Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Bezug auf Redefreiheit ihnen zustehenden und obliegenden Disciplinargewall" Deshalb folgert unter anderm der epochemachende deutsche Staats¬ Bezug auf Redefreiheit ihnen zustehenden und obliegenden Disciplinargewall" Deshalb folgert unter anderm der epochemachende deutsche Staats¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283461"/> <p xml:id="ID_310" prev="#ID_309"> Bezug auf Redefreiheit ihnen zustehenden und obliegenden Disciplinargewall"<lb/> wie Herr v. Grüner sehr richtig im preußischen Herrenhause sagt. „Ausschreitungen<lb/> verhütet und die dennoch begangenen mit Ernst und Nachdruck geahndet werden.<lb/> Die Correctur unausbleiblicher Ausschreitungen wird durch die sittliche Ent¬<lb/> wicklung der Nation von selbst erfolgen." Wie herbe Aeußerungen gegen ein¬<lb/> ander, gegen das jeweilige Regierungssystem und dessen Angreifer werfen die<lb/> Mitglieder des Unterhauses in England und die Vertreter der Krone sich zu,<lb/> und immer noch hat man mit dem angeführten constitutionellen Schutzwehren<lb/> dem Angegriffenen Genugthuung bereitet, dem Hause aber die Redefreiheit un¬<lb/> verkürzt gewahrt.</p><lb/> <p xml:id="ID_311" next="#ID_312"> Deshalb folgert unter anderm der epochemachende deutsche Staats¬<lb/> rechtslehrer Karl Salomo Zachariä. welchem man gewiß nicht Theilnahme für<lb/> eine specielle, besonders liberale Partei unterlegen darf, die volle Redefreiheit<lb/> der Kammermitglieder (nur beschränkt durch den Ordnungsruf des Präsidenten)<lb/> sei eines der Vorrechte, welches die Verfassung einer constitutionellen Monarchie<lb/> den Kammermitgliedern zusichern muß, ohne welches die letzteren ihrem Berufe<lb/> gar nicht oder nicht mit der nöthigen Unabhängigkeit Genüge leisten können.<lb/> „So gefährlich auch dieses Vorrecht ist (denn es kann sowohl zu Angriffen auf<lb/> die Verfassung, als zur Kränkung der Ehre Anderer benutzt werden), so hat<lb/> man doch um die Wahl, ob man das Repräsentativsystem als eine Grundlage<lb/> der constitutionellen Monarchie wegen dieser mit ihm verbundenen Gefahr<lb/> gänzlich aufgeben oder ob man es, ungeachtet dieser Gefahr dennoch beibehal¬<lb/> ten will." (Vierzig Bücher v. Staate III. Bd. S. 255. u. Archiv f. civilise.<lb/> Praxis.) Derselben Ansicht sind unter den deutschen Bearbeitern des öffent¬<lb/> lichen Rechtes der ebenso ausgezeichnete Klüver (öffentl. Recht des deutsch.<lb/> Bundes §. 300 S. 456) und unser als Gelehrter, Staatsbürger und<lb/> Mensch gleich hochverehrter Welcker in seinem Aufsatz über Verantwortlich¬<lb/> keit der 'Landstände (v. l)!ottecks u. Welckers Staatslexikon, 2. Aufl. XII.<lb/> S. 711 ff.) Daß unter den außerdeutschen Staaten vornehmlich das urcon-<lb/> stitutionelle England, welches in dieser ganzen Frage von besonderer Wichtig¬<lb/> keit ist, seine gelehrten Sachverständigen für die unbeschränkte Redefreiheit der<lb/> Volksvertreter gestellen wird, kann nach der englischen Pariamentspraxis keinem<lb/> Zweifel unterliegen. I. S. Mill in der oben citirten Schrift setzt solche Rede¬<lb/> freiheit als unbedingt und selbstverständlich voraus, ihm ist sie um so weniger<lb/> zweifelhaft, da er gerade den ganzen Nachdruck in der Thätigkeit der Volks¬<lb/> vertreter auf ihre Beaufsichtigung und Kritik der Regierungshandlungen legt.<lb/> So nennt er das Parlament „einen Schau- und Kampfplatz, wo nicht nur die<lb/> allgemeine Meinung der Nation, sondern auch jede Abtheilung derselben und<lb/> womöglich jede in ihr enthaltene ausgezeichnete Persönlichkeit sich in vollem<lb/> Lichte darstellen und die Erörterung herausfordern kann; eine Stelle, wo jedes</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
Bezug auf Redefreiheit ihnen zustehenden und obliegenden Disciplinargewall"
wie Herr v. Grüner sehr richtig im preußischen Herrenhause sagt. „Ausschreitungen
verhütet und die dennoch begangenen mit Ernst und Nachdruck geahndet werden.
Die Correctur unausbleiblicher Ausschreitungen wird durch die sittliche Ent¬
wicklung der Nation von selbst erfolgen." Wie herbe Aeußerungen gegen ein¬
ander, gegen das jeweilige Regierungssystem und dessen Angreifer werfen die
Mitglieder des Unterhauses in England und die Vertreter der Krone sich zu,
und immer noch hat man mit dem angeführten constitutionellen Schutzwehren
dem Angegriffenen Genugthuung bereitet, dem Hause aber die Redefreiheit un¬
verkürzt gewahrt.
Deshalb folgert unter anderm der epochemachende deutsche Staats¬
rechtslehrer Karl Salomo Zachariä. welchem man gewiß nicht Theilnahme für
eine specielle, besonders liberale Partei unterlegen darf, die volle Redefreiheit
der Kammermitglieder (nur beschränkt durch den Ordnungsruf des Präsidenten)
sei eines der Vorrechte, welches die Verfassung einer constitutionellen Monarchie
den Kammermitgliedern zusichern muß, ohne welches die letzteren ihrem Berufe
gar nicht oder nicht mit der nöthigen Unabhängigkeit Genüge leisten können.
„So gefährlich auch dieses Vorrecht ist (denn es kann sowohl zu Angriffen auf
die Verfassung, als zur Kränkung der Ehre Anderer benutzt werden), so hat
man doch um die Wahl, ob man das Repräsentativsystem als eine Grundlage
der constitutionellen Monarchie wegen dieser mit ihm verbundenen Gefahr
gänzlich aufgeben oder ob man es, ungeachtet dieser Gefahr dennoch beibehal¬
ten will." (Vierzig Bücher v. Staate III. Bd. S. 255. u. Archiv f. civilise.
Praxis.) Derselben Ansicht sind unter den deutschen Bearbeitern des öffent¬
lichen Rechtes der ebenso ausgezeichnete Klüver (öffentl. Recht des deutsch.
Bundes §. 300 S. 456) und unser als Gelehrter, Staatsbürger und
Mensch gleich hochverehrter Welcker in seinem Aufsatz über Verantwortlich¬
keit der 'Landstände (v. l)!ottecks u. Welckers Staatslexikon, 2. Aufl. XII.
S. 711 ff.) Daß unter den außerdeutschen Staaten vornehmlich das urcon-
stitutionelle England, welches in dieser ganzen Frage von besonderer Wichtig¬
keit ist, seine gelehrten Sachverständigen für die unbeschränkte Redefreiheit der
Volksvertreter gestellen wird, kann nach der englischen Pariamentspraxis keinem
Zweifel unterliegen. I. S. Mill in der oben citirten Schrift setzt solche Rede¬
freiheit als unbedingt und selbstverständlich voraus, ihm ist sie um so weniger
zweifelhaft, da er gerade den ganzen Nachdruck in der Thätigkeit der Volks¬
vertreter auf ihre Beaufsichtigung und Kritik der Regierungshandlungen legt.
So nennt er das Parlament „einen Schau- und Kampfplatz, wo nicht nur die
allgemeine Meinung der Nation, sondern auch jede Abtheilung derselben und
womöglich jede in ihr enthaltene ausgezeichnete Persönlichkeit sich in vollem
Lichte darstellen und die Erörterung herausfordern kann; eine Stelle, wo jedes
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