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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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höchsten Kunstwerke der Bildnißzeichnung. der Menschendarstellung haben wir in
ihnen vor uns! Kein noch so vollendetes Bild, selbst die dresdner Madonna
nicht, hat mir je so die volle Empfindung der Meistergröße Holbeins gegeben,
wie diese schlichten Köpfchen. Jeder giebt eine ganze Geschichte, ein Schicksal
und legt dessen innersten Keim und Urquell, den tiefsten Charakter des Dar¬
gestellten klar und bloß. Dabei erscheinen sie durchweg so, als wüßten sie kei¬
nen Augenblick, daß sie dem Maler sitzen, unverhohlen spricht ihre eigenste Natur
uns an. Nie ist einem Kops das sogenannte rechte Licht und die "geschmack¬
volle" oder bedeutende Stellung gegeben; alles ist immer nur wie zufällig er¬
griffen; aber dann nicht etwa mit der geistreichen Flüchtigkeit des Skizzisten
hingeworfen, der mit dem scharfen Treffen der prononcirtern Züge den Effect
der Aehnlichkeit und Lebendigkeit erzeugend, das Auge über die leichtfertige
Behandlung der feinern Formation, der intimeren Züge täuscht, sondern mit
der gründlichen Ehrlichkeit, die dieser große Realist so wenig im ausgesührtesten
Bilde wie in der simpelsten Contourskizze, so wenig in der Malerei der klein¬
sten Perle des Schmucks seiner Baseler Bürgermeisterstochter, wie in der deS
wunderbaren Jungfrauenantlitzes seiner "Mutter Maria" verläugnet. Solche
Ehrlichkeit ist nun wohl das Erbe der alten deutschen Schule überhaupt, wie
es das der altflandrischen war. Was aber Holbein so hoch über seine künst¬
lerischen Landesgenvssen erhebt, ist die herrliche geistvolle Freiheit, welche sich in
ihm mit dieser Grundeigenschaft verbindet, während letztere selbst bei so viel
Meisterschöpfungen Dürers in ihrer rührenden, ernsten Treue einzig und allein
für die kleinbürgerliche Beengtheit entschädigen muß, von welcher sie da un¬
trennbar erscheint. Bei diesen holbeinschen Köpfen ist alles da. Prüfen wir
den Zug jeder eine Form umschreibenden Linie, jede leise Tönung, welche jene
zu modelliren hingesetzt ist, so bestehen sie durchaus, es ist nie und nirgends
künstlerischer Schwindel, es ist überall, wie man wohl sagt, das Mark in den
Knochen gezeichnet. Aber wie fein untergeordnet ist das, in wie leichtem Fluß
auf dem Pergament entstanden, ohne jedes Betonen des eignen Wissens und
Könnens, eben ganz bescheiden und ohne Kraftaufwand hingespielt. Wie so ein
Auge in seiner Höhle sitzt, so ein Paar fein gekniffene oder vollschwellende oder
schlaff hängende Lippen gezogen sind; wie jenes blickt, wie diese zucken, lächeln,
reden; wie diese Stirn-, Wangen- und Nasenbeine, diese weichen vollen Backen
sich körperlich modelliren und zwar meist im vollen Licht durch ein anscheinendes
Nichts von Ton, einen kaum merklichen ganz leisen Hauch von Färbung, das
will eben gesehen sein. Das culturhistorische Interesse, das diese Bildnisse ge¬
währen, ist nicht geringer als das künstlerische. Es ist eine höchst eigenartige,
in sich abgeschlossene Menschenwelt, welche aus diesen Blättern wieder in vollem
Leben aus ihrer mehr als dreihundertjährigen Vergangenheit ans Licht steigt.
Den zahlreichen Mönchsköpfen meint man es anzusehen, daß die um jene Zeit


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höchsten Kunstwerke der Bildnißzeichnung. der Menschendarstellung haben wir in
ihnen vor uns! Kein noch so vollendetes Bild, selbst die dresdner Madonna
nicht, hat mir je so die volle Empfindung der Meistergröße Holbeins gegeben,
wie diese schlichten Köpfchen. Jeder giebt eine ganze Geschichte, ein Schicksal
und legt dessen innersten Keim und Urquell, den tiefsten Charakter des Dar¬
gestellten klar und bloß. Dabei erscheinen sie durchweg so, als wüßten sie kei¬
nen Augenblick, daß sie dem Maler sitzen, unverhohlen spricht ihre eigenste Natur
uns an. Nie ist einem Kops das sogenannte rechte Licht und die „geschmack¬
volle" oder bedeutende Stellung gegeben; alles ist immer nur wie zufällig er¬
griffen; aber dann nicht etwa mit der geistreichen Flüchtigkeit des Skizzisten
hingeworfen, der mit dem scharfen Treffen der prononcirtern Züge den Effect
der Aehnlichkeit und Lebendigkeit erzeugend, das Auge über die leichtfertige
Behandlung der feinern Formation, der intimeren Züge täuscht, sondern mit
der gründlichen Ehrlichkeit, die dieser große Realist so wenig im ausgesührtesten
Bilde wie in der simpelsten Contourskizze, so wenig in der Malerei der klein¬
sten Perle des Schmucks seiner Baseler Bürgermeisterstochter, wie in der deS
wunderbaren Jungfrauenantlitzes seiner „Mutter Maria" verläugnet. Solche
Ehrlichkeit ist nun wohl das Erbe der alten deutschen Schule überhaupt, wie
es das der altflandrischen war. Was aber Holbein so hoch über seine künst¬
lerischen Landesgenvssen erhebt, ist die herrliche geistvolle Freiheit, welche sich in
ihm mit dieser Grundeigenschaft verbindet, während letztere selbst bei so viel
Meisterschöpfungen Dürers in ihrer rührenden, ernsten Treue einzig und allein
für die kleinbürgerliche Beengtheit entschädigen muß, von welcher sie da un¬
trennbar erscheint. Bei diesen holbeinschen Köpfen ist alles da. Prüfen wir
den Zug jeder eine Form umschreibenden Linie, jede leise Tönung, welche jene
zu modelliren hingesetzt ist, so bestehen sie durchaus, es ist nie und nirgends
künstlerischer Schwindel, es ist überall, wie man wohl sagt, das Mark in den
Knochen gezeichnet. Aber wie fein untergeordnet ist das, in wie leichtem Fluß
auf dem Pergament entstanden, ohne jedes Betonen des eignen Wissens und
Könnens, eben ganz bescheiden und ohne Kraftaufwand hingespielt. Wie so ein
Auge in seiner Höhle sitzt, so ein Paar fein gekniffene oder vollschwellende oder
schlaff hängende Lippen gezogen sind; wie jenes blickt, wie diese zucken, lächeln,
reden; wie diese Stirn-, Wangen- und Nasenbeine, diese weichen vollen Backen
sich körperlich modelliren und zwar meist im vollen Licht durch ein anscheinendes
Nichts von Ton, einen kaum merklichen ganz leisen Hauch von Färbung, das
will eben gesehen sein. Das culturhistorische Interesse, das diese Bildnisse ge¬
währen, ist nicht geringer als das künstlerische. Es ist eine höchst eigenartige,
in sich abgeschlossene Menschenwelt, welche aus diesen Blättern wieder in vollem
Leben aus ihrer mehr als dreihundertjährigen Vergangenheit ans Licht steigt.
Den zahlreichen Mönchsköpfen meint man es anzusehen, daß die um jene Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/235>, abgerufen am 15.01.2025.