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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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men lassen, ist dort noch thätig, des großen Autors "erhabene Gedanken¬
schöpfung" aus dem grauen Urzustande der Kohlenzeichnung in das farbige Leben
des Wandbildes zu rufen. Und man muß dem geschickten, fertigen, an Richters
eleganter und glänzend effectvoller Farbe und Behandlungsweise herangebildeten
Berliner den Ruhm lassen, daß er seine Ausgabe über jeden Vergleich besser
löst als seine Münchner Vorgänger, welche sich in der Mehrzahl der andern
Trcppenhausgemälde hier eben kein sehr rühmliches noch erfreuliches Denkmal
ihres malerischen Sinnes gesetzt haben. Doch es ist bei diesem Besuch, den
ich dem neuen Museum abstatte, nicht meine Absicht, hier, sei es vor oder
hinter dem Schirm, zu verweilen und die bis zum Ueberdruß besprochenen Wand¬
malereien, über welche nun die Acten wohl geschlossen sein dürften, an dieser
Stelle eingehend zu betrachten und zu erörtern. Wir lassen der davor versammelten
wohlgesinnten Menge gern diese erhebende Beschäftigung und suchen uns unsern
Weg durch sie hindurch nach der geschlossenen Thür zur Linken neben den Gerüsten.

Diese Thür hat für den Uneingeweihten etwas Abweisendes. Vergebens
drückt er die kunstreich ciselirte broncene Klinke -- sie öffnet ihm die Pforte
nicht. Vergebens klopft er -- kein gastliches "Herein" ladet ihn, näher zu
treten, und mancher geht mit einem schlecht verhehlten Aerger oder lautem
Murren wieder hinweg, ohne einen andern Blick als durch das Schlüssel¬
loch in den geheimnißvollen Raum dahinter geworfen zu haben. Wer aber
Bescheid weiß hier im Hause, der drückt auf einen rechts von der Thür in
der Wand nur wenig bemerklichen Griff, und sofort antwortet dem Schall
der Klingel der Hall der Tritte im Innern, das Umdrehn des Schlüssels im
Schloß, und ein Museumsdiener öffnet die Pforte, um sie unmittelbar hinter
dem Eintretenden wieder zu schließen. So zahllose Male ich diesen Klingelzug
gedrückt und diesem Pförtner meinen guten Tag geboten habe, so bekenne ich,
daß ich kein neues Mal dasselbe thun kann, ohne von einer ganz eigenthüm¬
lichen Empfindung reinen geistigen Behagens höchst angenehm ergriffen und er¬
füllt zu werden. Es müßte jemand schon mit einer verzweifelten Rohheit und
Stumpfheit ausgestattet sein, wenn nicht der Anblick des Raumes, der ihn
hier erwartet, bereits eine dem ähnliche Wirkung auf ihn hervorbringen sollte.
Wer aber genau weiß, was ihm hier geboten wird, muß in viel stärkerem
Grade meine Empfindung theilen. Reiner und unbedingter, von keinen stören¬
den, ableitender Einflüssen und Eindrücken beirrter Genuß ist uns, wie man
weiß, in dieser schönen Welt ziemlich karg zugemessen, so wenig Aehnlichkeit
sie auch mit dem Jammerthal der Theologen hat; wie sollte er daher in so
menschlich unvollkommenen Einrichtungen, wie Museen und Bibliotheken sind,
zu finden sein! Aber wenn überhaupt irgendwo, so ist er es im berliner
Kupferstichcabinet. Es ist eine Stätte der edelsten geistigen Schwelgerei, und jede
äußere Einrichtung ist, um deren voll und ganz froh werden zu lassen, mit einer


men lassen, ist dort noch thätig, des großen Autors „erhabene Gedanken¬
schöpfung" aus dem grauen Urzustande der Kohlenzeichnung in das farbige Leben
des Wandbildes zu rufen. Und man muß dem geschickten, fertigen, an Richters
eleganter und glänzend effectvoller Farbe und Behandlungsweise herangebildeten
Berliner den Ruhm lassen, daß er seine Ausgabe über jeden Vergleich besser
löst als seine Münchner Vorgänger, welche sich in der Mehrzahl der andern
Trcppenhausgemälde hier eben kein sehr rühmliches noch erfreuliches Denkmal
ihres malerischen Sinnes gesetzt haben. Doch es ist bei diesem Besuch, den
ich dem neuen Museum abstatte, nicht meine Absicht, hier, sei es vor oder
hinter dem Schirm, zu verweilen und die bis zum Ueberdruß besprochenen Wand¬
malereien, über welche nun die Acten wohl geschlossen sein dürften, an dieser
Stelle eingehend zu betrachten und zu erörtern. Wir lassen der davor versammelten
wohlgesinnten Menge gern diese erhebende Beschäftigung und suchen uns unsern
Weg durch sie hindurch nach der geschlossenen Thür zur Linken neben den Gerüsten.

Diese Thür hat für den Uneingeweihten etwas Abweisendes. Vergebens
drückt er die kunstreich ciselirte broncene Klinke — sie öffnet ihm die Pforte
nicht. Vergebens klopft er — kein gastliches „Herein" ladet ihn, näher zu
treten, und mancher geht mit einem schlecht verhehlten Aerger oder lautem
Murren wieder hinweg, ohne einen andern Blick als durch das Schlüssel¬
loch in den geheimnißvollen Raum dahinter geworfen zu haben. Wer aber
Bescheid weiß hier im Hause, der drückt auf einen rechts von der Thür in
der Wand nur wenig bemerklichen Griff, und sofort antwortet dem Schall
der Klingel der Hall der Tritte im Innern, das Umdrehn des Schlüssels im
Schloß, und ein Museumsdiener öffnet die Pforte, um sie unmittelbar hinter
dem Eintretenden wieder zu schließen. So zahllose Male ich diesen Klingelzug
gedrückt und diesem Pförtner meinen guten Tag geboten habe, so bekenne ich,
daß ich kein neues Mal dasselbe thun kann, ohne von einer ganz eigenthüm¬
lichen Empfindung reinen geistigen Behagens höchst angenehm ergriffen und er¬
füllt zu werden. Es müßte jemand schon mit einer verzweifelten Rohheit und
Stumpfheit ausgestattet sein, wenn nicht der Anblick des Raumes, der ihn
hier erwartet, bereits eine dem ähnliche Wirkung auf ihn hervorbringen sollte.
Wer aber genau weiß, was ihm hier geboten wird, muß in viel stärkerem
Grade meine Empfindung theilen. Reiner und unbedingter, von keinen stören¬
den, ableitender Einflüssen und Eindrücken beirrter Genuß ist uns, wie man
weiß, in dieser schönen Welt ziemlich karg zugemessen, so wenig Aehnlichkeit
sie auch mit dem Jammerthal der Theologen hat; wie sollte er daher in so
menschlich unvollkommenen Einrichtungen, wie Museen und Bibliotheken sind,
zu finden sein! Aber wenn überhaupt irgendwo, so ist er es im berliner
Kupferstichcabinet. Es ist eine Stätte der edelsten geistigen Schwelgerei, und jede
äußere Einrichtung ist, um deren voll und ganz froh werden zu lassen, mit einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/176>, abgerufen am 15.01.2025.