Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Die Regierung muß -- wenn überhaupt -- gegen solche Worte den Staats¬ So mag denn das preußische Volk seine Verfassung gegen solche Angriffe Die Staatsanwaltschaften werden der vom Ministerpräsidenten verkündeten Die Regierung muß — wenn überhaupt — gegen solche Worte den Staats¬ So mag denn das preußische Volk seine Verfassung gegen solche Angriffe Die Staatsanwaltschaften werden der vom Ministerpräsidenten verkündeten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283472"/> <p xml:id="ID_352"> Die Regierung muß — wenn überhaupt — gegen solche Worte den Staats¬<lb/> anwalt bereit haben. Bei uns denkt man zunächst, wie die obige Erklärung<lb/> des Ministerpräsidenten zeigt, nur an Verfolgung der Abgeordneten. Im Ab¬<lb/> geordnetenhause aber begegnen die Vertreter der Regierung den Angriffen der<lb/> Volksmänner nicht mit den oben angeführten constitutionellen Mitteln, sondern<lb/> zum Zweikampf fordern sie sie; sie erwidern den straffälligen Angriff mit einem<lb/> gleich strafbaren, so Herr von Roon mit dem Vorwurfe der „Unverschämtheit";<lb/> sie lassen sich nähere Präcisirung und Rücknahme des Angriffe gefallen und ge¬<lb/> statten danach, daß die unter ihren Augen erscheinende Presse den Gegner ver¬<lb/> höhnt. Es genügt, hier aus die Worte Greises über solch ein Cavalierthum<lb/> zu verweisen. Und ist die Sitzungsperiode geschlossen, so weisen sie den Staats¬<lb/> anwalt zur Anklage an.</p><lb/> <p xml:id="ID_353"> So mag denn das preußische Volk seine Verfassung gegen solche Angriffe<lb/> aufrecht halten und durch den gesetzmäßigen Mund der Vereine, der Presse<lb/> wieder und wieder kund thun- hier ist die Grenze der unverletzlichen Verfassung!<lb/> Das einzeln unscheinbare Mittel wird so selbst der organisirten Gewalt der<lb/> Regierung gegenüber stark durch die Einmütigkeit aller Orte des Preußenlandes,<lb/> stark durch die Zähigkeit seiner immer erneuten Dauer, stark durch die Gesetzmäßigkeit.<lb/> Gegen ein Volk, dessen einzelne Glieder unermüdet in Wort und That gesetzmäßig<lb/> beweisen, daß ihnen die Verfassung in Fleisch und Blut überging, verschwindet jede<lb/> Gewalt der Regierung, Angriffe gegen solch ein Volksrecht gefährden nichts, sie bilden<lb/> nur ein unschätzbares, nothwendiges Glied der politischen und Rechtsentwickelung.</p><lb/> <p xml:id="ID_354"> Die Staatsanwaltschaften werden der vom Ministerpräsidenten verkündeten<lb/> Anweisung zur Anklage der straffälligen Abgeordneten Folge leisten, sie sind<lb/> untergebene Verwaltungsbeamte. Die Richter aber, unabhängige Glieder ihres<lb/> Volkes und durchdrungen von seinem Rechtsbewußtsein, legen den Finger auf<lb/> unsern Artikel 84 der Verfassung und decken unsere Abgeordneten mit unserm<lb/> heiligen Rechte. Zwei hochgestellte Glieder des preußischen Richterstandes er¬<lb/> klärten im Herrenhause sich gegen dessen Antrag zur Fesselung der Redefreiheit.<lb/> Graf von Rittberg, der Chefpräsident eines Appellationsgerichtes, wies aus¬<lb/> drücklich auf Artikel 84 der Verfassung, und Uhden. der erste Präsident un¬<lb/> seres höchsten Gerichtshofes, wahrte, wenn auch mit herben Worten, dem<lb/> Obertribunal seine volle Unparteilichkeit: „Ich glaube, daß der höchste Gerichts¬<lb/> hof durch die Urtheilssprüche und tendenziösen, fanatischen Aeußerungen im<lb/> Abgeordnetenhause, von welchem Hause sie auch kommen mögen, sich nicht be¬<lb/> troffen fühlen und davon abhalten lassen kann, in seinem Wege fortzugehen."<lb/> Wenn auch die Besetzung der Criminalsenate des höchsten Gerichtshofes ge-<lb/> wechselt hat, so dürfen wir doch von vornherein nicht, bezweifeln, daß heute<lb/> ebenso wie vor zwölf Jahren, unsere Richter aller Instanzen dem klaren Rechte<lb/> des Landes Genüge thun.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
Die Regierung muß — wenn überhaupt — gegen solche Worte den Staats¬
anwalt bereit haben. Bei uns denkt man zunächst, wie die obige Erklärung
des Ministerpräsidenten zeigt, nur an Verfolgung der Abgeordneten. Im Ab¬
geordnetenhause aber begegnen die Vertreter der Regierung den Angriffen der
Volksmänner nicht mit den oben angeführten constitutionellen Mitteln, sondern
zum Zweikampf fordern sie sie; sie erwidern den straffälligen Angriff mit einem
gleich strafbaren, so Herr von Roon mit dem Vorwurfe der „Unverschämtheit";
sie lassen sich nähere Präcisirung und Rücknahme des Angriffe gefallen und ge¬
statten danach, daß die unter ihren Augen erscheinende Presse den Gegner ver¬
höhnt. Es genügt, hier aus die Worte Greises über solch ein Cavalierthum
zu verweisen. Und ist die Sitzungsperiode geschlossen, so weisen sie den Staats¬
anwalt zur Anklage an.
So mag denn das preußische Volk seine Verfassung gegen solche Angriffe
aufrecht halten und durch den gesetzmäßigen Mund der Vereine, der Presse
wieder und wieder kund thun- hier ist die Grenze der unverletzlichen Verfassung!
Das einzeln unscheinbare Mittel wird so selbst der organisirten Gewalt der
Regierung gegenüber stark durch die Einmütigkeit aller Orte des Preußenlandes,
stark durch die Zähigkeit seiner immer erneuten Dauer, stark durch die Gesetzmäßigkeit.
Gegen ein Volk, dessen einzelne Glieder unermüdet in Wort und That gesetzmäßig
beweisen, daß ihnen die Verfassung in Fleisch und Blut überging, verschwindet jede
Gewalt der Regierung, Angriffe gegen solch ein Volksrecht gefährden nichts, sie bilden
nur ein unschätzbares, nothwendiges Glied der politischen und Rechtsentwickelung.
Die Staatsanwaltschaften werden der vom Ministerpräsidenten verkündeten
Anweisung zur Anklage der straffälligen Abgeordneten Folge leisten, sie sind
untergebene Verwaltungsbeamte. Die Richter aber, unabhängige Glieder ihres
Volkes und durchdrungen von seinem Rechtsbewußtsein, legen den Finger auf
unsern Artikel 84 der Verfassung und decken unsere Abgeordneten mit unserm
heiligen Rechte. Zwei hochgestellte Glieder des preußischen Richterstandes er¬
klärten im Herrenhause sich gegen dessen Antrag zur Fesselung der Redefreiheit.
Graf von Rittberg, der Chefpräsident eines Appellationsgerichtes, wies aus¬
drücklich auf Artikel 84 der Verfassung, und Uhden. der erste Präsident un¬
seres höchsten Gerichtshofes, wahrte, wenn auch mit herben Worten, dem
Obertribunal seine volle Unparteilichkeit: „Ich glaube, daß der höchste Gerichts¬
hof durch die Urtheilssprüche und tendenziösen, fanatischen Aeußerungen im
Abgeordnetenhause, von welchem Hause sie auch kommen mögen, sich nicht be¬
troffen fühlen und davon abhalten lassen kann, in seinem Wege fortzugehen."
Wenn auch die Besetzung der Criminalsenate des höchsten Gerichtshofes ge-
wechselt hat, so dürfen wir doch von vornherein nicht, bezweifeln, daß heute
ebenso wie vor zwölf Jahren, unsere Richter aller Instanzen dem klaren Rechte
des Landes Genüge thun.
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