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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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stände und Personen begreift, am meisten Opposition gefunden haben. Zu¬
weilen weil sie hergebrachten Anschauungen zuwiderläuft, welche Bildungsstoff
unseres Jugendunterrichts geworden sind. Denn auch in der Philologie giebt
es eine conservative Fraction, welche sich zum großen Theil aus unsren Pä¬
dagogen recrutirt. Ungern sieht der Lehrer Anschauungen und Erzählungen,
welche seit Jahrhunderten Theile des Jugendunterrichts waren, ihrer alten
Autorität entkleidet. Nicht nur die Anecdoten der römischen Sagenzeit hört er
traurig mit Nichtachtung behandelt, auch die herkömmliche Beurtheilung der
Charaktere und Parteizwecke liegt ihm am Herzen. Noch immer wird der
Mordversuch und die verbrannte Hand des Mucius Scävola als Beispiel he¬
roischer Menschenkraft berichtet, noch immer sind Brutus und Cassius staunens¬
werthe Männer, welche das Ungeheuere für die Freiheit thun, und Cäsar der
herrschsüchtige Tyrann. Noch immer wird der beschränkte Pompejus nach den
Erfolgen seiner Jugend geschätzt und ganz unerträglich ist ihnen die Verurtheilung
des politischen Charakters an Cicero. Es kann für diese conservative Richtung,
welche man auch bei gewissenhaften Lehrern wahrnimmt, manches Entschuldigende
gesagt werden. Es ist durchaus nicht nur Schlendrian in überkommenen Vor¬
stellungen, es ist in der That ein Interesse der Schule, welche sie vertreten.
Ohne Zweifel ist wünschenswert!), daß dem Gemüth der Schüler die alte Zeit zu¬
erst durch charakteristische Anekdoten, welche in fesselnden Beispielen hohe
Menschenkraft zeigen, vermittelt werde; die Phantasie sowohl als der Vereh¬
rungstrieb der Jugend fordern Gestalten, denen sie sich bewundernd hingeben
können. Curtius, welcher für das Vaterland in den Abgrund springt, der alte
Brutus, der seine Söhne richtet, sind heroische Beispiele für eine Lebenszeit, in
welcher man Liebe und Haß freigebig austheilt, und in welcher das Auge für die
Farvennüanccn zwischen schwarz und weiß noch ungeübt ist. Es ist allerdings
unbequem, Jünglingen, welche, wie jetzt noch Brauch ist., jahrelang mit dem
Stil des großen Redners und Philosophen Cicero gefüttert werden, offen zu
erklären, daß der politische Charakter dieses Mannes keineswegs hoch stehe,
Und doch ist nicht zu läugnen, daß eine männliche Betrachtung der Charaktere
jener alten Zeit, ob sie der Geschichte oder Sage angehören, den Musterwerth
der meisten für unsere Bildung verringert.

Nirgend vielleicht wird dieser Unterschied in der Auffassung bemerkbarer, als
vor der Gruppe von Charakteren, welche im letzten Jahrhundert der Republik gegen
Cäsar stehn. Die traditionelle Beurtheilung und die Erkenntniß der Gegenwart
treten hier in schneidenden Gegensatz, und dieser Gegensatz wird dadurch noch
lebhafter, weil der Urtheilende leicht Zuneigung oder Abneigung gegen den mo¬
dernen Cäsarismus in sein Urtheil hereinträgt. Uns erscheint das abfällige
Urtheil Mommsens über die Gegner Cäsars: Cato, Cicero, Pompejus, in der
Sache ebenso wohl begründet als seine warme Anerkennung der genialen Menschen-


stände und Personen begreift, am meisten Opposition gefunden haben. Zu¬
weilen weil sie hergebrachten Anschauungen zuwiderläuft, welche Bildungsstoff
unseres Jugendunterrichts geworden sind. Denn auch in der Philologie giebt
es eine conservative Fraction, welche sich zum großen Theil aus unsren Pä¬
dagogen recrutirt. Ungern sieht der Lehrer Anschauungen und Erzählungen,
welche seit Jahrhunderten Theile des Jugendunterrichts waren, ihrer alten
Autorität entkleidet. Nicht nur die Anecdoten der römischen Sagenzeit hört er
traurig mit Nichtachtung behandelt, auch die herkömmliche Beurtheilung der
Charaktere und Parteizwecke liegt ihm am Herzen. Noch immer wird der
Mordversuch und die verbrannte Hand des Mucius Scävola als Beispiel he¬
roischer Menschenkraft berichtet, noch immer sind Brutus und Cassius staunens¬
werthe Männer, welche das Ungeheuere für die Freiheit thun, und Cäsar der
herrschsüchtige Tyrann. Noch immer wird der beschränkte Pompejus nach den
Erfolgen seiner Jugend geschätzt und ganz unerträglich ist ihnen die Verurtheilung
des politischen Charakters an Cicero. Es kann für diese conservative Richtung,
welche man auch bei gewissenhaften Lehrern wahrnimmt, manches Entschuldigende
gesagt werden. Es ist durchaus nicht nur Schlendrian in überkommenen Vor¬
stellungen, es ist in der That ein Interesse der Schule, welche sie vertreten.
Ohne Zweifel ist wünschenswert!), daß dem Gemüth der Schüler die alte Zeit zu¬
erst durch charakteristische Anekdoten, welche in fesselnden Beispielen hohe
Menschenkraft zeigen, vermittelt werde; die Phantasie sowohl als der Vereh¬
rungstrieb der Jugend fordern Gestalten, denen sie sich bewundernd hingeben
können. Curtius, welcher für das Vaterland in den Abgrund springt, der alte
Brutus, der seine Söhne richtet, sind heroische Beispiele für eine Lebenszeit, in
welcher man Liebe und Haß freigebig austheilt, und in welcher das Auge für die
Farvennüanccn zwischen schwarz und weiß noch ungeübt ist. Es ist allerdings
unbequem, Jünglingen, welche, wie jetzt noch Brauch ist., jahrelang mit dem
Stil des großen Redners und Philosophen Cicero gefüttert werden, offen zu
erklären, daß der politische Charakter dieses Mannes keineswegs hoch stehe,
Und doch ist nicht zu läugnen, daß eine männliche Betrachtung der Charaktere
jener alten Zeit, ob sie der Geschichte oder Sage angehören, den Musterwerth
der meisten für unsere Bildung verringert.

Nirgend vielleicht wird dieser Unterschied in der Auffassung bemerkbarer, als
vor der Gruppe von Charakteren, welche im letzten Jahrhundert der Republik gegen
Cäsar stehn. Die traditionelle Beurtheilung und die Erkenntniß der Gegenwart
treten hier in schneidenden Gegensatz, und dieser Gegensatz wird dadurch noch
lebhafter, weil der Urtheilende leicht Zuneigung oder Abneigung gegen den mo¬
dernen Cäsarismus in sein Urtheil hereinträgt. Uns erscheint das abfällige
Urtheil Mommsens über die Gegner Cäsars: Cato, Cicero, Pompejus, in der
Sache ebenso wohl begründet als seine warme Anerkennung der genialen Menschen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/70>, abgerufen am 26.06.2024.