmars Buchhandlung.

Anekdoten aus der Rococozeit, deren Ton und Wesen recht gut wieder-


zu verlangen berechtigt sind. Gerade das aber scheint der Verfasser nicht dar¬
stellen zu können.


Geister und Menschen, Roman in drei Bänden von Adolf Wil-
brandt. Nördlingen, 1865. Verlag der Beetschen Buchhandlung.

Der Verfasser setzt sich ein umfassendes Ziel, er will uns am Schicksal
seiner Personen den Charakter der Uebergangsepoche vom Leben für ästhetische
Aufgaben zu politischem Leben, welche unser Volk gegenwärtig durchmacht, dich¬
terisch vergegenwärtigen, und er hat sich dabei offenbar Goethes Wilhelm Meister
zum Muster genommen. Die Absicht war lobenswert!), aber die Kraft, dre der
Verfasser zu ihr mitbrachte, nur mäßig. Herr Wilbrandt erzählt gut, seine
Sprache ist sorgfältig gewählt, seine Helden wissen in ihren Gesprächen gebildet
und selbst geistvoll zu sprechen, das Ganze aber läßt uns kalt. Es fehlt an
'Wärme und Leidenschaft, allenthalben tritt hervor, daß der Verfasser mehr re-
flectirt als schöpferisch thätig ist, die Personen ermangeln der plastischen Greif¬
barkeit, wir glauben nicht recht an sie, und da uns dieser Mangel nicht durch
andere Vorzüge ersetzt wird, langweilen wir uns und bedauern, daß das Wissen
und die Gesinnung, welche der Verfasser bekundet, nicht zu einer seinem Wesen
angemesseneren Arbeit verwendet worden sind.


Erzäh lungen b el Mondenschein. Neue Novellen von M.solitaire.
Leipzig, 186S. Verlag von H. Matches.

Die beste von diesen fünf Novellen möchte „Des unseligen Jakob seliges
Ende" sein. Der ziemlich fruchtbare Verfasser ist in seiner Art zu schreiben
und in seinem Geschmack eine Mischung von Clemens Brentano und Hoffmann,
Romantiker mit einer humoristischen Aber und zugleich mit Vorliebe für das
Groteske, Wilde, Grauenhafte und Phantastische in der natürlichen und geistigen
Welt. Mit einer gewissen Virtuosität weiß er oft die rechte Stimmung zu
treffen, und wir würden ihn zu den bessern Schriftstellern dieser Richtung zählen,
wenn er sich mehr auf das Maß zu halten verstände.


Humoristische Geschichten von Th cod or Oelckers. Leipzig, Verlag
Von A. Abel. 4 Bdchn.

Ein hübsches Erzählertalent, das keine großen Ansprüche auf Originalität
Macht und auch nicht gerade viel mit dem Humor zu thun hat, von dem man
aber immerhin ein paar Novellen lesen kann, ohne sich zu langweilen. Am
besten gelingen ihm Neinstädtische Geschichten und Charaktere. Bisweilen mischen
sich politische Tendenzen liberaler Art ein, wie in „Fräulein Emma", wo der
Humor darin liegt, daß ein harmloser Schauspieler von einem kleinstädtischen
Polizeigenie durchaus zu einem gräflichen Hochverräther gestempelt wird.


Mit dem Zopf. Von Karl Neumann Strela. Weimar, 1865.
Dittmars Buchhandlung.

Anekdoten aus der Rococozeit, deren Ton und Wesen recht gut wieder-


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[0273] zu verlangen berechtigt sind. Gerade das aber scheint der Verfasser nicht dar¬ stellen zu können. Geister und Menschen, Roman in drei Bänden von Adolf Wil- brandt. Nördlingen, 1865. Verlag der Beetschen Buchhandlung. Der Verfasser setzt sich ein umfassendes Ziel, er will uns am Schicksal seiner Personen den Charakter der Uebergangsepoche vom Leben für ästhetische Aufgaben zu politischem Leben, welche unser Volk gegenwärtig durchmacht, dich¬ terisch vergegenwärtigen, und er hat sich dabei offenbar Goethes Wilhelm Meister zum Muster genommen. Die Absicht war lobenswert!), aber die Kraft, dre der Verfasser zu ihr mitbrachte, nur mäßig. Herr Wilbrandt erzählt gut, seine Sprache ist sorgfältig gewählt, seine Helden wissen in ihren Gesprächen gebildet und selbst geistvoll zu sprechen, das Ganze aber läßt uns kalt. Es fehlt an 'Wärme und Leidenschaft, allenthalben tritt hervor, daß der Verfasser mehr re- flectirt als schöpferisch thätig ist, die Personen ermangeln der plastischen Greif¬ barkeit, wir glauben nicht recht an sie, und da uns dieser Mangel nicht durch andere Vorzüge ersetzt wird, langweilen wir uns und bedauern, daß das Wissen und die Gesinnung, welche der Verfasser bekundet, nicht zu einer seinem Wesen angemesseneren Arbeit verwendet worden sind. Erzäh lungen b el Mondenschein. Neue Novellen von M.solitaire. Leipzig, 186S. Verlag von H. Matches. Die beste von diesen fünf Novellen möchte „Des unseligen Jakob seliges Ende" sein. Der ziemlich fruchtbare Verfasser ist in seiner Art zu schreiben und in seinem Geschmack eine Mischung von Clemens Brentano und Hoffmann, Romantiker mit einer humoristischen Aber und zugleich mit Vorliebe für das Groteske, Wilde, Grauenhafte und Phantastische in der natürlichen und geistigen Welt. Mit einer gewissen Virtuosität weiß er oft die rechte Stimmung zu treffen, und wir würden ihn zu den bessern Schriftstellern dieser Richtung zählen, wenn er sich mehr auf das Maß zu halten verstände. Humoristische Geschichten von Th cod or Oelckers. Leipzig, Verlag Von A. Abel. 4 Bdchn. Ein hübsches Erzählertalent, das keine großen Ansprüche auf Originalität Macht und auch nicht gerade viel mit dem Humor zu thun hat, von dem man aber immerhin ein paar Novellen lesen kann, ohne sich zu langweilen. Am besten gelingen ihm Neinstädtische Geschichten und Charaktere. Bisweilen mischen sich politische Tendenzen liberaler Art ein, wie in „Fräulein Emma", wo der Humor darin liegt, daß ein harmloser Schauspieler von einem kleinstädtischen Polizeigenie durchaus zu einem gräflichen Hochverräther gestempelt wird. Mit dem Zopf. Von Karl Neumann Strela. Weimar, 1865. Dittmars Buchhandlung. Anekdoten aus der Rococozeit, deren Ton und Wesen recht gut wieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/273>, abgerufen am 15.01.2025.