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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Dieselbe Strafe traf den größten Theil der sächsischen Armee, und es wird
in derselben Leute gegeben haben, die dieselbe schwer empfanden. Die säch¬
sische Infanterie wurde von Namur und Lüttich nach der Gegend von Crefeld
und Geldern verlegt und dann über den Rhein zurückgeführt. Blücher berichtete
seinem König, die Theilung könne in keinem Falle bei der Feldarmee vollzogen
werden, der Geist der Infanterie sei zu verderbt, der Abscheu der preußischen
Truppen vor den sächsischen zu groß, als daß sie gemeinsam gegen den Feind
geführt werden könnten. So wurde denn die Trennung um die Mitte des
Juni in Westphalen ausgeführt. Aus dem Theil, der an Preußen fiel, bildete
man ein Regiment, welches nach der Elbe verlegt wurde. Die 100 Mann
Wache, welche am 2. Mai in Lüttich ihre Schuldigkeit gethan hatten, wurden
(mit Ausnahme des Hauptmanns Geibler, der ablehnte, in preußische Dienste
zu treten) zum zweiten Garderegiment verseht. Die andern Truppen des Corps
gingen nach Sachsen zurück.

Bei der Reiterei und Artillerie wurde schon am 7. und 8. Mai die
Theilung in Ruhe und Ordnung vollzogen, und von der ersteren Waffe machte
der Theil, der an Preußen kam, den Feldzug im dritten Armeecorps ehrenvoll
mit. während bei der Artillerie der Commandeur durch ungehöriges Auftreten
gegen den General Bülow seine Truppe um die Theilnahme am Kriege brachte;
dieselbe mußte nach Jülich verlegt werden.

Das war der Ausgang der sächsischen Frage vor fünfzig Jahren. "Es ist
möglich", meint Königer, "daß dieses Ende sich vermeiden ließ, wenn Preußen
weniger eilig mit der Theilung der Truppen war, oder wenn es, wie zu Anfang
April in Wien zur Sprache kam, das sächsische Corps dem Herzog von Wellington
überlassen hätte. "Allein," so fährt Königer fort, "Preußen hat in seinem Rechte
gehandelt, es hat keine Verletzung der Treue verlangt, und wer kann es tadeln,
daß unter den drängenden Ereignissen jener Tage die Voraussicht für das,
was nachher nicht eintrat, nicht aufkam? Gewiß war selbst von keinem unter
allen, auf welche sich die Schuld vertheilt, vorauszusehen, daß es so weit kommen
werde. Die Mannschaft, welche sich des schwersten Vergehens schuldig machte,
war verleitet und verwirrt. Die Offiziere, welche zum Theil ihre Stellung
und Pflicht in weit höherem Grade verkannten, suchten doch ohne Zweifel keine
Meuterei, und selbst der Hof, der das Heer in diese unglückliche Lage brachte,
hat sich schwerlich den ganzen Ernst derselben klar gemacht. Allein die Offiziere
und Soldaten hatten noch das für sich, daß ihre Verwirrung in der Treue,
die sie gelobt, ihre Wurzel hatte; der Hof dagegen hat leichtfertig mit dieser
Treue gespielt."

Dieses Urtheil ist vollkommen begründet. Schon am 12. März war dem
König Friedrich August die Forderung der damals wieder ganz einigen Gro߬
mächte auf unbedingte Zustimmung zur Theilung Sachsens zugegangen, eine


Dieselbe Strafe traf den größten Theil der sächsischen Armee, und es wird
in derselben Leute gegeben haben, die dieselbe schwer empfanden. Die säch¬
sische Infanterie wurde von Namur und Lüttich nach der Gegend von Crefeld
und Geldern verlegt und dann über den Rhein zurückgeführt. Blücher berichtete
seinem König, die Theilung könne in keinem Falle bei der Feldarmee vollzogen
werden, der Geist der Infanterie sei zu verderbt, der Abscheu der preußischen
Truppen vor den sächsischen zu groß, als daß sie gemeinsam gegen den Feind
geführt werden könnten. So wurde denn die Trennung um die Mitte des
Juni in Westphalen ausgeführt. Aus dem Theil, der an Preußen fiel, bildete
man ein Regiment, welches nach der Elbe verlegt wurde. Die 100 Mann
Wache, welche am 2. Mai in Lüttich ihre Schuldigkeit gethan hatten, wurden
(mit Ausnahme des Hauptmanns Geibler, der ablehnte, in preußische Dienste
zu treten) zum zweiten Garderegiment verseht. Die andern Truppen des Corps
gingen nach Sachsen zurück.

Bei der Reiterei und Artillerie wurde schon am 7. und 8. Mai die
Theilung in Ruhe und Ordnung vollzogen, und von der ersteren Waffe machte
der Theil, der an Preußen kam, den Feldzug im dritten Armeecorps ehrenvoll
mit. während bei der Artillerie der Commandeur durch ungehöriges Auftreten
gegen den General Bülow seine Truppe um die Theilnahme am Kriege brachte;
dieselbe mußte nach Jülich verlegt werden.

Das war der Ausgang der sächsischen Frage vor fünfzig Jahren. „Es ist
möglich", meint Königer, „daß dieses Ende sich vermeiden ließ, wenn Preußen
weniger eilig mit der Theilung der Truppen war, oder wenn es, wie zu Anfang
April in Wien zur Sprache kam, das sächsische Corps dem Herzog von Wellington
überlassen hätte. „Allein," so fährt Königer fort, „Preußen hat in seinem Rechte
gehandelt, es hat keine Verletzung der Treue verlangt, und wer kann es tadeln,
daß unter den drängenden Ereignissen jener Tage die Voraussicht für das,
was nachher nicht eintrat, nicht aufkam? Gewiß war selbst von keinem unter
allen, auf welche sich die Schuld vertheilt, vorauszusehen, daß es so weit kommen
werde. Die Mannschaft, welche sich des schwersten Vergehens schuldig machte,
war verleitet und verwirrt. Die Offiziere, welche zum Theil ihre Stellung
und Pflicht in weit höherem Grade verkannten, suchten doch ohne Zweifel keine
Meuterei, und selbst der Hof, der das Heer in diese unglückliche Lage brachte,
hat sich schwerlich den ganzen Ernst derselben klar gemacht. Allein die Offiziere
und Soldaten hatten noch das für sich, daß ihre Verwirrung in der Treue,
die sie gelobt, ihre Wurzel hatte; der Hof dagegen hat leichtfertig mit dieser
Treue gespielt."

Dieses Urtheil ist vollkommen begründet. Schon am 12. März war dem
König Friedrich August die Forderung der damals wieder ganz einigen Gro߬
mächte auf unbedingte Zustimmung zur Theilung Sachsens zugegangen, eine


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[0533] Dieselbe Strafe traf den größten Theil der sächsischen Armee, und es wird in derselben Leute gegeben haben, die dieselbe schwer empfanden. Die säch¬ sische Infanterie wurde von Namur und Lüttich nach der Gegend von Crefeld und Geldern verlegt und dann über den Rhein zurückgeführt. Blücher berichtete seinem König, die Theilung könne in keinem Falle bei der Feldarmee vollzogen werden, der Geist der Infanterie sei zu verderbt, der Abscheu der preußischen Truppen vor den sächsischen zu groß, als daß sie gemeinsam gegen den Feind geführt werden könnten. So wurde denn die Trennung um die Mitte des Juni in Westphalen ausgeführt. Aus dem Theil, der an Preußen fiel, bildete man ein Regiment, welches nach der Elbe verlegt wurde. Die 100 Mann Wache, welche am 2. Mai in Lüttich ihre Schuldigkeit gethan hatten, wurden (mit Ausnahme des Hauptmanns Geibler, der ablehnte, in preußische Dienste zu treten) zum zweiten Garderegiment verseht. Die andern Truppen des Corps gingen nach Sachsen zurück. Bei der Reiterei und Artillerie wurde schon am 7. und 8. Mai die Theilung in Ruhe und Ordnung vollzogen, und von der ersteren Waffe machte der Theil, der an Preußen kam, den Feldzug im dritten Armeecorps ehrenvoll mit. während bei der Artillerie der Commandeur durch ungehöriges Auftreten gegen den General Bülow seine Truppe um die Theilnahme am Kriege brachte; dieselbe mußte nach Jülich verlegt werden. Das war der Ausgang der sächsischen Frage vor fünfzig Jahren. „Es ist möglich", meint Königer, „daß dieses Ende sich vermeiden ließ, wenn Preußen weniger eilig mit der Theilung der Truppen war, oder wenn es, wie zu Anfang April in Wien zur Sprache kam, das sächsische Corps dem Herzog von Wellington überlassen hätte. „Allein," so fährt Königer fort, „Preußen hat in seinem Rechte gehandelt, es hat keine Verletzung der Treue verlangt, und wer kann es tadeln, daß unter den drängenden Ereignissen jener Tage die Voraussicht für das, was nachher nicht eintrat, nicht aufkam? Gewiß war selbst von keinem unter allen, auf welche sich die Schuld vertheilt, vorauszusehen, daß es so weit kommen werde. Die Mannschaft, welche sich des schwersten Vergehens schuldig machte, war verleitet und verwirrt. Die Offiziere, welche zum Theil ihre Stellung und Pflicht in weit höherem Grade verkannten, suchten doch ohne Zweifel keine Meuterei, und selbst der Hof, der das Heer in diese unglückliche Lage brachte, hat sich schwerlich den ganzen Ernst derselben klar gemacht. Allein die Offiziere und Soldaten hatten noch das für sich, daß ihre Verwirrung in der Treue, die sie gelobt, ihre Wurzel hatte; der Hof dagegen hat leichtfertig mit dieser Treue gespielt." Dieses Urtheil ist vollkommen begründet. Schon am 12. März war dem König Friedrich August die Forderung der damals wieder ganz einigen Gro߬ mächte auf unbedingte Zustimmung zur Theilung Sachsens zugegangen, eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/533>, abgerufen am 29.06.2024.