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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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In den Briefen Stägcmanns verschiedene interessante Notizen über die Zustände
Preußens nach den Befreiungskriegen sowie mehre Andeutungen über dessen Stellung zu
den politischen und kirchlichen Fragen, die damals die Gemüther bewegten, in den Briefen
Heines und Bettinas einige werthvolle Ergänzungen der Literciturgcschichte. Das be¬
deutendste Stück der Sammlung ist der Brief Metternichs, in welchem derselbe Varnhagen
Aufschluß über die Stellung giebt, welche die verbündeten Monarchen in Wien der Rückkehr
Napoleons von Elba gegenüber einnahmen. Er schreibt darüber: Die erste Kunde der Ent¬
fernung Napoleons von Elba säbelnd und zwar ausdie folgende Weise erhalten. Eine Kon¬
ferenz zwischen den Bevollmächtigten der fünf Mächte hatte sich in meinem Kabinet in der
Nacht vom 6. auf den 7. März bis nach drei Uhr früh erstreckt. Da die Cabinete zu Wien
vereint waren, so hatte ich meinem Kammerdiener den Befehl ertheilt, mich, wenn Couriere
spät Nachts ankamen, nicht im Schlafe zu stören. Diesem Befehl ungeachtet brachte
mir derselbe gegen 6 Uhr früh eine mittelst Estafette eingelangte "dringend" be>
zeichnete Depesche. Als ich auf dem Couvert die Worte: "Vom k. k. General-
consulate zu Genua" las und kaum zwei Stunden zu Bette war, legte ich die
Depesche uneröffnet auf den nebenstehenden Nachttisch und überließ mich wieder der
Ruhe. Einmal gestört wollte dieselbe jedoch mir nicht recht zu Gebote stehen.
Gegen ?V- Uhr entschloß ich mich die Schrift zu erbrechen. Sie enthielt in sechs
Zeilen die Anzeige: der englische Commissär Campbell sei soeben in dem Hafen
erschienen, um sich zu erkundigen, ob sich Napoleon nicht habe zu Genua blicken
lassen; denn von Elba sei er verschwunden, worauf infolge der verneinenden
Antwort die englische Fregatte ungesäumt wieder in die See gestochen sei.

In wenigen Minuten war ich angekleidet und vor 8 Uhr bereits bei dem Kaiser.
Derselbe las den Bericht und sprach ruhig und gefaßt, wie er dies in allen großen
Gelegenheiten war. die folgenden Worte zu mir: "Napoleon scheint den Abenteurer
spielen zu wollen; dies ist seine Sache. Die unsere ist, die Ruhe, welche er Jah"
lang störte, der Welt zu sichern. Gehen Sie ohne Verzug zu dem Kaiser von
Rußland und dem König von Preußen, und sagen Sie ihnen, daß ich bereit bin,
meiner Armee alsbald den Rückmarsch nach Frankreich zu befehlen. Ich zweifle
nicht, daß die beiden Monarchen mit mir einverstanden sein werden."

Um 8V4 war ich bei dem Kaiser Alexander, welcher mich mit denselben Worten
beschied wie der Kaiser Franz. Um 3V. erhielt ich dieselbe Erklärung aus dem
Munde des Königs Friedrich Wilhelm. Um 9 Uhr war ich zu Hause, wohin ich
bereits den Feldmarschall Fürsten Schwarzenberg entboten hatte. Um 10 Uhr stellten
sich auf meine Aufforderung die Minister der vier Mächte bei mir ein. Um diese
Stunde waren bereits Adjutanten in allen Richtungen unterwegs, um den rück¬
ziehenden Armeeabthcilungen den Befehl des Haltmachens zu überbringen. S>e
sehen, daß der Krieg in weniger als einer Stunde beschlossen war.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Perlag von F. L. Herbig. -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

In den Briefen Stägcmanns verschiedene interessante Notizen über die Zustände
Preußens nach den Befreiungskriegen sowie mehre Andeutungen über dessen Stellung zu
den politischen und kirchlichen Fragen, die damals die Gemüther bewegten, in den Briefen
Heines und Bettinas einige werthvolle Ergänzungen der Literciturgcschichte. Das be¬
deutendste Stück der Sammlung ist der Brief Metternichs, in welchem derselbe Varnhagen
Aufschluß über die Stellung giebt, welche die verbündeten Monarchen in Wien der Rückkehr
Napoleons von Elba gegenüber einnahmen. Er schreibt darüber: Die erste Kunde der Ent¬
fernung Napoleons von Elba säbelnd und zwar ausdie folgende Weise erhalten. Eine Kon¬
ferenz zwischen den Bevollmächtigten der fünf Mächte hatte sich in meinem Kabinet in der
Nacht vom 6. auf den 7. März bis nach drei Uhr früh erstreckt. Da die Cabinete zu Wien
vereint waren, so hatte ich meinem Kammerdiener den Befehl ertheilt, mich, wenn Couriere
spät Nachts ankamen, nicht im Schlafe zu stören. Diesem Befehl ungeachtet brachte
mir derselbe gegen 6 Uhr früh eine mittelst Estafette eingelangte „dringend" be>
zeichnete Depesche. Als ich auf dem Couvert die Worte: „Vom k. k. General-
consulate zu Genua" las und kaum zwei Stunden zu Bette war, legte ich die
Depesche uneröffnet auf den nebenstehenden Nachttisch und überließ mich wieder der
Ruhe. Einmal gestört wollte dieselbe jedoch mir nicht recht zu Gebote stehen.
Gegen ?V- Uhr entschloß ich mich die Schrift zu erbrechen. Sie enthielt in sechs
Zeilen die Anzeige: der englische Commissär Campbell sei soeben in dem Hafen
erschienen, um sich zu erkundigen, ob sich Napoleon nicht habe zu Genua blicken
lassen; denn von Elba sei er verschwunden, worauf infolge der verneinenden
Antwort die englische Fregatte ungesäumt wieder in die See gestochen sei.

In wenigen Minuten war ich angekleidet und vor 8 Uhr bereits bei dem Kaiser.
Derselbe las den Bericht und sprach ruhig und gefaßt, wie er dies in allen großen
Gelegenheiten war. die folgenden Worte zu mir: „Napoleon scheint den Abenteurer
spielen zu wollen; dies ist seine Sache. Die unsere ist, die Ruhe, welche er Jah«
lang störte, der Welt zu sichern. Gehen Sie ohne Verzug zu dem Kaiser von
Rußland und dem König von Preußen, und sagen Sie ihnen, daß ich bereit bin,
meiner Armee alsbald den Rückmarsch nach Frankreich zu befehlen. Ich zweifle
nicht, daß die beiden Monarchen mit mir einverstanden sein werden."

Um 8V4 war ich bei dem Kaiser Alexander, welcher mich mit denselben Worten
beschied wie der Kaiser Franz. Um 3V. erhielt ich dieselbe Erklärung aus dem
Munde des Königs Friedrich Wilhelm. Um 9 Uhr war ich zu Hause, wohin ich
bereits den Feldmarschall Fürsten Schwarzenberg entboten hatte. Um 10 Uhr stellten
sich auf meine Aufforderung die Minister der vier Mächte bei mir ein. Um diese
Stunde waren bereits Adjutanten in allen Richtungen unterwegs, um den rück¬
ziehenden Armeeabthcilungen den Befehl des Haltmachens zu überbringen. S>e
sehen, daß der Krieg in weniger als einer Stunde beschlossen war.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Perlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/340>, abgerufen am 29.06.2024.